25. Juni 2017

20-jähriger Umweg

Gegen seinen Willen musste der damalige Regierungsrat Hansruedi Striebel (FDP) nach einer Volksabstimmung die Schulreform umsetzen.
Striebel musste die WBS gegen seinen Willen einführen, Bild: Juri Junkov
"A-Zug war das Ghetto für Fremdsprachige", Schweiz am Wochenende, 24.6. von Benjamin Rosch

Herr Striebel, wie würden Sie die WBS beschreiben?
Hansruedi Striebel: Die WBS ist nie zur vollen Entfaltung gelangt. Kaum wurde sie geschaffen, erfuhr sie erste Veränderungen. Aus diesen ist sie bis zum Ende nicht mehr herausgekommen.

Welches waren denn die Hauptprobleme?
Bald nach der Lancierung führte man zwei Züge ein: Einen A-Zug für die schwächeren und einen E-Zug für stärkere Schüler. Der A-Zug hat sich schnell zu einem Ghetto für Fremdsprachige gewandelt. Viele Basler Eltern wollten ihre Kinder nicht in den A-Zug schicken. Dies hat zu einer Spaltung, nicht nach Wissen und Können, sondern nach Sprachen geführt. Das war sehr schade. Der Nutzen einer sprachlichen Durchmischung hat sich kaum eingestellt.

Zur WBS hatten Sie später auch einen persönlichen Bezug: Ihre Tochter hat dort als Lehrerin unterrichtet. Wie hat dies Ihre Optik verändert?
Meine Tochter hat beide Züge unterrichtet. Sie hat ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Sie hatte sehr ruhige Schüler, aber auch schwierige. Manche wollten sich einfach durchschlagen mit dem Gedanken, es werde schon irgendwann ein Job auftauchen. Die Idee war aber, dass die WBS die Kinder systematisch auf eine Lehre vorbereiten sollte, auch auf anspruchsvolle. In vielen Fällen gelang dies, in anderen nicht. Insbesondere im A-Zug ist dies mehrheitlich schlecht gelungen. Ich habe meine Tochter immer bewundert, wie sie für die Schüler geweibelt hat. Sie knüpfte schon während der Schule mit zukünftigen Lehrmeistern Verbindungen.

Mit der Schulreform ist Basel vorgeprescht. Was wollte man damit bezwecken? Als ich 1984 mein Amt antrat, lag die regierungsrätliche Antwort auf einen Anzug vor, der die Einschulung ins Gymnasium weiter hinausschieben wollte. Damals wurde schon in der vierten Primarklasse darüber entschieden, wer das Gymnasium, die Real- oder die Sekundarschule besuchen sollte. Die Regierung hatte darauf aber keine Antwort gegeben, sondern wollte den Status quo beibehalten. Dann ging dieser Anzug in die Kommission: Dort hatte die Lehrerschaft die Oberhand. Diese wollte sich an Bremen und anderen deutschen Städten orientieren. Es war auch viel Stolz dabei. So entstanden die Orientierungsschule und die WBS.

Wie standen Sie zu diesem Projekt?
Es geschah gegen meinen Willen. Ich wollte mit der Reorganisation endlich die Harmonisierung mit den anderen Kantonen erreichen und schlug der Kommission eine Primarschule von sechs Jahren Dauer vor. Doch dabei fehlte mir die Rückendeckung – auch von den Mitgliedern meiner Fraktion. Nun kommt die Harmonisierung doch. Den Umweg von 20 Jahren hätte man sich sparen können.

Auf den Schulhöfen fand eine Trennung zwischen WBSlern und Gymnasiasten statt. Hat die Schulreform dies gefördert?
Da hat man wenig darüber nachgedacht. Das schlechte Image der WBS entstand auch durch den starken Anstieg des Fremdsprachenanteils. Dies geschah in den 90er-Jahren – damit hatte man nicht gerechnet. Dies hat die soziale Durchmischung, die Grundidee der Schulreform, verunmöglicht.

Auch die Lehrer am Gym blickten zum Teil auf die WBS herab.
Wir brauchten schnell viele Lehrer. Dazu hatte man auch Schnellbleichen in Form von Weiterbildungen gemacht, was vielen Etablierten nicht passte.

Woran denken Sie, ist die WBS zuletzt gescheitert?

Am Schluss hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass wir harmonisieren müssen. Jede Reform hat ihre Zeit, damals war der Boden noch nicht genügend geebnet. Früher war nicht einmal der Schulanfang überall gleich. Man hat zudem nicht berücksichtigt, dass viele Schüler sprachlich so benachteiligt sind, dass sie keinen Anschluss finden. Zu meinem Abschied aus der Regierung habe ich ein Arbeitspapier hinterlassen. In diesem habe ich den Vorschlag thematisiert, dass man die fremdsprachigen Kinder in den ersten ein bis zwei Jahren ihrer Schulzeit in ihrer Sprache abholen sollte: Ein Teil des Unterrichts sollte auf Türkisch, Portugiesisch oder Bosnisch stattfinden. Damit würde ein generelles Gefühl für die Grammatik, die eigene Sprache und damit die Integration gefördert. Die komplette Konfrontation mit der deutschen Sprache ist eine hohe Barriere.

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