11. Juni 2017

Kontroverse um Impfpflicht

In Kinos in Zürich und Uzwil (SG) läuft derzeit der Film «Vaxxed – die schockierende Wahrheit». Darin behaupten Impfgegner einen Zusammenhang zwischen Mehrfach-Impfungen gegen Masern, Mumps und Röteln und dem Entstehen von Autismus.
Da die Pendlerzeitung «20 Minuten» für den Film warb, wandten sich entsetzte Ärzte und Wissenschafter in einem Brief an die Redaktion. Sie bezeichnen den Streifen als Lügen-Film, der die Bevölkerung gefährde.
Adriano Aguzzi kritisiert Film, Bild: NZZaS
Impfobligatorium für Schulkinder, NZZaS, 11.6. von Andreas Schmid

Öffentlicher Widerspruch
Zu den Absendern des Schreibens gehört der international renommierte Forscher Adriano Aguzzi von der Universität Zürich. Er kritisiert die Aussage des Films als unverantwortlich. Der Direktor des Instituts für Neuropathologie am Zürcher Universitätsspital betont, er sei gegen Zensur und plädiere deshalb nicht dafür, den Streifen zu verbieten. Aber er sehe es als seine Pflicht an, die falschen Behauptungen öffentlich zu widerlegen. «Es ist mit letzter Sicherheit belegt, dass zwischen Impfstoffen und Autismus kein Zusammenhang besteht», sagt Aguzzi. Gewöhnlich wird heute ein gemeinsamer Impfstoff gegen Masern, Mumps und Röteln verwendet, der auch in Apotheken abgegeben wird.

Die Impf-Moral in der Schweiz sei jetzt schon katastrophal, und mit dem Film drohe eine weitere Verschlechterung, stellt Aguzzi fest. Darum fordert er die Einführung einer Impfpflicht. «Nur mit einem Obligatorium gelingt es, die Bevölkerung zu schützen.» Es gehe auch darum, an Immunkrankheiten oder Krebs leidende Kinder, die nicht geimpft werden könnten, vor einer Ansteckung mit Masern zu bewahren. Die Handhabe des Obligatoriums stellt sich Aguzzi so vor, dass nur geimpfte Kinder in Schule und Kindergarten aufgenommen werden sollen. Italien praktiziere dieses Modell mit Erfolg.

Die Masern waren laut Aguzzi fast ausgerottet, doch Verschwörungstheoretiker hätten in den letzten Jahren mithilfe der sozialen Netzwerke einen grossen Rückschritt bewirkt. «Obwohl ein günstiger Impfstoff vorhanden ist, sterben jedes Jahr mehr als 70 000 Kinder an Masern», sagt Aguzzi. Wer Impfungen verhindere, begehe Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
In den Kinos Italiens wurde der Film nicht gezeigt. Die Betreiber verzichteten geschlossen und aus eigenen Stücken darauf, weil sie eine fatale Wirkung befürchteten.
Die Promotoren von «Vaxxed» machen dagegen geltend, der Streifen basiere auf Fakten und wissenschaftlich erhärteten Studien, und die Kinobetreiber in Zürich und Uzwil stellen sich auf den Standpunkt, das Publikum solle sich selber eine Meinung bilden. Er sei zudem auch von Ärzten animiert worden, den Film zu zeigen, sagt Pascal Nussbaum vom Uzwiler Kino City.

Daniel Dauwalder, Sprecher des Bundesamts für Gesundheit (BAG), widerspricht der Aussage des Films vehement: Der Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus sei mehrfach und gründlich widerlegt. «Durch stete Wiederholung werden Unwahrheiten nicht wahrer», sagt Dauwalder. Gegen den Film gehe man aber nicht vor, denn das BAG sei keine Zensurbehörde. Vielmehr versuche es, die Bevölkerung sowohl über die Vorteile als auch über die Risiken des Impfens aufzuklären. Ein Impf-Obligatorium, wie es Professor Aguzzi proklamiert, stehe nicht zur Diskussion.

Ziel nicht erreicht
Laut dem BAG sind 93 Prozent der 16-Jährigen vor einer Masern-Ansteckung geschützt, sie wurden also zweimal geimpft. Die angestrebte Rate von 95 Prozent ist damit nicht erreicht, was zur Folge hat, dass die Krankheit immer wieder ausbrechen kann und ihre Ausrottung nicht absehbar ist. Das Bundesamt weist aber darauf hin, dass die Durchimpfungsrate in den letzten Jahren zugenommen habe und die kantonalen Unterschiede schwänden.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen