12. August 2017

Rechtschreibung muss man üben

Schreiben nach Gehör, diese umstrittene Schreiblern-Methode, gerät immer stärker ins Schussfeld der Kritik. Wann ist endlich Schluss mit dem Selbstverwirklichungs-Trip von selbsternannten Experten, die mit Hilfe willfähriger Politiker unsere Schule konsequent an die Wand fahren? Wann beginnen bei uns endlich auch die Eltern, sich Fragen zu stellen und diesem Treiben ein Ende zu setzen? (uk)
Kinder sollen wieder richtig schreiben lernen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.8. von Florentine Fritzen

Immer mehr Bundesländer kehren ganz oder teilweise vom „Schreiben nach Gehör“ in Grundschulen ab. In Baden-Württemberg und Hamburg ist die viel- kritisierte Methode schon verboten – und vorgeschrieben, dass wieder auf korrekte Rechtschreibung geachtet werden muss. Nordrhein-Westfalen erwägt das ebenfalls: Nach Angaben des Schulministeriums lässt Ministerin Yvonne Gebauer von der FDP im nächsten Schuljahr prüfen, wie Rechtschreibung an den Grundschulen vermittelt wird. Derzeit herrscht dort wie in vielen Bundesländern didaktische Freiheit, die Lehrer suchen sich ihre Methoden also selbst aus. Anschließend will Gebauer zügig entscheiden, ob sie das Schreiben nach Gehör, das wissenschaftlich „Lesen durch Schreiben“ heißt, etwa per Erlass verbietet.

Ähnlich äußert sich die neue Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, Karin Prien von der CDU: „Ich habe große Skepsis gegenüber der Methode Lesen durch Schreiben.“ Sie habe deshalb gerade die Entwürfe ihrer Vorgängerin für neue Lehrpläne gestoppt und werde diese gemeinsam mit Fachleuten noch einmal überarbeiten. Priens Parteikollegin Susanne Eisenmann, Kultusministerin von Baden-Württemberg, sagt: „In Mathe war zwei und zwei schon immer vier und nicht ungefähr vier. So muss es auch im Deutschunterricht sein.“ Und Ties Rabe, der Hamburger Schulsenator von der SPD, meint: „Viele Lehrer haben zu lange geglaubt, dass Kinder richtiges Schreiben mit Hilfe genialer Unterrichtsmethoden im Vorbeigehen lernen. Aber Rechtschreibung muss man echt üben.“
Auch Eltern und Pädagogen sehen mit Sorge, dass Kinder und Jugendliche die deutsche Rechtschreibung immer schlechter beherrschen. Beim Schreiben nach Gehör verfassen Schüler von Anfang an kleine Texte, ohne dass die Lehrerin Fehler verbessert. Diktate gelten als verpönt. Die Folge: Im Bewusstsein der Kinder verfestigt sich, dass richtiges Schreiben nicht so wichtig ist. „Dabei wollen Kinder gleich das Richtige lernen, wollen wie die Erwachsenen schreiben“, sagt die Potsdamer Grundschulpädagogin Agi Schründer, die Politiker als Expertin berät.

In Schulen herrscht ein Methodenmix
„Die derzeitige Generation von Schülern liest und schreibt so wenig wie keine zuvor, zumindest, was volle, komplexere Sätze betrifft“, sagt der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger. Wenn die Jugendlichen dann Bewerbungsschreiben verfassten, träfen sie auf eine „knallharte Gegenwelt“: „Da steht richtiges Schreiben für Zuverlässigkeit, Verlässlichkeit und Ordnungssinn.“ Derzeit herrscht in den Schulen oft ein Methodenmix; auf der reinen Lehre des „Lesens durch Schreiben“ aus den siebziger Jahren beharren nur noch wenige. Aber in der Nachfolge des auch in Deutschland tätigen, inzwischen verstorbenen Schweizer Pädagogen Jürgen Reichen unterstellen immer noch viele Lehrer, dass sich Kinder durch die Lust am Verfassen zusammenhängender Texte die Rechtschreibung mehr oder weniger selbst aneignen.
Aus Sicht der Kritiker benachteiligt das Schreiben nach Gehör vor allem Kinder mit Migrationshintergrund, aber auch solche aus bildungsfernen Familien. Deren Eltern könnten nachmittags nicht mit ihren Kindern üben, richtig zu schreiben. Ein weiteres Problem ist für Kinder mit anderer Muttersprache die oft verwendete Anlauttabelle: Zu jedem Buchstaben ist darin ein Gegenstand abgebildet, der mit diesem Buchstaben beginnt; damit klauben sich Erstklässler Buchstabe für Buchstabe ihre Wörter zusammen. Aber ausländische Kinder verbinden mit den Bildern natürlich andere Laute.

In Baden-Württemberg wurde das Schreiben nach Gehör verboten, nachdem das Land in Rechtschreibvergleichen abgesackt war. Kultusministerin Eisenmann forderte Ende vorigen Jahres alle Schulen in einem Brief auf, von der Methode abzulassen. Jetzt spiele „Orthographie ab Klasse eins wieder eine Rolle“. Für die promovierte Germanistin geht es dabei auch um die Frage, wie die Gesellschaft mit ihrer eigenen Kultur umgeht: „Die mediale Welt verkürzt unsere Sprache. Wir müssen deshalb auch darauf achten, dass wieder mehr Bücher gelesen werden.“

Der Hamburger Bildungssenator Rabe hat schon 2014 im Rahmen einer „Rechtschreiboffensive“ verhindert, dass Kinder nicht auf richtige Schreibweisen achten mussten. Jetzt gehe es darum, den Lehrern „immer wieder zu sagen, wie wichtig Rechtschreibung ist – auch vor dem Hintergrund, dass immer neue Stoffe und Themen in die Grundschulen dringen, von Fremdsprachen über Theater bis zu Ernährung“, sagt Rabe. In Bayern wird „Lesen durch Schreiben“ ebenfalls nicht angewendet – wie in Hamburg gibt es dort einen verbindlichen Grundwortschatz von rund 800 Wörtern. Der soll am Ende der Grundschulzeit sitzen; immerhin diese Wörter müssen dann also richtig geschrieben werden.

In Hessen arbeiten Lehrer zwar nach wie vor viel mit Anlauttabellen und nach dem Prinzip, dass es eine „Kinderschreibweise“ gibt und, davon abgehoben, eine „Erwachsenenschreibweise“, die für alle verbindlich gilt. Aber auch dort legt das Kultusministerium Wert darauf, dass von Anfang an auf korrektes Schreiben geachtet werde. Und im neuen Schuljahr sollen mehr als fünfzig hessische Schulen probeweise mit einem am bayerischen Grundwortschatz orientierten Wortschatz arbeiten.


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