Gleich vier Schulen im Kanton Zürich machen derzeit negative
Schlagzeilen: Lehrer kündigen, Schulleiter nehmen den Hut, und Eltern wollen
Schulpräsidenten absetzen. Weshalb es an Schulen zum Knall kommt.
Immer wieder entzünden sich Konflikte an der Führungspolitik von Schulleitern, NZZ, 29.5. von Lena Schenkel
Eine Schule ohne Lehrer: Der Traum jedes Schülers ist an der kleinen
Schule Brühlberg in Winterthur jüngst zum Albtraumszenario von Eltern und
Behörden geworden. Sämtliche acht Lehrer sowie die Heilpädagogin haben auf Ende
dieses Schuljahres gekündigt. «Nach uns die Sintflut», denken sich wohl auch 23
Lehrer in Fehraltorf – fast ein Drittel der gesamten Schule –, die dort
ebenfalls nur noch bis zum Sommer unterrichten werden. An der Stadtzürcher
Tagesschule Bungertwies gingen die Lehrer und Betreuungspersonen nach und nach,
aber stetig – und die Schüler gleich mit.
Was trieb die Lehrkräfte in den Exodus? Waren es nicht zu bändigende
Schüler oder der überlastende Berufsalltag? Wer sich mit den Problemschulen
beschäftigt, stösst bei allen auf Konflikte mit der Schulleitung. Mangelnde
Führungsstärke kann man diesen offenbar nicht vorwerfen, eher das Gegenteil.
Zumindest am Bungertwies und in Fehraltorf war von strikten «Regimen» die Rede.
Am Brühlberg warfen Lehrer und Eltern der unerfahrenen Schulleiterin
Inkompetenz vor, und an der Sekundarschule von Niederhasli und Niederglatt
stand das alternative Unterrichtsmodell, das der Schulleiter eingeführt hatte,
vor allem bei Eltern in der Kritik. Ausser in Fehraltorf haben die Leitungen
dieser Schulen inzwischen die Reissleine gezogen und gekündigt. Inwiefern dabei
Druck von oben mitwirkte, erschliesst sich Aussenstehenden nicht.
Alphatiere anführen
Schulleitungen sind eine vergleichsweise junge Erscheinung im Kanton
Zürich. Sie wurden Mitte der neunziger Jahre versuchsweise und nach Annahme des
neuen Volksschulgesetzes bis 2009 flächendeckend eingesetzt. Erst dann hat man
sie verbindlich an der Personalführung beteiligt, nachdem zuvor allein die
Schulpflegen dafür zuständig waren. Handelt es sich bei den jüngsten Konflikten
also um Nachwehen dieser Neuorganisation? Gibt es womöglich immer noch zu wenig
qualifizierte Schulleitungen? Im Fall des Brühlbergs in Winterthur räumt die
Schulpflege tatsächlich ein, dass es vor vier Jahren nicht allzu viele
Bewerbungen für den Posten gegeben habe. Es sei vor allem schwer,
Schulleitungen mit Erfahrung zu finden, sagt deren zweite Vizepräsidentin Iris
Brom. Sie ist zusammen mit dem ersten Vizepräsidenten Beat Meier für die
Rekrutierung der neuen Schulleitung zuständig, nachdem die bisherige
Schulleiterin nach vier konfliktreichen Jahren gekündigt hat. Auch Präsident
Felix Müller sagt in Hinblick auf die neue Schulleitung: «Die Frage ist sicher
nicht, wie schnell sie beginnen kann, sondern wie viel Erfahrung sie
mitbringt.»
Dass es «nicht übermässig viele» Schulleiterinnen und Schulleiter gibt,
kann auch die Zürcher Volksschulamtschefin Marion Völger bestätigen. «Diese
Problematik wird sich in den nächsten Jahren aber entschärfen», ist sie
überzeugt. Die Einführung dieser Führungsposition sei sicher nicht problemlos
über die Bühne gegangen. Eine Rückkehr zum alten System ist für sie jedoch
undenkbar. Ohne Schulleiter fehlten essenzielle Brückenbauer, vor allem
zwischen Lehrerschaft und Behörden.
Eine Schule zu leiten, sei ein sehr herausfordernder Job, gibt Völger zu
bedenken. «Vor allem die Arbeit mit Lehrern ist anspruchsvoll», sagt sie. Diese
identifizierten sich – glücklicherweise, wie sie anfügt – stark mit ihrem Beruf
und verfügten über viel Autonomie. Das Anführen von Alphatieren oder die
«Personalführung in einer Expertenorganisation», wie Völger es nennt, sei
jedoch schwierig. Umso wichtiger sei es, die Lehrpersonen in Veränderungen mit
einzubeziehen. Das weiss auch Lilo Lätzsch, Präsidentin des Zürcher
Lehrerinnen- und Lehrerverbands: «Unterstützen, nicht massregeln», laute die
Devise. In Schulen mit basisdemokratischem Ansatz gebe es die wenigsten
Probleme, stellt Völger fest. Gegenseitiges Vertrauen und eine gute
Kommunikation seien in jedem Fall unerlässlich.
Bei allen Ungewissheiten und Unterschieden, was die Ursachen ihrer
Konflikte betrifft: An den Problemschulen fehlte mit Sicherheit beides. Lehrer
wurden mit Maulkörben belegt oder durften nicht mehr an Elternversammlungen
teilnehmen. Doch: «Lehrpersonen verhalten sich auch nicht immer einwandfrei»,
sagt die Präsidentin des kantonalen Schulleiterverbandes, Sarah Knüsel. Es gebe
in jedem Beruf Personen, die manchmal unangemessen oder sehr emotional
reagierten. Sie findet das «Schulleiter-Bashing», das derzeit stattfinde,
«heftig und unfair». Es gehörten schliesslich immer zwei Seiten zu einer
funktionierenden Beziehung.
«Eine Frage des Matchings»
Auch Völger vom Volksschulamt betont, dass Lehrer gleichsam
Veränderungsbereitschaft zeigen müssten – das sei «für jede Weiterentwicklung
der Schule das A und O». Es gebe sicher Lehrer, die sich ungern führen liessen,
sagt Lätzsch, aber: «Die sind mittlerweile klar in der Minderheit.» In den
allermeisten Fällen funktioniere die Zusammenarbeit gut bis sehr gut. Bei über
700 Schulleitungen im Kanton stehe man mit vier Konfliktfällen, die eskaliert
seien, gut da, betonen die Befragten.
Woran aber liegt es, dass sich diese derart zeitnah ereigneten? Die
bevorstehenden Einführungen des Lehrplans 21 und des neuen Berufsauftrags
brächten Unruhe an die Schule, sagte die Fehraltorfer Schulpräsidentin Beatrice
Maier dem «Zürcher Oberländer» auf die Frage nach der Ursache der
Kündigungswelle. Knüsel und Völger gehen dagegen beide von einem Zufall aus,
obschon die Häufung «äusserst besorgniserregend» sei, wie es Letztere
ausdrückt. Der gemeinsame Nenner sei weitaus simpler: ein missglückter
Führungswechsel. «Es ist wie überall eine Frage des Matchings», sagt Knüsel.
Dass es gerade an Schulen mit Pioniercharakter und zusammengeschweissten
Lehrerteams wie dem Bungertwies, das lange als Vorzeige-Tagesschule galt, oder
dem Brühlberg mit seinem preisgekrönten System des altersdurchmischten Lernens
geknallt hat, hält Völger für symptomatisch: Hier stosse eine neue Schulleitung
mit geänderten Regelungen oder anderem Führungsstil wohl schneller auf
Widerstand. Obwohl auffällt, dass an beiden Schulen das altersdurchmischte
Lernen und in Niederhasli-Niederglatt-Hofstetten das selbstorganisierte Lernen
praktiziert wird, scheinen die Dissonanzen nicht den pädagogischen Konzepten an
sich geschuldet.
Problematische Führungswechsel kennt auch die Privatwirtschaft. Dass es
an Schulen schneller zu Kündigungswellen kommt, weil genug Stellen auf dem
Markt sind, glaubt die oberste Lehrerin im Kanton nicht: «Es fällt einem Lehrer
sicher schwerer, eine Schule zu verlassen, als einem Angestellten, von der
Swisscom zu Sunrise zu wechseln», sagt Lätzsch. Dass Schulen ein ungleich
emotionaleres Pflaster sind, erwähnen alle Befragten. Dies sei ein wesentlicher
Grund dafür, dass Konflikte hier folgenreicher und heftiger eskalierten. Neben
guten Kenntnissen des Schulsystems und generellen Führungsqualitäten sei von
den Schulleitungen deshalb viel Fingerspitzengefühl gefragt. «Erfahrung schützt
nicht; es ist auch wichtig, dass man rechtzeitig reagiert», ergänzt Knüsel.
Damit ist an den Problemschulen offensichtlich zu lange zugewartet worden.
Dynamik im Konfliktfall
Das Schulumfeld sei sehr anspruchsvoll, was die Kommunikation betreffe,
heisst es auch bei der Dimedio GmbH, welche Führungskräfte aus Behörden,
Verwaltung und Bildung im Umgang mit Medien berät. Dazu gehört seit kurzem die
Winterthurer Schulpflege Stadt-Töss mit ihrem Krisenfall Brühlberg. Kinder,
Eltern, Lehrer, Schulleitung, Pädagogik und Politik: Wo solch unterschiedliche
Anspruchsgruppen aufeinanderträfen, entwickle sich im Konfliktfall eine
unglaubliche Dynamik. «Schulen sind ein emotionales Thema, weil Kinder eines
sind», sagt Dimedio-Geschäftsführer Christian Müller, «und Medien sind an
emotionalen Geschichten interessiert.»
Auch die besorgten Eltern stehen schnell auf dem Plan. Jene von
Bungertwies und Brühlberg demonstrierten gar öffentlich und forderten den
Ausstand der Schulpräsidien. Lehrervertreterin Lätzsch fragt ebenfalls nach der
Führungsvorstellung der betreffenden Schulpflegen. «In allen erwähnten Fällen
ist es bereits an den vorgängigen Stellen zu erheblichen Konflikten gekommen»,
sagt sie, «das musste den Schulpflegen bekannt gewesen sein.» Die umstrittene
Schulleiterin in Fehraltorf etwa hatte bereits an einer anderen Schule für
negative Schlagzeilen gesorgt: «Da muss man sich schon fragen, wie genau
Referenzen geprüft worden sind», sagt Lätzsch. Und ob den betroffenen Lehrern
das Anhörungsrecht bei der Anstellung der Schulleitungen zugestanden worden
sei. So oder so: Sich blind hinter die Schulleitungen zu stellen, sei sicher
der falsche Weg, resümiert Lätzsch.
Falsche Hoffnungen der Eltern
Zumindest im Fall Bungertwies konnte der Zürcher Bezirksrat keine
rechtliche Verfehlung der Schulpräsidentin feststellen. In Winterthur prüft der
Bezirksrat derzeit die zweite Aufsichtsbeschwerde in der Causa Brühlberg,
nachdem er die erste abgewiesen hat. Die Amtschefin für die Volksschule, Marion
Völger, findet es fatal, die Konflikte auf eine öffentliche Ebene zu heben:
«Damit wird die ohnehin schon belastete Kommunikation erheblich erschwert.»
Solche Konflikte könnten nur an der Schule selbst gelöst werden. Sie versteht
den Frust der Eltern, betont aber, dass eine Aufsichtsbeschwerde oft mit
falschen Hoffnungen verknüpft werde. Verbände und Ämter könnten zwar vermitteln
und beraten, aber sofern keine Rechtsverletzungen vorlägen, sei «ein Eingreifen
von oben im Schulsystem grundsätzlich nicht vorgesehen».
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen