5. Juli 2017

Bez-Schüler mit Unterricht bis zum Schluss

Ganz unterschiedlich gehen die Aargauer Bezirksschulen mit der Herausforderung um, die sich ihnen in diesen Tagen stellt. Erstmals seit einem halben Jahrhundert müssen die Schülerinnen und Schüler bis zum allerletzten Schultag den Unterricht besuchen. Was auf dem Papier ganz simpel aussieht, erweist sich in der Praxis als eine ziemlich anspruchsvolle Aufgabe.
Plötzlich Unterricht bis zum bitteren Ende - Schüler und Lehrer vor den Ferien wieder gefordert, Aargauer Zeitung, 4.7. von Jörg Meier


Bisher waren die Bezirksschüler privilegiert. Der Unterricht der Abschlussklassen wurde bereits jeweils rund drei Wochen, bevor das Schuljahr offiziell zu Ende war, eingestellt und die Schülerinnen und Schüler aus der Schule entlassen. Doch mit den vorzeitigen Ferien ist nun Schluss. Weil es nach einem halben Jahrhundert keine Abschlussprüfung mehr gibt, müssen nun auch die Viertbezler bis zum letzten Tag die Schule besuchen. Neu lösen die Viertbezler in den allerletzten Schultagen auch noch den Check S3. Diese Änderungen erfordern Anpassungen im Schulbetrieb und führen mitunter zu kuriosen Situationen.

«Die längere Dauer des Schuljahres für die Viertbezler hat zu einer Entschleunigung geführt», sagt Paul Bitschnau, Schulleiter der Bezirksschule Wohlen. «Es bleibt nun Platz für Tätigkeiten, für die vorher die Zeit gefehlt hat.»
Es sei anspruchsvoll gewesen, die letzten Schulwochen zu gestalten, aber man sei auf gutem Weg. So entschied man sich in Wohlen für eine Projektwoche zum Thema «Herausforderung», die den Schülerinnen und Schülern ganz neue Erfahrungen ermöglichen und sie auch an ihre Grenzen führen soll.

Weisung sorgt für Unmut
Bitschnau sieht den Verzicht auf die Abschlussprüfung vor allem als Chance. Der permanente Druck auf die Schüler, den die Affiche «Abschlussprüfung» über Jahre ausgeübt hat, sei verschwunden. Nun eine interne Abschlussprüfung einzuführen, wie das andere Bezirksschulen erwägen, findet Bitschnau deshalb keine gute Lösung. «Denn sie würde bloss wieder das Learning-for-the-test-feeling erzeugen», befürchtet er. Den Check S3, den auch die Wohler 4. Bezler alle absolviert haben, hält Bitschnau für organisatorisch aufwendig. «Die Rückmeldungen zu gewissen Prüfungsteilen sind zu wenig aussagekräftig», kritisiert er. Er hat auch festgestellt, dass sich viele Schüler ziemlich lustlos durch die verschiedenen Aufgaben klicken.

Für Unmut sorgte an der Bez Wohlen die kurzfristig eingetroffene Weisung des Bildungsdepartements (BKS), die verlangt, dass bis zum letzten Tag vor Ferienbeginn unterrichtet werden muss.

«Wir haben die Schlussfeier auf den Mittwoch angesetzt. Die Weisung des BKS führt nun dazu, dass nach der Schlussfeier die Schülerinnen und Schüler nochmals zwei Tage in die Schule kommen müssen.» Das sei geradezu eine Einladung an die Schüler für Saubannerzüge aller Art.

Grossmutter aus Japan verpasst Feier
In Spreitenbach hat genau diese Weisung des BKS zu einer grotesken Situation geführt: Die Schlussfeier, die bereits lange voraus angesetzt war, musste kurzfristig verschoben werden. Es wäre absurd gewesen, die Schüler nochmals zehn Tage lang in die Schule zu zwingen, nachdem man sie bereits feierlich verabschiedet hat. Also wurde die Schlussfeier nachträglich nach hinten verschoben. Was allerdings dazu führte, dass eine Grossmutter aus Japan, die bereits fix den Flug für die Schlussfeier des Enkels gebucht hatte, diese verpasst hat. Das verschobene Abschlussfest findet nun erst statt, wenn die Grossmutter bereits wieder in Japan ist.

«Es wäre sinnvoller gewesen, der Kanton hätte früher kommuniziert oder den Schulen für die Umsetzung eine Übergangszeit bis zum nächsten Schuljahr gewährt», sagt Schulleiter Roger Stiel. Dann wäre auch die Grossmutter aus Japan nicht vergeblich angereist.

Unterschiedliche Ansichten
Für Roger Stiel ist es nur fair, dass nun auch die Bezirksschüler bis zum Ende des Schuljahres durchhalten müssen; bei den Sekundar- und Realschülern war das seit je so. Die letzten Schulwochen in Spreitenbach werden von traditionellen, schulspezifischen Anlässen wie Sporttag, Rummelplatz oder Hungermarsch aufgelockert. Man probt auch für die anstehenden Abschlussfeiern. Natürlich sei überall eine gewisse Schulmüdigkeit feststellbar, sagt Stiel, aber das sei wohl normal.
Nach den Sommerferien trifft sich eine Arbeitsgruppe, die aufgrund der gemachten Erfahrungen versucht, den letzten Monat zu optimieren. «Dass man mit der Abschlussprüfung nun definitiv abgefahren ist, finde ich richtig. Denn sie hatte längst an Bedeutung verloren», sagt Stiel.

Anders sieht das Christoph Wartler, Schulleiter der Bezirksschule Entfelden: «Ich war ein Fan der klassischen Bezirksabschlussprüfung», sagt Wartler. «Ich finde es schade, dass es sie nicht mehr gibt.» An der Bezirksschule Entfelden gibt es kein Spezialprogramm für die letzten Schulwochen der Viertbezler.

Der Unterricht erfolgt weiterhin nach Stundenplan. «Aber wir nutzen die Chance, um einzelne Themen zu vertiefen oder zu repetieren», erklärt Schulleiter Wartler. So machen Schülerinnen und Schüler, die an weiterführende Schulen wechseln, zum Beispiel in der Mathematik bereits Bekanntschaft mit Kanti-Themen. «Da kommt es uns entgegen, dass die Schülerinnen und Schüler aus den vier Jahren Bezirksschule kooperative Lernformen bereits sehr gut kennen und anwenden können.» Auch an der Bezirksschule Entfelden hat man nach der Weisung des BKS im Nachhinein die Abschlussfeier um einen Tag nach hinten verschoben. Sie findet nun am Dienstag der letzten Schulwoche statt.

Kritik am Check S3
«Die Checks S2 und S3 halte ich für gute Standortbestimmungen. Für die Schülerinnen und Schüler hat der Check S2 einen höheren Stellenwert als der Check S3, weil dieser teilweise bei Bewerbungen um Lehrstellen von den Lehrbetrieben eingefordert wird», sagt Wartler.

Auch die Viertbezler der Schule Rheintal-Studenland in Bad Zurzach haben den Check S3 absolviert, erklärt Schulleiter Stascha Bader.

Allerdings sei der Check für die einzelnen Schüler ohne Bedeutung und deshalb auch entsprechend entspannt angegangen worden. Diese letzten Schulwochen ohne Notendruck sei doch eine gute Möglichkeit, all jene Themen und Projekte anzugehen, die bisher nicht möglich waren, sagt Stascha Bader. Und so anders sei die Situation ja nicht: Auch mit der Abschlussprüfung wussten viele Schüler schon Monate vorher, wie es für sie weitergeht, sie brauchten sich keine Sorgen zu machen. Und sie hätten trotzdem nicht nachgelassen, sondern in einzelnen Fällen gar noch einen Zacken zugelegt. «Und dieses Jahr ist es nicht anders», sagt Bader.

Neu mit Abschlusszertifikat
Neu erhalten die austretenden Bezirksschülerinnen und -schüler ein Abschlusszertifikat. Es enthält die Noten, die Ergebnisse des Checks S3 und allenfalls eine Bewertung der Arbeit aus dem Projektunterricht. «Hier geht es um einen Kulturwandel», sagt Martin Schaffner, Präsident des Aargauer Bezirkslehrervereins. «Es braucht noch etwas Zeit, bis das Zertifikat den richtigen Stellenwert erhält.» Auch wenn der Check S3 bei weitem noch nicht perfekt sei; er sei eine gute Sache und werde sich etablieren.

Das Bildungsdepartement betreibe einen grossen Aufwand, damit die Tests funktionieren. «Aber das Argument, mit dem Verzicht auf die Abschlussprüfung könnten 255 000 Franken eingespart werden, ist mit der zähen Einführung des Checks S3 wohl hinfällig geworden», sagt Schaffner. Und auch er bestätigt, dass der Check S3 für den Kanton bedeutender sei als für den einzelnen Schüler. Nach den Ferien will der BLV die Lehrpersonen zur neuen Situation befragen.

Neben all diesen Diskussionen um die Bezirksschule gibt es noch eine Änderung zu vermelden, welche die ganze Oberstufe betrifft: Nach Beginn der Umstellung auf 6/3 im Schuljahr 2014/15 verlassen nun Anfang Juli die allerletzten Oberstufen-Viertklässler die Volksschule. Damit geht eine über 150-jährige Tradition zu Ende.


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