11. August 2017

Umgang mit Lehrern in den Ferien

Kaum sind die Ferien angebrochen, ist wieder Hochsaison für Vorurteile gegenüber Lehrerinnen und Lehrern. Man trifft die Pädagogen auf Grillfesten und bei Einladungen und ist selbst gestresst, weil man das letzte Mal 2012 Ferien gemacht hat. Anstatt auf sich selbst oder den eigenen Chef wütend zu sein, neigt man spontan dazu, sich dem Neid hinzugeben, wenn eine Lehrkraft womöglich ausgeruht und gut gelaunt erscheint.
Im Neid auf die Entspanntheit liegt schon der erste potenzielle Irrtum: Womöglich versteht es die Lehrkraft einfach nur, in der Öffentlichkeit einen wohlkomponierten Eindruck zu vermitteln – schliesslich brauchen Lehrer gute Stressmanagementstrategien. Vielleicht lässt sich also Ihr Gegenüber nur nicht anmerken, wie sehr es sich gerade davor fürchtet, in ein «Die Lehrer . . .»-Gespräch verwickelt zu werden.
Lehrer in den Ferien, NZZ, 11.8. von Kathrin Passig und Ira Strübel


Weil fast jeder schon einmal Lehrer hatte und manche dazu noch Kinder mit weiteren Lehrern, hat auch jeder eine Meinung zu Lehrern. Selten hat sie aber etwas 
mit der anwesenden Person zu tun. Deshalb sollten  Sie dieser Person Ihre Ansichten womöglich ebenso ersparen wie Ihre Schulgeschichten von früher und von ganz, ganz früher.

Dieser Vorschlag gilt natürlich nicht für generell erfreuliche Meinungen: Welche Berufsgruppe hört nicht gerne, dass man sie für zu schlecht bezahlt oder für nicht ausreichend wertgeschätzt hält?

Überraschen Sie Ihr lehrkräftiges Gegenüber damit, dass Sie, anstatt das Ferienkontingent zu tadeln (zum Tadel zählen hier auch Witze), etwas Verständnisvolles sagen. Etwa, dass das gewiss anstrengend sei oder dass Sie das für eine sehr anspruchsvolle Arbeit halten. Eine Frage, die keinen Vorwurf enthält, kann ebenfalls ein Einstieg in ein Gespräch sein.
Gute Fragen können die nach den unterrichteten Fächern sein (nicht gleich «O nein, das hab ich gehasst!» rufen!) oder danach, ob man in den Ferien wegfährt. Eine schlechte Frage ist zum Beispiel «Wird Ihnen nicht langweilig von all dem Halbtags-Nichtstun zwischen den vielen Ferien?».

Verlangen Sie nicht von einer Lehrerin, dass sie sich anhand Ihrer Erzählung ein Urteil über das Verhalten einer anderen Lehrkraft bildet. Und schon gar nicht, dass sie Ihnen recht gibt. Als Hautarzt möchten Sie auf Partys auch nicht den Teint Abwesender besprechen müssen. Ähnlich geht es vielen Lehrern mit den Themen «Lehrer im Allgemeinen», «Schule», «Noten», «Erziehung» und Bildungspolitik überhaupt. Bestimmt gibt es Pädagogen, die zu jeder Zeit die Diskussion zu diesen Themen schätzen. Aber davon können Sie nicht ausgehen. Ausserdem hat just Ihre Gesprächspartnerin das Schweizer Bildungssystem vermutlich auch nicht erfunden. Und wenn sie in Vollzeit als Lehrerin arbeitet, ist sie wahrscheinlich nicht auch noch Strategin im Bildungsdepartement.

Das klingt jetzt schwierig, wird aber ganz einfach, wenn man sich bemüht, alles zu vergessen, was man über den Lehrberuf zu wissen glaubt. Ersetzen Sie im Kopf «Lehrer» durch einen Beruf, zu dem Sie noch nie eine Meinung hatten, zum Beispiel Industrie- und Unterlagsbodenbaupraktiker/in, und schon kann ein entspanntes Gespräch über Death Metal oder Vogelkunde in Gang kommen, wie es sich für die Ferienzeit gehört.

Kathrin Passig lebt als Sachbuchautorin in Berlin, Ira Strübel schreibt und fotografiert in der Nähe von Heidelberg.


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