18. November 2017

Eltern sorgen dafür, dass Kinder höher eingestuft werden

Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm sucht die Gründe für die vielen Baselbieter Sek-P-Schüler bei deren Eltern.
Hohe Sek-P-Schülerzahlen im Baselbiet: "Eltern haben den grössten Einfluss", Basellandschaftliche Zeitung, 17.11. von Samuel Hufschmid


Margrit Stamm: Kurz zusammengefasst besagt der «Flynn-Effekt», dass der Intelligenzquotient in den letzten Jahrzehnten in den Industriestaaten durchschnittlich angestiegen ist. Menschen können lernen, was bei einem Test erwartet wird. Fürs Bildungssystem bedeutet das, dass die abgefragte Intelligenz von Schülern tatsächlich steigen kann – weil die geforderten Kompetenzen gezielter geschult werden.

Sie sprechen das Phänomen «Teaching to the test» an, also dass Lehrer ihre Schüler gezielt auf die vorgelegten Tests vorbereiten.
Ja, das ist einer der möglichen Faktoren. Gerade der Anteil der Intelligenz, die sich auf Sachwissen, auf Fakten und Daten bezieht, kann sehr gut gefördert werden. Den vermutlich grössten Einfluss auf die höheren Schülerzahlen in den oberen Niveaus aber haben die Eltern.

Wie meinen Sie das?
Gerade aus dem Baselbiet ist mir bekannt, dass es viele Rekurse von Eltern auf Niveau-Zuteilungen gibt. Das ist auch einer der Hauptgründe dafür, dass Kinder aus bildungsnahen Familien immer noch so stark übervertreten sind an Gymnasien und Hochschulen. Heute machen sich viele Eltern bereits sehr früh ein Bild von den angeblichen Fähigkeiten ihrer Kindern und setzen sich dann dafür ein, dass diese das angedachte Ziel auch erreichen. Dieses Phänomen kannte man früher eher aus Städten, aber es scheint, dass die ländlichen Gebiete aufholen.

Ist es also die Nähe zur Stadt, die diesen Trend im Baselbiet auslöst?
Baselland ist sicher stark beeinflusst von der Stadtnähe. Es ist auch viel weniger kleinräumig als etwa Graubünden, wo zum Beispiel auch lange Verkehrswege ein Grund sein können, weshalb aus ländlichen Regionen weniger Kinder in höhere Sek-Niveaus oder ans Gymnasium kommen. Zudem gibt es auch viele eigentlich typisch städtische Eltern mit hohem Bildungsabschluss, die aufs Land ziehen, um ihren Kindern ein noch optimaleres Umfeld zu bieten und diese nehmen natürlich ihre entsprechende Einstellung mit.

Ist eine Aufteilung von je einem Drittel in die drei Sek-Züge, wie sie in Basel-Stadt angestrebt wird, also überhaupt durchsetzbar?
Das wage ich zu bezweifeln. Selbst wenn die intellektuellen Fähigkeiten der Kinder entsprechend verteilt sind: Eltern werden immer dafür sorgen, dass ihre Kinder eher eine Stufe höher eingeschult werden. Das gilt übrigens nicht nur für die oberste Stufe, sondern auch für das mittlere Niveau.

Die Statistiken zeigen, dass es vor allem die Mädchen mit Muttersprache Deutsch sind, die sehr stark übervertreten sind im obersten Sek-Niveau. Weshalb ist das so?
Mädchen aus solchen Milieus sind einfach sehr gut angepasst an die Anforderungen unseres aktuellen Bildungssystems. Denn dieses hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt, weg von starkem Wettbewerb und sich aneinander messen, hin zu mehr sozialen, sprachlichen Kompetenzen. Auch wer seine Gefühle gut ausdrücken kann und darüber spricht, ist im Vorteil. Ich sehe das kritisch, denn die angestrebte Bildungsgerechtigkeit heisst nicht, gewisse Fähigkeiten zu bevorzugen. Sondern dass alle Kinder bestmöglich nach ihren persönlichen Fähigkeiten gefördert werden sollen.

Wäre es demnach sinnvoll, die Einteilung eher später als bereits in der sechsten Klasse vorzunehmen? Beispielsweise um Buben Spätzünder oder Nicht-Muttlersprachlern länger Zeit zu geben, um aufzuholen?
In dieser Frage gehen die Meinungen von Experten weit auseinander. Ich persönlich finde, dass eine möglichst späte Aufteilung besser wäre, weil die Kinder nicht zu früh unter Druck kommen und mehr Zeit haben, sich zu entwickeln. Aber eben, das ganze ist eine Reissbrettangelegenheit, denn das Phänomen der Eltern, die sich schon im Kindergarten ein abschliessendes Urteil über die Fähigkeiten ihrer Kinder machen, nehmen zu. Und solche Eltern werden in den häufigsten Fällen Wege und Möglichkeiten finden, dass sich ihre Prognose für ihre Kinder auch erfüllt – egal, ob die Aufteilung in Niveaus nun in der vierten, sechsten oder zehnten Klasse stattfindet.


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