18. Juni 2017

Knutschverbot auf Pausenplatz

Die Walliser Schul­gemeinde Stalden geht gegen ­turtelnde Schüler vor. Schmusen ist tabu. Die Schule hat per Hausordnung ein Kussverbot verhängt. Wörtlich heisst es im Reglement: «Auf dem gesamten Schulareal wird nicht geknutscht.»
Knutschverbot auf dem Pausenplatz, Sonntagszeitung, 18.6. von Nadja Pastega


«Wir haben das auf dieses Schuljahr eingeführt», sagt Schuldirektorin Christine Wenger. Anlass seien allzu innig verliebte Oberstufenschüler gewesen. «Wir hatten mehrere Pärchen, die zwischen den Stundenwechseln und auf dem Pausenplatz ständig geknutscht haben», sagt Wenger. Bei einigen sei es nicht beim Schmusen geblieben. «Man muss schon fast von Fummeln reden», sagt Wenger. «Das hat die Lehrer und Mitschüler gestört.»
Mit der Anti-Kuss-Regelung wolle die Schule «ein Zeichen setzen». Bei einem Verstoss gegen das Knutschverbot droht den Sündern eine Strafaufgabe. Wenger: «Zum Beispiel eine Stunde nachsitzen oder das Abschreiben der Hausordnung.»

Auf seine Aufgabe als Mensch und Christ vorbereiten
Stalden ist eine Nachbargemeinde von Visp im deutschsprachigen Teil des Kantons Wallis. An der Orientierungsschule, wie die Oberstufe hier heisst, drücken jährlich 60 bis 70 Jugendliche die Schulbank. Sie sind 13- bis 16-jährig. Zum Schulzentrum Stalden gehört auch ein Kindergarten und eine Primarschule mit aktuell 87 Schülern. Die Hausordnung gilt für alle SchülerFormularende

Die Einführung der Knuddelsperre auf dem Schulgelände habe für keinerlei Diskussionen gesorgt, heisst es in Stalden. Alle Schüler würden sich daran halten. Trotzdem stellt sich die Frage: Darf eine Schule das Knutschen überhaupt verbieten? «Für die Regelung eines Kussverbots braucht es eine gesetzliche Grundlage, ein öffentliches Interesse und die Einhaltung des Verhältnismässigkeitsprinzips», sagt Margrit Weber-Scherrer.
Die auf Schulrecht spezialisierte Anwältin hat das kantonale Gesetz über das öffentliche Unterrichtswesen konsultiert. «Gemäss diesem Gesetz gehört es im Wallis zu den Aufgaben der Schule, den Schüler auf seine Aufgaben als Mensch und Christ mittels sittlicher Erziehung vorzubereiten», sagt die Juristin. Rechtlich sei das Kussverbot daher wohl zulässig. «Für das Schulareal als öffentlichen Raum dürfte ein Kussverbot nach lokaler Ansicht wohl auch im öffentlichen Interesse liegen», sagt Weber-Scherrer. «Das grösste Fragezeichen habe ich bei der Verhältnismässigkeit. Muss Küssen wirklich völlig verboten werden?»

Krach ums Kruzifix im Schulzimmer
Skeptisch ist auch Allan Guggenbühl. «Ein Verbot ist nur sinnvoll, wenn sich das Knutschen an einer Schule epidemieartig ausbreitet», sagt der Zürcher Kinder- und Jugendpsychologe. «Meist machen das aber nur wenige.» In diesen Fällen, so Guggenbühl, «ist ein Verbot übertrieben».

An der Orientierungsschule Stalden unterrichtete früher auch der Walliser Lehrer und Freidenker Valentin Abgottspon. Er wurde 2010 fristlos entlassen, nachdem er das Kruzifix an der Wand seines Schulzimmers abgehängt hatte. Bis heute liegt er mit der regionalen Schulbehörde im Rechtsstreit um Lohnnachzahlungen und Genugtuung.

Das Knutschverbot von Stalden habe ihn «nicht sehr überrascht», sagt der geschasste Pädagoge. Schon früher hätten sich Behörden und einige Lehrerkollegen «nicht durch allzu viel Offenheit und Fortschrittlichkeit ausgezeichnet.» Zuneigung dürfe an dieser Schule offenbar nicht gezeigt werden, sagt Abgottspon. «Aber für Kruzifixe, an denen tote Menschen hängen, gehen sie bis vors jüngste Gericht.» 


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