4. Mai 2017

Entscheid mit Signalwirkung

Die Thurgauer wollen das Frühfranzösisch abschaffen. Zu enttäuschend seien die Resultate, zu überfordert die Schüler, monierten die Gegner im Kantonsparlament. Zwar ist das letzte Wort noch nicht gesprochen – die Vorlage dürfte vors Volk kommen –, doch der Entscheid hat Signalwirkung. 
Nicht Französisch ist das Problem, Tages Anzeiger, 4.5. Kommentar von Raphaela Birrer


Der Bundesrat hatte gedroht, die Kantone notfalls per Gesetz zu zwingen, den Sprachenkompromiss einzuhalten. Dieser schreibt eine Fremdsprache ab der 3. und eine weitere ab der 5. Klasse vor. Dass sich der Thurgau unbeirrt zeigt, wird über die Kantonsgrenze hinaus Folgen haben. In mehreren Kantonen gibt es Bestrebungen, das Französisch auf die Sekundarstufe zu verschieben. In Zürich stimmt das Volk in drei Wochen über die Fremdspracheninitiative ab. Sie will entweder Englisch oder Französisch aus der Primarschule kippen. Wird sie angenommen, bricht der Sprachenstreit offen aus.
Eine solche Eskalation gilt es zu verhindern. Denn in Frauenfeld, Zürich oder Chur wird verkannt, welchen Wert das Frühfranzösisch hat. Die Mehrsprachigkeit ist ein Wesensmerkmal unseres Landes. Rückt für die Deutschschweizer Mehrheit die Verständigung mit der welschen Minderheit in den Hintergrund, bringt dies das Gefüge der Willensnation ins Wanken. Doch auch die Befürworter des Frühfranzösisch sind in der Pflicht. Im Thurgau und in Zürich unterstützt eine Mehrheit der Lehrer das Anliegen, auf Primarstufe nur noch eine Fremdsprache einzuführen. Unter den gegebenen Bedingungen – zu grosse Klassen, zu wenige Lektionen – sei kein sinnvoller Unterricht möglich, sagen sie.


Diese didaktischen Einwände müssen ernst genommen werden. Denn neben der Absicht müssen auch die Ergebnisse stimmen, wenn dem Erwerb einer zweiten Landessprache staatspolitische Priorität eingeräumt wird. Alles andere sind Alibiübungen. Deshalb gehört nicht der frühe Französischunterricht, sondern dessen mangelnde Qualität abgeschafft. Das heisst: Halbklassenlektionen sollten Standard sein. Und die Sprache muss erlebbar werden – in Austauschprogrammen oder Klassenlagern. Doch solche Massnahmen kosten. Ist es der Politik ernst mit dem nationalen Zusammenhalt, muss sie bereit sein, zu investieren. 

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