4. Mai 2017

Bündner Fremdspracheninitiative gültig

Laut den Lausanner Richtern ist die Bündner Fremdspracheninitiative gültig
Die Bündner Volksinitiative für nur eine Fremdsprache in der Primarschule kommt zur Abstimmung. Für das Bundesgericht ist entscheidend, dass die Schüler am Ende der Oberstufe über eine gleichwertige Sprachausbildung verfügen.
Es muss nicht überall Englisch sein, NZZ, 4.5. von Katharina Fontana
Der Streit um den Fremdsprachenunterricht in der Primarschule beschäftigt nicht nur Familien, Lehrer und Politiker und in gewissen Kantonen die Stimmberechtigten. Am Mittwoch wurde das Thema auch am Bundesgericht diskutiert. Anlass war eine Volksinitiative aus dem Kanton Graubünden mit dem Titel «Nur eine Fremdsprache in der Primarschule». Wer gehofft hatte, dass sich die Lausanner Instanz aus diesem Anlass in allgemeiner Weise zum Sprachenstreit und zur Harmonisierung des Schulwesens äussern und Leitlinien skizzieren würde, wurde enttäuscht. In der öffentlichen Beratung ging es schwergewichtig um den Kanton Graubünden, der sich aufgrund seiner Dreisprachigkeit in einer ganz besonderen und mit anderen Kantonen nicht vergleichbaren Situation befindet.

Vorteil für Deutschsprachige
Die fragliche Volksinitiative verlangt, dass kantonsweit in der Primarschule nur eine Fremdsprache obligatorisch ist, je nach Sprachregion soll dies Deutsch oder Englisch sein. Demnach würden Primarschüler aus den italienisch- und rätoromanischsprachigen Gebieten einzig in Deutsch und die Primarschüler aus den deutschsprachigen Regionen einzig in Englisch obligatorisch unterrichtet. Der Grosse Rat erklärte das Begehren vor zwei Jahren für ungültig, das kantonale Verwaltungsgericht kam ein Jahr später zum gegenteiligen Schluss. Dieser Auffassung hat sich nun die I. Öffentlichrechtliche Abteilung angeschlossen und die Beschwerde von mehreren Privatpersonen abgelehnt. Die Volksinitiative ist also gültig und muss den Bündnerinnen und Bündnern zur Abstimmung unterbreitet werden.

Kernpunkt der Diskussion war die Frage, ob ein unterschiedlicher Sprachenunterricht diskriminierend sei und gegen die Rechtsgleichheit verstosse. Zwei der fünf Richter – einer aus dem Kanton Tessin, einer aus der Waadt – bejahten dies. Die mit der Initiative beantragte Änderung des Volksschulgesetzes führe dazu, dass die Bündner Sprachminderheiten die Sprache der Mehrheit, also Deutsch, lernen müssten. Umgekehrt sei dies nicht der Fall, vielmehr würden die deutschsprachigen Kinder Englischunterricht erhalten. Das erschwere zum einen die Kontakte unter den Schulkindern, zum andern werde die deutsche Sprachregion bevorzugt, da die Kinder dort bereits in der Primarschule die nützlichste Fremdsprache, nämlich Englisch, lernen könnten.

Keine Wertung der Sprachen
Die Mehrheit der Richter bekundete zwar ein gewisses Verständnis für diese Argumente. Dennoch befand sie, dass es problematisch sei, die Fremdsprachen rechtlich zu werten und beispielsweise Englisch als wichtiger einzustufen denn Italienisch. Man könne es nicht als Diskriminierung ansehen, wenn man eine bestimmte Fremdsprache nicht bereits in der Primarschule erlernen könne, hiess es. Dies umso weniger, als man die zweite Fremdsprache auch in der Oberstufe effizient unterrichten könne und es möglich sei, allfällige Defizite durch mehr Lektionen zu kompensieren. Massgeblich sei, dass die Schülerinnen und Schüler am Ende der obligatorischen Schulzeit über eine vergleichbare und gleichwertige Sprachausbildung in einer zweiten Landessprache und in Englisch verfügten; die in der Form der allgemeinen Anregung eingereichte Volksinitiative lasse eine solche Umsetzung zu. Den Einwand, dass auf diese Weise das in der Bundesverfassung verankerte Recht auf ausreichenden Grundschulunterricht beeinträchtigt werde, liessen die Richter ebenso wenig gelten wie das Argument, es komme dadurch zu einer unzulässigen Entharmonisierung im Bildungsbereich.

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