Die Bündner können sich dank des
Bundesgerichts dazu äussern, ob es Sinn macht, schon in der Primarschule
zwei Fremdsprachen zu lernen.
Steiniger Weg für die Bündner Fremdspracheninitiative, Südostschweiz, 29.5. von
Jöri Luzi,
Christian Aliesch, Urs Kalberer, Andy Kollegger und Jürg Michel
Die Fremdspracheninitiative verlangt,
dass in Bündner Primarschulen nur noch eine Fremdsprache obligatorisch
unterrichtet wird. In deutschsprachigen Regionen soll es Englisch sein, in
romanisch- und italienischsprachigen Regionen Deutsch. Darüber sollte eine
Diskussion im Volk stattfinden, denn die heutige Regelung mit zwei
promotionsrelevanten Fremdsprachen in der Primarschule wurde unverfroren am
Volk vorbei eingeführt.
Die Initianten hatten die Rechnung
ohne die Politik gemacht. Diese bestellte einen hochdekorierten
ausserkantonalen Professor, der die Gründe für die Ungültigkeit feststellte.
Über ein Dutzend Verletzungen gegen übergeordnetes Recht wurden ins Feld
geführt. Die Initiative wurde vom Grossen Rat mit satten 82:30 Stimmen für
ungültig erklärt. Befürchtet wurde, dass eine allfällige Umsetzung den
Sprachenfrieden in Graubünden störe, zu ungleichen Voraussetzungen für die
Schüler führe, sehr viel teurer zu stehen komme und eigentlich gar nicht
umgesetzt werden könne. Am deutlichsten sagte es Regierungsrat Martin Jäger am
Tag der Urteilsverkündung in Lausanne: «Ich bin heute nicht sehr glücklich,
weil ich weiss, dass das, was auf uns zukommt, eine Belastung gibt zwischen den
Sprachregionen.» Klarer hätte nicht artikuliert werden können, dass die
Initiative unbequem ist, im Volk durchaus Anklang finden könnte und darum wohl
am besten schon von Anfang an abgewürgt werden sollte.
Weder Verwaltungsgericht noch
Bundesgericht folgten der Argumentation des Grossen Rats und der Regierung. Die
Initiative verstösst in keinem Punkt gegen übergeordnetes Recht. Die schriftliche
Begründung des Bundesgerichtsurteils steht noch aus. Die Initianten wollen,
dass sich die Bündner dazu äussern können, ob es Sinn macht, in der
Primarschule obligatorisch zwei Fremdsprachen zu lernen, ob dies nicht eine
Überforderung der durchschnittlichen Schüler ist und ob der grosse Aufwand, der
dahintersteht, gerechtfertigt ist. Wir denken, dass es Sinn macht, zuerst
einmal die Muttersprache richtig, dann in der Primarschule eine Fremdsprache,
die den Kindern Freude macht, und in der Oberstufe eine weitere Fremdsprache zu
lernen. Letztendlich erreicht die Initiative Folgendes: Die Schüler werden die
obligatorische Volksschule mit den gleichen (sehr wahrscheinlich sogar besseren
Sprachkenntnissen) verlassen als mit dem heutigen Modell. Dies wird aber gegenüber
heute in anderen Schritten erreicht.
Die Bündner Politik weiss genau, dass
das jetzige Modell schweizweit ein Unikat ohne Anschlusslösungen ist, keine
Harmonisierung mit anderen Kantonen besteht, die Mobilität junger Familien
stark eingeschränkt wird und unter den eigenen Sprachregionen schon heute
krasse Ungleichheiten bestehen.
Oft wird dem Bundesgericht in
Lausanne Weltfremdheit vorgeworfen. Hier hat das höchste eidgenössische Gericht
das Gegenteil bewiesen und wie das kantonale Verwaltungsgericht gezeigt, dass
Vernunft vor Politik kommt. Gut so. Vier Jahre nach Lancierung der Initiative
dürfen – man muss wohl eher annehmen, müssen – Regierung und Grosser Rat sich
mit dem Inhalt der Initiative auseinandersetzen. Die Chance, die Vernunft
walten zu lassen, bleibt bestehen. Ob sie unsere Behörden nutzen? Unsere Kinder
verdienen diese Chance.
Jöri Luzi, Klosters; Christian Aliesch,
Chur; Urs Kalberer, Malans; Andy Kollegger, Chur; und Jürg Michel, Grüsch, sind
Initianten der Bündner Fremdspracheninitiative.
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