23. Mai 2017

Lehrer fehlt politisches Gespür

Die Zürcher Lehrerschaft hat in der Fremdsprachenfrage eine Niederlage erlitten. Verantwortlich ist nicht das Image des Lehrerberufs, sondern der Mangel an politischem Gespür.
Die Lehrer als politische Verlierer, NZZ, 23.5. Kommentar von Walter Bernet


Deutlicher als erwartet haben die Zürcherinnen und Zürcher am Sonntag der Fremdspracheninitiative eine Abfuhr erteilt. Das Resultat fiel sogar klarer aus als vor gut zehn Jahren bei der ersten Fremdspracheninitiative. Der Unterschied: Vor einem Jahrzehnt waren es konservative politische Kräfte, die zuvorderst für die Initiative eintraten.

Zugpferde der jüngsten Initiative waren der Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband (ZLV) und die Verbände der Mittelstufen- und Sekundarlehrer. Mit dem ganzen Gewicht der praktischen Erfahrung aus den Klassenzimmern mit Tausenden von Kindern in Tausenden von Lektionen wollten diese die Stimmbürger davon überzeugen, dass eine zweite Fremdsprache in der Primarschule eine Sprache zu viel ist.

Das ist gründlich misslungen. Erfolgreich waren jene, die nicht zuletzt von Lehrern gern als Bildungsbürokraten, praxisferne Theoretiker oder oberflächlich informierte Politiker bezeichnet werden. Warum? Weshalb gelingt es der Lehrerschaft nicht, mit ihren Argumenten Gehör oder gar eine Mehrheit zu finden? Eine Antwort zu finden, ist gar nicht so einfach. Die erste Schwierigkeit bietet die Interpretation des Abstimmungsresultats. Sind 39,2 Prozent Ja-Stimmen für das Anliegen der Lehrerverbände wirklich ein Misstrauensvotum? Haben all jene, die Nein gestimmt haben, nicht umgekehrt ihre Wertschätzung für die täglich in den Schulen geleistete Arbeit ausgedrückt?

Gängig ist das Klischee der Lehrer als «Jammeri der Nation», die zuerst einmal in der Schulstube aufräumen sollen, bevor man ihren Begehrlichkeiten entgegenkommt. Seine Wirkung dürfte am Sonntag an den Urnen allerdings minimal gewesen sein. Die Argumente gegen die Initiative waren primär politischer Natur. Und sie richteten sich nicht gegen die Lehrer, sondern gewichteten einfach deren pädagogische Einwände geringer, als es diese gern gehabt hätten.

Damit entfällt auch das Argument, der Lehrerberuf habe eben an sozialem Ansehen eingebüsst in den letzten Jahren – mit der mitgedachten Ergänzung, er sei zum Teilzeit- und Frauenberuf «verkommen». Dass die Lehrervertreter bei den Stimmberechtigten nur unzureichend angekommen sind, hängt eher damit zusammen, dass die Gegner der Initiative den Ball im Abstimmungskampf – wohl bewusst – flach hielten und damit eine emotionale Aufladung des Themas – Stichwort: «Hört ihr die Kinder weinen?» – verhindert haben.

Die Erklärung muss auf einer andern Ebene gesucht werden: Wenig ausgebildet ist in der Lehrerschaft das Gespür für politische Prozesse. Gerade in der Fremdsprachenfrage, in der alle Parteien bis zu einem gewissen Grad gespalten waren, wäre wohl in der Sache einiges zu erreichen gewesen, wäre man im Rahmen der parlamentarischen Meinungsbildung bereit gewesen, über Reparaturen am heutigen Fremdsprachenkonzept zu reden.

Mit dem Anspruch, allein die Verschiebung einer Fremdsprache sei der richtige Weg, hat man erstens all die damit verknüpften Kollateralschäden – vom finanziellen Aufwand für die Anpassungen bis zur nationalen Sprachenpolitik – in den Wind geschlagen. Und zweitens hat man die Politik an einem wunden Punkt provoziert: Es sind nach ihrem Selbstverständnis nicht die Lehrer, die der Schule Ziele setzen, sondern die Politiker.

1 Kommentar:

  1. "Politisches Gespür": was für ein Unsinn! Es stellt sich wohl eher wieder einmal die Frage, wem die Politiker sich verpflichtet fühlten.
    Die Propaganda vor der Abstimmung hat ihr Ziel erreicht. Nun liegt es an den Bündnern, die Diskussion weiter voran zu bringen. Es gilt weiter über die Voraussetzungen eines erfolgreichen und praxistauglichen Sprachenunterrichts aufzuklären. Auch wenn es so aussieht, als ob wir kein Gehör finden und zuschauen müssen, wie die Schule der Ökonomisierung geopfert wird: Der Einsatz der Lehrerinnen und Lehrer für den Lernerfolg aller Kinder wird Früchte tragen!

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