4. Mai 2017

Mögliche Signalwirkung auf andere Kantone

«Das spielerische Lernen ist gescheitert», schmetterte zum Schluss der Debatte ein Kantonsrat in den Saal zu Frauenfeld. Er meinte das Frühfranzösische in der Primarschule und rief dazu auf, das Erlernen dieser Landessprache im Thurgau auf die Sekundarstufe zu verschieben. Die Mehrheit des Grossen Rats teilte seine Meinung. Daran dürfte sich auch in der erst im Juni anstehenden Schlussabstimmung über die Änderung des Thurgauer Volksschulgesetzes nichts ändern. Voraussichtlich aber wird der Grosse Rat den definitiven Entscheid, ob der Thurgau aus dem Frühfranzösischen aussteigt, ans Volk delegieren. Dieses hatte noch 2006, wenn auch äusserst knapp, für zwei Fremdsprachen in der Primarschule gestimmt.
Französisch darf kein Spaltpilz sein, NZZ, 4.5. Kommentar von Jörg Krummenacher


Der Entscheid von Frauenfeld befeuert die Diskussion um den Sprachenfrieden in der Schweiz. Er könnte auch Signalwirkung für die anstehenden Abstimmungen im Kanton Zürich am 21. Mai und später in Luzern und Baselland haben. Dabei stehen zwei Fragen im Vordergrund: Wie lernen Deutschschweizer Volksschüler die Landessprache Französisch am sinnvollsten, und welche Folgen hat dies für den Zusammenhalt der Schweiz?

Zweifellos steht das Französische unter Druck, bedrängt vom Englischen, unterminiert durch keineswegs optimale Lehrmittel und -methoden in der Primarschule. Der Lernerfolg ist (zu) gering, starke Schüler sind unterfordert, schwache überfordert – ein Dilemma, das sich mit Leistungsklassen auf der Sekundarstufe, aber auch mit Halbklassen in der Primarschule lösen liesse. Im Thurgauer Parlament wurde seitens der vorbereitenden Kommission denn auch betont, dass es nicht darum gehe, den Stellenwert des Französischen zu mindern, sondern zum Schluss der Volksschule möglichst gute Kompetenzen «in dieser schönen und identitätstiftenden Sprache» zu erreichen.

Wie dies geschieht, ist sekundär – wäre da nicht die von der Verfassung vorgegebene Verpflichtung zur Harmonisierung des Bildungswesens. 2004 einigten sich die Erziehungsdirektoren auf den seither gültigen Sprachenkompromiss. Allerdings wird, unabhängig vom Thurgau, heute nur in 22 von 26 Kantonen danach unterrichtet, und auch dem Harmos-Konkordat im Bildungswesen sind nur 15 von 26 Kantonen beigetreten. Die Harmonisierung ist eine relative.

Um den Sprachenkompromiss allenfalls durchzusetzen, hält Bildungsminister Alain Berset die Revision des Sprachengesetzes in der Hinterhand. Sollte er indes zum bildungspolitischen Zweihänder greifen, wäre dies kontraproduktiv. Der Bund riskierte damit eine Niederlage in einer allfälligen Volksabstimmung und ein Aufbrechen des Röstigrabens. Dem Zusammenhalt des Landes wäre damit ebensowenig gedient wie der Lust der Jugendlichen, Französisch zu lernen und die Romandie idealerweise während eines Sprachaufenthalts kennenzulernen. Um das (Früh-)Französische nicht zum Spaltpilz zu machen, ist ein pragmatisches Vorgehen angesagt. Die Terminierung des Sprachenunterrichts ist keine Frage des nationalen Zusammenhalts. Doch sie setzt Signale: Weshalb nicht mit Französisch statt Englisch in der Primarschule?


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