Für Sprachpflege bleibt kaum mehr Musse. Dabei würde es sich lohnen, in
der Flut an Geschriebenem wieder mehr Sorgfalt anzumahnen – aber auch vermehrt
Diskurse über sprachliche Entwicklungen anzustossen.
Innehalten im Tempodiktat, NZZ; 21.9. von Urs Bühler
Da sitzen wir also im Zug, beugen uns über Handys und hämmern unsere
Phrasen hinein. Hämmern? Nein, das trifft den Sachverhalt nicht ganz – so viel
Sorgfalt in der Wortwahl muss schon sein: Die Finger wieseln vielmehr über die
virtuellen Tasten, schneller oft, als ein Gedanke wirklich gefasst ist.
«Zack!», schon ist eine eilige Botschaft auf Twitter verbreitet. Und «wusch!»,
schon eine SMS verschickt. Gut, vielleicht hat man dabei das eine oder andere
Komma unterschlagen und aufgrund Autokorrektur herzlose statt herzliche Grüsse
versandt, wie es dem Verfasser tatsächlich einmal widerfahren ist. Gegen die
Tücken einer flüchtigen Kommunikation, die zu Schludrigkeiten verleitet, ist
niemand gefeit.
Ja, der schriftliche Austausch erlebt eine Renaissance, zumindest auf
elektronischem Weg. Man könnte gar behaupten: Noch nie ist so viel getextet
worden wie jetzt – in den letzten hundert Jahren aber auch noch nie so
fehlerreich und liederlich, keineswegs nur im Privaten.
Klagen aus den Schulen
Dass in der Oberstufe fehlerhafter geschrieben wird als noch vor zehn
Jahren, ist angesichts verbreiteter Klagen aus dem Lehrkörper kaum zu
bestreiten. An den Hochschulen sieht es nicht viel besser aus: Untersuchungen fördern erhebliche Mängel
bei Studienanfängern zutage, was die Korrektheit und Varianz des schriftlichen
Ausdrucks betrifft. Diesbezüglich ist auch aus der Rechtswissenschaftlichen
Fakultät der Universität Bern unlängst gegenüber der NZZein
«dramatischer Kompetenzverlust» des akademischen Nachwuchses beklagt worden,
ein sprachlich «zum Teil erschreckendes Niveau». Defizite dieser Art sind nicht
ganz zu entkoppeln von Denkmängeln. Wer notorisch das Komma nach eingeschobenem
Nebensatz unterschlägt, entwickelt wohl auch keine Meisterschaft darin, unter-
von übergeordneten Gedanken zu unterscheiden.
Nun wäre es zu simpel, dieses Malaise allein dem elektronischen
Schriftverkehr und dessen Tempo anzulasten. Denn auch in anderen Bereichen
schwindet die Bereitschaft, Sorgfalt einzufordern. Wer es tut, erntet
bestenfalls mitleidige, nicht selten abschätzige Blicke – selbst in Kreisen,
die sich eigentlich professionell mit Sprache beschäftigen müssten: Bei
Pädagogen grassiert die Auffassung, das Anstreichen von Fehlern in Aufsätzen
sei zu defizitorientiert und man fördere lieber Kreativität als
Sattelfestigkeit. Und auf Redaktionen wird bald inflationär der Unsitte
gefrönt, indirekte Rede nicht mit dem Konjunktiv zu kennzeichnen. Dass damit
die journalistische Grundregel mit Füssen getreten wird, fremde Aussagen klar
von eigenen abzugrenzen, wird achselzuckend hingenommen.
Ebenso augenfällig ist das schwindende Bewusstsein für vollständigen
Satzbau. Wer mit Bedacht gelegentlich eine Ellipse einstreut, einen
unvollständigen Satz, der wählt damit ein Stilmittel. Wird das Fragmentarische
hingegen zum Normalfall, haben wir ein Problem, das nicht selten auch dem
Verständnis hinderlich ist. Tatsächlich wird nicht nur in Schulaufsätzen die
Syntax mit derartiger Hartnäckigkeit malträtiert, dass es uns bekümmern müsste.
Lieber Haar- statt Sprachpflege
Das ist weniger der Fehler des Nachwuchses als derjenige der
Erwachsenen, die mit gutem Beispiel vorangehen sollten. Wer sich in der Kunst
üben will, Regeln bewusst zu brechen, braucht ein Grundwissen über diese
Regeln. Und diese Basis wird, obwohl man das durchaus lustvoll tun könnte, in
der obligatorischen Schulzeit immer weniger gelegt.
Mit Genugtuung mögen all jene solche Entwicklungen beobachten, welche
Sprachnormen gerne verteufeln mit dem Hinweis, diese hinderten Bildungsferne an
der Teilhabe. Mit solchen Argumenten wird die Grundidee der Aufklärung, alle
Menschen zum Erreichen eines höheren Bildungsstands zu befähigen, unterwandert
und dafür eine Nivellierung nach unten in Kauf genommen. Dabei ist eine
überregionale Schriftsprache mit all ihren Normen doch einst geschaffen worden,
um die überregionale Verständigung zu fördern.
Unseligerweise geht dem geschilderten Schlendrian oft ein Mangel an
Bereitschaft einher, am Sprachstil zu feilen. Leute pflegen ihr Haar, ihre
Haut, ihren Rasen und vielleicht ihr Image. Aber die Sprache zu pflegen, halten
allzu viele allzu oft für lässlich. «Pflegen» heisst laut der westgotischen
Wurzel des Begriffs, sich für etwas einzusetzen. Und sich für Sprache und ihre
Möglichkeiten einzusetzen, wie es im 17. Jahrhundert namentlich die Mönche in
den Klöstern taten, müsste doch auch heute zu den nobelsten Aufgaben zählen.
Denn gute Sprache ist so wenig ein fixer Wert wie akkurate Kleidung – die
Grundlagen sind immer wieder neu zu verhandeln, zu hinterfragen, durch einzelne
Gruppen, aber auch durch die ganze Gesellschaft.
Es geht dabei keineswegs nur um eine Haltung gegenüber fremdsprachlichen
Einflüssen, sei es früher des Französischen oder heute des Englischen (in
Zeiten, da das Schweizer Fernsehen seinen Heimat-Zweiteiler als «Das grosse
TV-Event-Movie» ankündigt). Es geht ebenso um die Frage, wie zielführend die
Gleichmacherei mithilfe geschlechtsneutraler Pluralformen wie «Studierende» sei
oder wie sehr formale Korrektheit noch zum Bildungskanon gehören solle – und in
das Pflichtenheft professioneller Schreiberlinge. Ist es beispielsweise einfach
hinzunehmen, dass dem Zeitdruck des Online-Journalismus die Sorgfalt geopfert
wird, indem Texte oft gar nicht mehr in ausgedruckter Form durchgelesen werden?
Und ja, es geht auch um die Frage, ob Hochschulen wirklich vermehrt auf
Englisch setzen und der deutschen Sprache damit ein wichtiges Entwicklungsfeld
entziehen sollen.
Es gibt Hoffnung, natürlich
Doch halt: Obgleich wir nun leicht kulturpessimistisch geworden sind,
gibt es Hoffnung. Zahlreiche Leserzuschriften auf Artikel, in denen wir
sprachliche Zeiterscheinungen aufs Korn nehmen, belegen ein waches Interesse an
Sprachpflege. Auf NZZ.ch wurde unlängst gar ein simpel konstruierter Rechtschreibtest zum
Renner, und populärwissenschaftliche Bücher zu sprachlichen Zweifelsfällen
finden reissenden Absatz.
Es gibt also noch immer genügend Zeitgenossen, die gerne innehalten
inmitten der Textflut und des Tempodiktats; die nach dem Wort fahnden, das
exakt den Sachverhalt trifft, an Sätzen feilen, bis sie verständlich und
rhythmisch sind. Das ist oft ein Kampf, und wer glaubt, dieser bleibe
professionellen Schreibern erspart, dem sei zum Trost versichert: Selbst wenn
es am Ende im besten Fall so aussehen mag, als wäre alles ganz leicht von der
Hand gegangen, ringen auch wir tagtäglich um Formulierungen. Denn die eigene
Sprache ist wie ein Kind – sie entgleitet uns immer wieder bei all unseren
Bemühungen, sie zu erziehen. Und dafür lieben wir sie.
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