29. Mai 2017

Schulleiter unter Beobachtung

Gleich vier Schulen im Kanton Zürich machen derzeit negative Schlagzeilen: Lehrer kündigen, Schulleiter nehmen den Hut, und Eltern wollen Schulpräsidenten absetzen. Weshalb es an Schulen zum Knall kommt.
Immer wieder entzünden sich Konflikte an der Führungspolitik von Schulleitern, NZZ, 29.5. von Lena Schenkel

Eine Schule ohne Lehrer: Der Traum jedes Schülers ist an der kleinen Schule Brühlberg in Winterthur jüngst zum Albtraumszenario von Eltern und Behörden geworden. Sämtliche acht Lehrer sowie die Heilpädagogin haben auf Ende dieses Schuljahres gekündigt. «Nach uns die Sintflut», denken sich wohl auch 23 Lehrer in Fehraltorf – fast ein Drittel der gesamten Schule –, die dort ebenfalls nur noch bis zum Sommer unterrichten werden. An der Stadtzürcher Tagesschule Bungertwies gingen die Lehrer und Betreuungspersonen nach und nach, aber stetig – und die Schüler gleich mit.

Was trieb die Lehrkräfte in den Exodus? Waren es nicht zu bändigende Schüler oder der überlastende Berufsalltag? Wer sich mit den Problemschulen beschäftigt, stösst bei allen auf Konflikte mit der Schulleitung. Mangelnde Führungsstärke kann man diesen offenbar nicht vorwerfen, eher das Gegenteil. Zumindest am Bungertwies und in Fehraltorf war von strikten «Regimen» die Rede. Am Brühlberg warfen Lehrer und Eltern der unerfahrenen Schulleiterin Inkompetenz vor, und an der Sekundarschule von Niederhasli und Niederglatt stand das alternative Unterrichtsmodell, das der Schulleiter eingeführt hatte, vor allem bei Eltern in der Kritik. Ausser in Fehraltorf haben die Leitungen dieser Schulen inzwischen die Reissleine gezogen und gekündigt. Inwiefern dabei Druck von oben mitwirkte, erschliesst sich Aussenstehenden nicht.

Alphatiere anführen
Schulleitungen sind eine vergleichsweise junge Erscheinung im Kanton Zürich. Sie wurden Mitte der neunziger Jahre versuchsweise und nach Annahme des neuen Volksschulgesetzes bis 2009 flächendeckend eingesetzt. Erst dann hat man sie verbindlich an der Personalführung beteiligt, nachdem zuvor allein die Schulpflegen dafür zuständig waren. Handelt es sich bei den jüngsten Konflikten also um Nachwehen dieser Neuorganisation? Gibt es womöglich immer noch zu wenig qualifizierte Schulleitungen? Im Fall des Brühlbergs in Winterthur räumt die Schulpflege tatsächlich ein, dass es vor vier Jahren nicht allzu viele Bewerbungen für den Posten gegeben habe. Es sei vor allem schwer, Schulleitungen mit Erfahrung zu finden, sagt deren zweite Vizepräsidentin Iris Brom. Sie ist zusammen mit dem ersten Vizepräsidenten Beat Meier für die Rekrutierung der neuen Schulleitung zuständig, nachdem die bisherige Schulleiterin nach vier konfliktreichen Jahren gekündigt hat. Auch Präsident Felix Müller sagt in Hinblick auf die neue Schulleitung: «Die Frage ist sicher nicht, wie schnell sie beginnen kann, sondern wie viel Erfahrung sie mitbringt.»

Dass es «nicht übermässig viele» Schulleiterinnen und Schulleiter gibt, kann auch die Zürcher Volksschulamtschefin Marion Völger bestätigen. «Diese Problematik wird sich in den nächsten Jahren aber entschärfen», ist sie überzeugt. Die Einführung dieser Führungsposition sei sicher nicht problemlos über die Bühne gegangen. Eine Rückkehr zum alten System ist für sie jedoch undenkbar. Ohne Schulleiter fehlten essenzielle Brückenbauer, vor allem zwischen Lehrerschaft und Behörden.

Eine Schule zu leiten, sei ein sehr herausfordernder Job, gibt Völger zu bedenken. «Vor allem die Arbeit mit Lehrern ist anspruchsvoll», sagt sie. Diese identifizierten sich – glücklicherweise, wie sie anfügt – stark mit ihrem Beruf und verfügten über viel Autonomie. Das Anführen von Alphatieren oder die «Personalführung in einer Expertenorganisation», wie Völger es nennt, sei jedoch schwierig. Umso wichtiger sei es, die Lehrpersonen in Veränderungen mit einzubeziehen. Das weiss auch Lilo Lätzsch, Präsidentin des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands: «Unterstützen, nicht massregeln», laute die Devise. In Schulen mit basisdemokratischem Ansatz gebe es die wenigsten Probleme, stellt Völger fest. Gegenseitiges Vertrauen und eine gute Kommunikation seien in jedem Fall unerlässlich.

Bei allen Ungewissheiten und Unterschieden, was die Ursachen ihrer Konflikte betrifft: An den Problemschulen fehlte mit Sicherheit beides. Lehrer wurden mit Maulkörben belegt oder durften nicht mehr an Elternversammlungen teilnehmen. Doch: «Lehrpersonen verhalten sich auch nicht immer einwandfrei», sagt die Präsidentin des kantonalen Schulleiterverbandes, Sarah Knüsel. Es gebe in jedem Beruf Personen, die manchmal unangemessen oder sehr emotional reagierten. Sie findet das «Schulleiter-Bashing», das derzeit stattfinde, «heftig und unfair». Es gehörten schliesslich immer zwei Seiten zu einer funktionierenden Beziehung.

«Eine Frage des Matchings»
Auch Völger vom Volksschulamt betont, dass Lehrer gleichsam Veränderungsbereitschaft zeigen müssten – das sei «für jede Weiterentwicklung der Schule das A und O». Es gebe sicher Lehrer, die sich ungern führen liessen, sagt Lätzsch, aber: «Die sind mittlerweile klar in der Minderheit.» In den allermeisten Fällen funktioniere die Zusammenarbeit gut bis sehr gut. Bei über 700 Schulleitungen im Kanton stehe man mit vier Konfliktfällen, die eskaliert seien, gut da, betonen die Befragten.

Woran aber liegt es, dass sich diese derart zeitnah ereigneten? Die bevorstehenden Einführungen des Lehrplans 21 und des neuen Berufsauftrags brächten Unruhe an die Schule, sagte die Fehraltorfer Schulpräsidentin Beatrice Maier dem «Zürcher Oberländer» auf die Frage nach der Ursache der Kündigungswelle. Knüsel und Völger gehen dagegen beide von einem Zufall aus, obschon die Häufung «äusserst besorgniserregend» sei, wie es Letztere ausdrückt. Der gemeinsame Nenner sei weitaus simpler: ein missglückter Führungswechsel. «Es ist wie überall eine Frage des Matchings», sagt Knüsel.

Dass es gerade an Schulen mit Pioniercharakter und zusammengeschweissten Lehrerteams wie dem Bungertwies, das lange als Vorzeige-Tagesschule galt, oder dem Brühlberg mit seinem preisgekrönten System des altersdurchmischten Lernens geknallt hat, hält Völger für symptomatisch: Hier stosse eine neue Schulleitung mit geänderten Regelungen oder anderem Führungsstil wohl schneller auf Widerstand. Obwohl auffällt, dass an beiden Schulen das altersdurchmischte Lernen und in Niederhasli-Niederglatt-Hofstetten das selbstorganisierte Lernen praktiziert wird, scheinen die Dissonanzen nicht den pädagogischen Konzepten an sich geschuldet.

Problematische Führungswechsel kennt auch die Privatwirtschaft. Dass es an Schulen schneller zu Kündigungswellen kommt, weil genug Stellen auf dem Markt sind, glaubt die oberste Lehrerin im Kanton nicht: «Es fällt einem Lehrer sicher schwerer, eine Schule zu verlassen, als einem Angestellten, von der Swisscom zu Sunrise zu wechseln», sagt Lätzsch. Dass Schulen ein ungleich emotionaleres Pflaster sind, erwähnen alle Befragten. Dies sei ein wesentlicher Grund dafür, dass Konflikte hier folgenreicher und heftiger eskalierten. Neben guten Kenntnissen des Schulsystems und generellen Führungsqualitäten sei von den Schulleitungen deshalb viel Fingerspitzengefühl gefragt. «Erfahrung schützt nicht; es ist auch wichtig, dass man rechtzeitig reagiert», ergänzt Knüsel. Damit ist an den Problemschulen offensichtlich zu lange zugewartet worden.

Dynamik im Konfliktfall
Das Schulumfeld sei sehr anspruchsvoll, was die Kommunikation betreffe, heisst es auch bei der Dimedio GmbH, welche Führungskräfte aus Behörden, Verwaltung und Bildung im Umgang mit Medien berät. Dazu gehört seit kurzem die Winterthurer Schulpflege Stadt-Töss mit ihrem Krisenfall Brühlberg. Kinder, Eltern, Lehrer, Schulleitung, Pädagogik und Politik: Wo solch unterschiedliche Anspruchsgruppen aufeinanderträfen, entwickle sich im Konfliktfall eine unglaubliche Dynamik. «Schulen sind ein emotionales Thema, weil Kinder eines sind», sagt Dimedio-Geschäftsführer Christian Müller, «und Medien sind an emotionalen Geschichten interessiert.»

Auch die besorgten Eltern stehen schnell auf dem Plan. Jene von Bungertwies und Brühlberg demonstrierten gar öffentlich und forderten den Ausstand der Schulpräsidien. Lehrervertreterin Lätzsch fragt ebenfalls nach der Führungsvorstellung der betreffenden Schulpflegen. «In allen erwähnten Fällen ist es bereits an den vorgängigen Stellen zu erheblichen Konflikten gekommen», sagt sie, «das musste den Schulpflegen bekannt gewesen sein.» Die umstrittene Schulleiterin in Fehraltorf etwa hatte bereits an einer anderen Schule für negative Schlagzeilen gesorgt: «Da muss man sich schon fragen, wie genau Referenzen geprüft worden sind», sagt Lätzsch. Und ob den betroffenen Lehrern das Anhörungsrecht bei der Anstellung der Schulleitungen zugestanden worden sei. So oder so: Sich blind hinter die Schulleitungen zu stellen, sei sicher der falsche Weg, resümiert Lätzsch.

Falsche Hoffnungen der Eltern

Zumindest im Fall Bungertwies konnte der Zürcher Bezirksrat keine rechtliche Verfehlung der Schulpräsidentin feststellen. In Winterthur prüft der Bezirksrat derzeit die zweite Aufsichtsbeschwerde in der Causa Brühlberg, nachdem er die erste abgewiesen hat. Die Amtschefin für die Volksschule, Marion Völger, findet es fatal, die Konflikte auf eine öffentliche Ebene zu heben: «Damit wird die ohnehin schon belastete Kommunikation erheblich erschwert.» Solche Konflikte könnten nur an der Schule selbst gelöst werden. Sie versteht den Frust der Eltern, betont aber, dass eine Aufsichtsbeschwerde oft mit falschen Hoffnungen verknüpft werde. Verbände und Ämter könnten zwar vermitteln und beraten, aber sofern keine Rechtsverletzungen vorlägen, sei «ein Eingreifen von oben im Schulsystem grundsätzlich nicht vorgesehen».

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