14. Mai 2017

Erst einmal richtig Deutsch lernen

Zwei Fremdsprachen in der Primarschule zu lernen, bringe nichts, ja schade sogar, sagen Forscher. Ihre Einwände werden von den Bildungspolitikern ignoriert.
Politik statt Verstand, Weltwoche, 11.5. von Daniela Niederberger


Im zürcherischen Meilen fand in den siebziger Jahren ein Schulversuch mit Frühfranzösisch ab der vierten Klasse statt. Ein damaliger Schüler sagt heute: «Im Gymi dachte ich: ‹Das kann ich.› Aber nach wenigen Wochen merkte man nichts mehr von einem Vorsprung.» Dasselbe hat die Sprachforscherin Simone Pfenninger festgestellt. In einer Langzeitstudie verglich sie zwei Gruppen von Gymnasiasten. Die einen hatten früh mit Englisch begonnen, die anderen spät. Das Resultat: Die Spätlernenden holten die Frühlernenden nach kurzer Zeit ein.

Und doch sagen Politiker, wie etwa jüngst im Kanton Thurgau, es gebe «gemäss derzeitigem wissenschaftlichem Forschungsstand keine Evidenz für oder gegen das derzeitige Sprachenmodell». Oder Stefan Wolter, ehemaliger Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Bildungsforschung: «Wer den Unterricht einer zweiten Fremdsprache aus der Primarschule verbannen will, kann dies nicht mit wissenschaftlicher Forschung begründen.»

Urs Kalberer, Sekundarlehrer und Sprachdidaktiker, sagt: «Diese Aussage ist unzulässig, aber es korrigiert ihn niemand.» Nun muss man wissen, dass die Erziehungsdirektorenkonferenz und der Bund über die Schweizerische Koordinationskonferenz Bildungsforschung (Coreched) in Dänemark eine Studie zum Fremdsprachenerwerb in Auftrag gaben. Die dänischen Forscher nahmen sich bestehende Studien vor, der Grossteil von ihnen stammt aus Spanien.

Darin geht es um Schüler, die bereits bilingual sind, also Spanisch und Baskisch können. Man untersuchte, welche Faktoren das Erlernen einer Drittsprache beeinflussen. Kalberer kritisiert: «Diese Fragestellung betrifft uns in der Schweiz nicht. Bei uns geht es ums Alter. Und bilingualen Unterricht haben wir ja gar nicht.» Die Altersfrage wird in der dänischen Studie nur am Rande betrachtet, und da heisst es, dass ältere Schüler eine Fremdsprache besser und schneller lernen.

Die Studie von Pfenninger fand nicht Eingang in die Auftragsstudie der Schweiz. Sie sei qualitativ ungenügend, hiess es. Dabei hatte die Universität Zürich der Autorin dafür die Habilitation verliehen. «Es geht rein nur um Politik», sagt Kalberer.

Interessante Daten kommen auch aus der Innerschweiz: Bloss ein Drittel der Schüler erreicht am Ende der sechsten Klasse im Fach Französisch die Lehrplanziele in den Bereichen Hören, Schreiben und Sprechen.

Die meisten sind überfordert
Jetzt schaltet sich der prominente Kinderarzt Remo Largo («Babyjahre») in die Debatte ein. Zwei Fremdsprachen in der Primarschule, sagt er, das «bringt nichts. Es kann sogar schaden.» Man rede bloss über Politik. Über die Betroffenen, die Kinder, rede man nicht. «Das erbittert mich.» Man rede auch nicht darüber, wie Kinder Sprache erwerben. Nicht mit Wörtli-Lernen und Grammatik. «Analytisch dem Kind vor der Pubertät Sprache beibringen geht nicht», sagte er an einer Podiumsveranstaltung in Winterthur.

Unterstützt wurde er vom Elgger Sekundarlehrer Christoph Ziegler, der seit 25 Jahren Deutsch, Englisch und Französisch unterrichtet, davon rund zehn Jahre ohne Frühfremdsprachen. Er sagt: «Was die Schüler aus der Primarschule mitbringen, ist sehr, sehr, sehr dürftig.» Umgekehrt gehe in der Oberstufe in Französisch «relativ schnell relativ viel». Für viele Kinder – von den vifsten abgesehen – seien zwei Fremdsprachen eine Überforderung. Es sei eben nicht so, dass diese in der Primarschule «nur spielerisch» gelernt würden.

Eine langjährige Primarlehrerin, die Englisch ab der zweiten Klasse unterrichtet, sagt, das Lehrmittel sei so aufgebaut, dass man schon von Anfang an schreibe. Für Kinder, die Ende der ersten Klasse noch nicht gut lesen und schreiben können, sei das eine zusätzliche Anforderung.

Ab der vierten Klasse gehe es dann «rassig fürschi», mit «happigen Satzkonstruktionen» und einem hochkomplizierten Wortschatz.


Erst einmal richtig Deutsch zu lernen, das wäre in den Augen der Lehrer wichtig. Und für die Fremdsprachen hat Largo eine Idee: gemeinsame Lager mit welschen Schülern. 

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