Kaum sind
die Ferien angebrochen, ist wieder Hochsaison für Vorurteile gegenüber
Lehrerinnen und Lehrern. Man trifft die Pädagogen auf Grillfesten und bei
Einladungen und ist selbst gestresst, weil man das letzte Mal 2012 Ferien
gemacht hat. Anstatt auf sich selbst oder den eigenen Chef wütend zu sein,
neigt man spontan dazu, sich dem Neid hinzugeben, wenn eine Lehrkraft womöglich
ausgeruht und gut gelaunt erscheint.
Im Neid auf die
Entspanntheit liegt schon der erste potenzielle Irrtum: Womöglich versteht es
die Lehrkraft einfach nur, in der Öffentlichkeit einen wohlkomponierten
Eindruck zu vermitteln – schliesslich brauchen Lehrer gute Stressmanagementstrategien.
Vielleicht lässt sich also Ihr Gegenüber nur nicht anmerken, wie sehr es sich
gerade davor fürchtet, in ein «Die Lehrer . . .»-Gespräch verwickelt zu werden.
Lehrer in den Ferien, NZZ, 11.8. von Kathrin Passig und Ira Strübel
Weil fast jeder
schon einmal Lehrer hatte und manche dazu noch Kinder mit weiteren Lehrern, hat
auch jeder eine Meinung zu Lehrern. Selten hat sie aber etwas
mit der anwesenden Person zu tun. Deshalb sollten Sie dieser Person Ihre Ansichten womöglich ebenso ersparen wie Ihre Schulgeschichten von früher und von ganz, ganz früher.
mit der anwesenden Person zu tun. Deshalb sollten Sie dieser Person Ihre Ansichten womöglich ebenso ersparen wie Ihre Schulgeschichten von früher und von ganz, ganz früher.
Dieser Vorschlag
gilt natürlich nicht für generell erfreuliche Meinungen: Welche Berufsgruppe
hört nicht gerne, dass man sie für zu schlecht bezahlt oder für nicht
ausreichend wertgeschätzt hält?
Überraschen Sie
Ihr lehrkräftiges Gegenüber damit, dass Sie, anstatt das Ferienkontingent zu
tadeln (zum Tadel zählen hier auch Witze), etwas Verständnisvolles sagen. Etwa,
dass das gewiss anstrengend sei oder dass Sie das für eine sehr anspruchsvolle
Arbeit halten. Eine Frage, die keinen Vorwurf enthält, kann ebenfalls ein
Einstieg in ein Gespräch sein.
Gute Fragen
können die nach den unterrichteten Fächern sein (nicht gleich «O nein, das hab
ich gehasst!» rufen!) oder danach, ob man in den Ferien wegfährt. Eine
schlechte Frage ist zum Beispiel «Wird Ihnen nicht langweilig von all dem
Halbtags-Nichtstun zwischen den vielen Ferien?».
Verlangen Sie
nicht von einer Lehrerin, dass sie sich anhand Ihrer Erzählung ein Urteil über
das Verhalten einer anderen Lehrkraft bildet. Und schon gar nicht, dass sie
Ihnen recht gibt. Als Hautarzt möchten Sie auf Partys auch nicht den Teint
Abwesender besprechen müssen. Ähnlich geht es vielen Lehrern mit den Themen
«Lehrer im Allgemeinen», «Schule», «Noten», «Erziehung» und Bildungspolitik
überhaupt. Bestimmt gibt es Pädagogen, die zu jeder Zeit die Diskussion zu
diesen Themen schätzen. Aber davon können Sie nicht ausgehen. Ausserdem hat
just Ihre Gesprächspartnerin das Schweizer Bildungssystem vermutlich auch nicht
erfunden. Und wenn sie in Vollzeit als Lehrerin arbeitet, ist sie
wahrscheinlich nicht auch noch Strategin im Bildungsdepartement.
Das klingt
jetzt schwierig, wird aber ganz einfach, wenn man sich bemüht, alles zu
vergessen, was man über den Lehrberuf zu wissen glaubt. Ersetzen Sie im Kopf
«Lehrer» durch einen Beruf, zu dem Sie noch nie eine Meinung hatten, zum
Beispiel Industrie- und Unterlagsbodenbaupraktiker/in, und schon kann ein
entspanntes Gespräch über Death Metal oder Vogelkunde in Gang kommen, wie es
sich für die Ferienzeit gehört.
Kathrin Passig
lebt als Sachbuchautorin in Berlin, Ira Strübel schreibt und fotografiert in
der Nähe von Heidelberg.
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