16. Mai 2017

Schulleitung häufig im Fokus bei Lehrerwechseln im Kanton Zürich

Fast ein Drittel der Lehrer verlässt per Ende Schuljahr die Schule in Fehraltorf. 23 sind es insgesamt. Hintergrund sind Konflikte mit der Schulleitung, wie der «Zürcher Oberländer» berichtete.
Doch Fehraltorf ist nicht die einzige Schule im Kanton, die gleich mehrere Abgänge verkraften muss. An der preisgekrönten Primarschule Brühlberg in Winterthur haben gar alle acht Lehrer auf den Sommer gekündigt. Und an der Stadtzürcher Tagesschule Bungertwies rumort es schon länger – auch hier haben mehrere Lehrpersonen die Schule verlassen.
"Ein Kind darf kein Spielball der Umstände sein", Tages Anzeiger, 15.5. von Hannes Weber


Die Konflikte und Kündigungen bringen vor allem die Eltern in Aufruhr. Was aber bedeutet ein Wechsel des Lehrers für die Schüler? Darüber haben wir mit dem Jugendpsychologen Matthias Federer gesprochen.

Wie wichtig sind konstante Lehrpersonen für Schülerinnen und Schüler?
Konstanz ist für ein Kind allgemein wichtig. Es sollte möglichst zuverlässige und wohlwollende Menschen im Umfeld haben. Neben den Eltern und unter Umständen den Grosseltern ist vor allem bei kleinen Kindern die Lehrerin oder der Lehrer eine der wichtigsten Bezugspersonen in ihrem Leben. Je jünger das Kind ist, desto wichtiger ist die Lehrperson.

Inwiefern hilft die Beziehung zu einer Lehrperson den Schülern beim Lernen?
Das Lernen ist für die meisten Kinder grundsätzlich etwas Positives. Kinder wollen sich Kompetenzen aneignen. Wie erfolgreich sie das können, hängt sehr stark von der Lehrperson ab. Das zeigen auch alle Forschungen. Wenn man verschiedene Schulmodelle sowie Unterrichts- und Klassenformen auf ihre Wirksamkeit bezüglich Schulerfolg untersucht, so fällt auf, dass bei allen die Lehrperson einen sehr grossen Einfluss hat.

Welchen Einfluss hat die Lehrperson über den Lernerfolg hinaus?
In der Schule wird nicht nur gelernt. Sie ist für die Kinder auch ein sozialer Ort. Und auch die Gestaltung dieses Ortes ist sehr stark von der Lehrperson abhängig. Deshalb hat sie auch auf das soziale und emotionale Umfeld des Kindes viel Einfluss. Es geht nicht nur um effizientes Lernen, sondern auch um das Wohlbefinden des Kindes im Schulhaus und in der Klasse.

Was passiert, wenn eine Lehrperson geht? Welche Folgen kann dies haben?
Nicht jeder Wechsel muss schlecht sein. Es kommt ganz darauf an, wer die Lehrperson war. Und wer nachfolgt. Positiv kann sich ein Wechsel auswirken, wenn eine neue Lehrperson eine bessere Beziehung zum Kind aufbauen kann als die alte. Grundsätzlich ist ein Kind bereit, sich auf Neues einzulassen, und kann einen Wechsel bewältigen. Der erste Wechsel folgt ja bereits vom Kindergarten in die Schule. Das kann mit Ängsten verbunden sein, funktioniert bei den meisten Schülern aber gut – wenn sie auf eine durchschnittlich gute Lehrperson stossen. Dazu kommt, dass Kinder in der Schule meist mehrere Lehrpersonen haben, beispielsweise weitere Fachlehrer nebst der Klassenlehrperson. In vielen Fällen wechseln also nicht alle Lehrpersonen.

Was bedeutet es für ein Kind, wenn es mit vielen Wechseln innert kurzer Zeit konfrontiert wird?
Grundsätzlich ist es wünschenswert, dass ein Kind möglichst lange bei einer guten Lehrkraft bleiben kann. Und dass es möglichst schnell von einer Lehrkraft wegkommt, die ihm nicht guttut. Schlecht ist es, wenn ein Kind das Gefühl hat, es sei Spielball der Umstände. Es sollte nicht von einem Ort zum anderen geschubst werden. Da sind die Eltern aber wahrscheinlich stärker in der Pflicht als die Schule.

Stichwort Eltern: Was können die Eltern bei einem Wechsel tun?
Auf dieser allgemeinen Ebene ist es schwierig, eine Antwort zu geben. Grundsätzlich müssen Eltern begreifen, dass die Schule eine Zwangsinstitution ist. Die Schulpflicht ist der viel grössere staatliche Eingriff in die persönliche Freiheit des Einzelnen als die Militärpflicht. Sie bestimmt das Durchschnittsleben ungefähr 25 Jahre lang – als Schüler und Mutter oder Vater. Dafür hat sich unsere Gesellschaft aus guten Gründen entschieden. Aber das heisst auch: Die Schule nimmt den Eltern einen Teil der Verfügungsgewalt über die Kinder weg. Das kann schmerzlich sein. Trotzdem lautet ein genereller Tipp für die Eltern, dass sie das bis zu einem gewissen Grad akzeptieren sollen.

Also sollten Eltern beispielsweise jeden Wechsel einfach hinnehmen?
Es liegt im Interesse des Kindes, dass sie nicht permanent gegen alles ankämpfen, was in ihren Augen nicht perfekt läuft. Sonst kommt das Kind in einen Loyalitätskonflikt. Es gilt abzuwägen: Wo muss ich als Mutter, als Vater etwas laufen lassen? Und wann muss ich eingreifen, weil ich sehe, dass mein Kind sonst Schaden nimmt?

Das klingt nach viel Verantwortung für die Eltern. Was können die Lehrpersonen machen, um ein möglichst stimmiges Umfeld zu bieten?
Das Gleiche wie die Eltern: Zugestehen, dass es einen Bereich gibt, auf den man nur sehr geringen Einfluss hat, in ihrem Fall das elterliche Umfeld des Kindes. Beide Seiten sollten eine gewisse Toleranz entwickeln. Gleichzeitig kann die Lehrperson eine sehr wichtige Person werden, wenn ein Kind das eigene Elternhaus defizitär erlebt. Beispielsweise kann ein männlicher Lehrer wichtig werden, wenn ein Kind in der näheren Umgebung keine Männer hat.

Lehrer können ein Kind also ganz entscheidend stützen – weit über das Lernen hinaus.
Ich finde es grundsätzlich immer wieder eindrücklich, dass Lehrpersonen in der Lage sind, eine ganze Biografie in eine gute Richtung zu lenken. Darauf bin ich auch schon in meiner Arbeit als Therapeut gestossen. Das liegt ja nicht im Kernaufgabenbereich des Lehrers. Das ist ein Glück und ein Geschenk. Und es ist natürlich auch für eine Lehrperson schön, wenn sie merkt, dass sie eine solch wichtige Rolle neben ihrer eigentlichen Aufgabe erfüllen kann. 


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