28. Mai 2017

Der Lehrplan 21 kommt

Schlag auf Schlag werden die Initiativen gegen den Lehrplan 21 nun abgeschmettert: vor einer Woche in Solothurn mit 66 Prozent Nein, in Schaffhausen, Aargau, St. Gallen und im Thurgau mit 69 bis 75 Prozent. Selbst in Appenzell Innerrhoden wollte die Landgemeinde vom Anliegen nichts wissen und lehnte dieses ohne Diskussion ab. Zwar stehen noch in fünf weiteren Kantonen Volksabstimmungen an (BE, ZH, LU, BL, GR), aber das Verdikt steht bereits fest: Der Aufstand gegen den Lehrplan 21 ist gescheitert. Die Kritik der Gegner, es handle sich um ein zentralistisches, niveausenkendes, kopflastiges Machwerk, verfängt nicht. Beat Zemp, der Präsident des Schweizerischen Lehrerverbands, prognostiziert denn auch: «Der Lehrplan 21 kommt, in allen Deutschschweizer Kantonen.»
Lehrplan 21: Gegner sind gescheitert, NZZaS, 28.5. von Felix E. Müller


Dieser Durchmarsch der offiziellen Bildungspolitik konnte nicht unbedingt erwartet werden. Die Opposition dagegen war aktiv, laut, landesweit gut vernetzt und erfolgreich. In nicht weniger als zwölf Kantonen wurden seit 2014 Volksinitiativen eingereicht. Hier schien sich, angeschoben von einer Gruppe von 500 Lehrpersonen, eine Grundwelle gegen Schulreformen in der Bevölkerung zu bilden. Diesen Eindruck gewann auch die SVP, die – als «Trittbrettfahrerin», wie die ehemalige Zürcher Bildungsdirektorin Regine Aeppli meint – davon zu profitieren hoffte. An einem Sonderparteitag 2008 wurde die Volksschule offiziell zur neuen Kampfzone der Partei erklärt, 2011 bildete das Thema einen Schwerpunkt für die nationalen Wahlen, eine innerparteiliche Expertengruppe um alt Nationalrat Ulrich Schlüer verfasste ein 139 Seiten starkes Grundlagenpapier, das am neuen Lehrplan keinen guten Faden liess.

Zusammen mit Supportern aus der EVP und der EDU schien sich da eine schlagkräftige Gegnerschaft im rechten politischen Lager zu formieren. Umso erstaunlicher, dass der Erfolg selbst in Kantonen, die nicht gerade als Hochburg der Linken gelten, so bescheiden blieb.

Auf der Suche nach Gründen verweist Regine Aeppli auf den Bildungsartikel in der Bundesverfassung, welcher der Harmonisierung im Schulwesen starke Impulse verlieh. Dieser erzielte 2006 unglaubliche 86 Prozent Zustimmung – ein Resultat, das offensichtlich kein Zufall darstelle, sei doch bis heute kein einziger Kanton davon abgewichen. Zemp ergänzt, dass «der Kantönligeist in der Bildung vielen Leuten suspekt ist, weil dieser auch die Mobilität behindert».

Für den ehemaligen Basler Erziehungsdirektor Christoph Eymann mangelt es der Opposition an Substanz. Diese operiere nach dem Motto: «Jeder kann draufhauen.» Der Glaubwürdigkeit der Kritiker half die Tatsache nicht, dass ehemalige Mitglieder der Psychosekte VPM bei den Lehrplangegnern eine teilweise dominierende Rolle spielen. Zudem erwies es sich als Handicap für die SVP, dass die SVP-Bildungsdirektoren in St. Gallen oder Aargau dezidiert für den Lehrplan 21 einstanden und im Wahlkampf gegen die eigene Partei kämpften.

Einen weiteren möglichen Grund nennt die Präsidentin des Zürcher Lehrerverbands, Lilo Lätzsch. Sie deutet den Ausgang der Abstimmungen als Vertrauensbeweis für die Lehrer. In einer Umfrage der Zürcher Fachstelle für Schulevaluation hätten sich 80 Prozent der Eltern zufrieden oder sehr zufrieden mit der Schule gezeigt. «Schon Regierungsrat Gilgen sagte: ‹Am Stammtisch wettert man über die Schule, aber die Lehrer der eigenen Kinder nimmt man davon aus.›»

Leider war es nicht möglich, einen Vertreter der Opposition zu einer Stellungnahme zu motivieren. Offensichtlich setzt in diesen Kreisen die Ernüchterung über die schlechte Resonanz der Kritik ein. Aus den SVP-nahen Medien ist das Thema weitgehend verschwunden. Warum? Christoph Eymann sagt: «Die SVP als wesentliche Treiberin der Gegnerschaft hat offenbar nicht mehr die gleich starke Triebfeder wie zu Beginn der Diskussion.» Die letzte SVP-Mitteilung zum Lehrplan 21 datiert vom Februar 2014.
Damit scheint sich auch in diesem Bereich zu wiederholen, was sich etwa in der Energiepolitik, der Steuerpolitik oder der Gesundheitspolitik beobachten lässt: Der Versuch, die Themenpalette zu erweitern, scheint zu scheitern. Die SVP vermag nur in der Ausländerpolitik und mit der Pflege des Feindbilds EU politisch wirklich zu punkten.


1 Kommentar:

  1. Die Medien machen schon wieder auf "Fake News": Das Volk konnte gar nicht gegen den Lehrplan 21 abstimmen, sondern nur, dass Parlament und Volk (Referendum) generell die Möglichkeit hätten, bei Lehrplänen abstimmen zu können.

    Deshalb ist der Lehrplan 21 weiterhin ohne direktdemokratische Legitimation, weil der oft falsch zitierte Bildungsartikel nichts über Lehrpläne enthält. So kann die Exekutive (fremdgesteuert von der OECD) weiter wursteln wie bisher und unser bewährtes Volksschulsystem an die Wand fahren.

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