18. November 2017

"Wir wissen nicht, was in 20 Jahren gefragt ist"

Um Algorithmen zu verstehen, brauche es nicht zwingend einen PC, sagt Regierungsrat Bernhard Pulver.
"Nun holen uns diese Themen ein", Bund, 18.11. von Andres Marti


Herr Pulver, Fachleute bemängeln die digitalen Kompetenzen von Schweizer Kindern. Hat die Berner Erziehungsdirektion die Digitalisierung verpasst? 
Ich sehe das nicht so. Im Kanton Bern wird ab nächstem Sommer in der 5., 6., 7. und 9. Klasse je eine Lektion Medien und Informatik unterrichtet, andere Kantonen sind da bescheidener. Zudem investieren derzeit viele Berner Gemeinden in ihre ICT-Infrastruktur.

Viele Berner Gemeinden fürchten sich aber deshalb vor einem massiven Kostenanstieg. Sollten sie nicht vom Kanton unterstützt werden? 
Der Kanton könnte sie bei Dienstleistungen unterstützen, etwa durch eine geschützte Cloud. Das brauchte aber Gesetzesanpassungen.

Reicht es, wenn die Gemeinden einfach neue Geräte kaufen und ein schnelles WLAN einrichten?
Nein. Die Pädagogik muss klar im Mittelpunkt stehen, schliesslich geht es darum, die digitalen Herausforderungen der Zukunft zu bestehen. Wenn von Digitalisierung in den Schulen die Rede ist, spricht man häufig nur davon, ob künftig alle Lernmittel digital sind und ob jetzt alle ein Notebook bekommen. Dabei geht es letztlich um viel grundlegendere Fragen, beispielsweise: Was ist ein Algorithmus, was ist eine Cloud, wie funktioniert Gesichtserkennung?

Sollen bereits Kindergärteler am Computer lernen? 
Ich bin nicht der Meinung, dass die Gemeinden jetzt für jeden Kindergarten Tablets anschaffen müssen. Das ist nicht Auftrag des Kindergartens, und die Erziehungsdirektion empfiehlt das nicht.

Ab wann sollen den Kinder in der Schule den Umgang mit digitalen Medien lernen?
Natürlich gibt es schon Dritt- oder Viertklässler, welche zu Hause Zugang zu einem PC haben. Die Lehrer haben da viel Spielraum und können ihnen auch schon da mal am Computer etwas zeigen. Systematisch werden die Kinder aber in der 5. Klasse mit Informatik konfrontiert. Und da geht es nicht um die Anwendung einzelner Programme, sondern um Grundsätzliches, etwa wie sich die Kinder im virtuellen Raum exponieren und wie sie sich davon schützen können.

Und wie werden die Lehrerinnen und Lehrer auf die digitale Welt vorbereitet?
Im Moment bietet die pädagogische Hochschule dazu Weiterbildungen an. Das Interesse der Lehrer ist riesig, und schon jetzt sind viele Kurse für 2018 ausgebucht.

Computerhersteller und Softwareanbieter drängen in die Schulen und wittern das grosse Geschäft. Besteht hier die Gefahr, dass Kinder vor allem zu Kunden der jeweiligen Anbieter erzogen werden?
Da besteht durchaus ein Risiko. Da müssen die Schulen schon aufpassen. Deshalb erwarten wir von ihnen auch ein pädagogisches ICT-Konzept. In manchen Schulen herrscht heute leider noch die Meinung vor, Medien und Informatik sei Word lernen und und ein bisschen programmieren. Aber einzelne Programme zu lernen, ergibt künftig immer weniger Sinn. Wichtig ist es, Grundlagenskills zu vermitteln. Ein Algorithmus kann man auch im Schulzimmer auslegen, dafür braucht es nicht zwingend einen Computer. Es geht darum, die Logik dahinter zu verstehen. Wir wissen ja heute nicht genau, was in 20 Jahren gefragt ist.

Schon heute sehr gefragt sind persönliche Daten. Wie stellen Sie sicher, dass Schülerdaten vor fremden Zugriff geschützt werden? 
Für die Beurteilung hat die Erziehungsdirektion eine gesicherte Cloud eingerichtet. Die Clouds der Gemeinden müssen aber auch sicher sein.

Und was ist mit den Nutzerdaten der Schüler? Ist es nicht problematisch, wenn diese auf einem Server ausserhalb der Schweiz oder der EU gespeichert werden?
Wir planen derzeit mit anderen Kantonen, einen geschützten Zugang einzurichten für alle Volksschüler. Dort soll es dann nur Apps von Herstellern geben, mit denen wir einen Vertrag unterzeichnet haben, der mit unseren Datenschutzgesetzen konform ist.

Ist es dafür nicht etwas zu spät? 
Solche Sachen hat man sich vor vier Jahren halt noch nicht überlegt. Nun holen uns diese Themen ein.

Die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren hat beschlossen, Informatik zu einem Pflichtfach in den Gymnasien zu machen. Wie Viele Lektionen sind geplant?
Das kann ich heute noch nicht genau sagen. Aber es braucht sicher mehrere Lektionen. Das Fach soll vor allem in den ersten zwei Jahren unterrichtet werden und wird auf dem Fach Medien und Informatik des Lehrplans 21 aufbauen.

Sie wollen also mehr Informatik-Lektionen. Wird jetzt bei den Geisteswissenschaften gekürzt?
Wir haben im Kanton Bern die Lektionenzahl an den Gymnasien bereits massiv reduziert und sind unter dem schweizerischen Durchschnitt. Meiner Meinung nach braucht es für die Informatik nun zusätzliche Lektionen und damit auch mehr Geld.

Für das Maturazeugnis ist Informatik als Pflichtfach nicht relevant. Sollte Informatik nicht den gleichen Stellenwert haben wie Mathematik oder Deutsch?
Das ist eher eine psychologische Gewichtung. Das Fach ist ja trotzdem promotionsrelevant. Im Moment wollen wir aber nicht kurzfristig die Bestehensnormen der Matura anpassen. In ein paar Jahren ist aber Informatik als Grundlagenfach sicher denkbar.


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