In
einem Punkt sind sich die meisten einig: Irgendetwas muss sich ändern. Der Französischunterricht auf der
Primarstufe ist für die Mehrheit der Lehrerinnen und Lehrer unbefriedigend. Sie
sind frustriert. Aus diesem Grund lancierten einige Kantonsräte vor drei Jahren
eine Motion zur Abschaffung des Französischunterrichts in der Primarschule. Urs
Schrepfer und seine Kollegen waren selber etwas überrascht, dass der Grosse Rat
ihnen folgte.
Mit oder ohne Frühfranzösisch wird es schwierig, Thurgauer Zeitung, 29.4. von David Angst
Mit der Motion brachte das Kantonsparlament den Thurgau in eine verzwickte Lage. Er wird in der letzten «NZZ
am Sonntag» als unbeugsames Dorf widerspenstiger Gallier dargestellt, eine
Rolle, die ihm eigentlich nicht liegt. Der Vergleich mit Asterix und Obelix
passt eher zu den Innerrhödlern. Diese sträuben sich ja seit eh und je gegen
das Frühfranzösisch, ohne dass jemand mit der Wimper zuckte. Beim Thurgau wird
gleich eine Drohkulisse aufgebaut, und die verfehlt ihre Wirkung nicht.
Nun muss, bzw. darf der Grosse Rat am kommenden Mittwoch noch einmal über den
Fremdsprachenunterricht abstimmen. Das ist eine Chance, in aller Ruhe darüber
nachzudenken, was für den Thurgau das Beste ist. Leider gibt gemäss DEK die
Wissenschaft keine eindeutigen Anhaltspunkte. Es müssen deshalb andere
Kriterien berücksichtigt werden.
Von den verschiedenen Modellen, die zur Debatte stehen, sind grundsätzlich alle umsetzbar, aber keines ist einfach. Der
Grosse Rat kann die Vorlage ablehnen, sprich, seinen Entscheid von 2014
rückgängig machen und den Französischunterricht ab der fünften Klasse
weiterführen. Ein Entscheid, der nur dann befriedigt, wenn das
Erziehungsdepartement Lehrmittel, Methodik und die Lehrerausbildung unter die
Lupe nimmt. Dasselbe gilt für eine Verschiebung des Unterrichts auf die sechste
Klasse – den Kompromissvorschlag des Erziehungsdepartements. Die Frage ist, ob
damit der Bund und die anderen Kantone zufrieden wären – sie haben sich ja
explizit auf die fünfte Klasse geeinigt.
Der Thurgau kann aber auch seinen eigenen Weg gehen und den Französischunterricht ganz auf die Oberstufe verlagern.
Dabei riskiert er aber, dass er in der Eidgenossenschaft als Eigenbrötler
angesehen wird. Er müsste diesen Weg jedenfalls gut begründen. Es bedeutet
auch, dass er unter Umständen (Zürich stimmt am 21. Mai ab) nur Innerrhoden als
Partner hat. Das kann die Lehrmittelbeschaffung verteuern. Schüler, welche
umziehen oder in einem Nachbarkanton zur Schule gehen, werden benachteiligt.
Und es heisst auch, dass die Oberstufe durch den Fremdsprachenunterricht mehr
belastet wird. Gerade sie, die ohnehin schon ein Kampfplatz unterschiedlichster
Bildungsansprüche ist, weil hier die Weichen für die berufliche Zukunft
gestellt werden müssen.
Wenn man Französisch zu 100 Prozent auf die Oberstufe verlagert, so muss man dort zwingend mehr Lektionen
einplanen. Was nämlich auf jeden Fall verhindert werden muss, ist eine
Degradierung des Französischunterrichts zum Nebenfach. In diesem Punkt sollten
sich sämtliche bildungsfreundlichen Gruppierungen einig sein.
Dies aus zwei Gründen. Erstens ist die Art und Weise, wie die Schweiz mit ihrer Vielsprachigkeit umgeht, eines der
zentralen identitätsstiftenden Merkmale unseres Landes. Der gelebte
Föderalismus und der Zusammenhalt über die Sprachgrenzen hinweg sollte keine
leere Floskel werden, sondern mit Überzeugung und Anstrengung gepflegt werden.
Der zweite Grund ist der wirtschaftliche Standortvorteil: Es gibt eine gefährliche Tendenz in der Deutschschweiz, nur noch
Englisch als wichtige Fremdsprache anzusehen – und Französisch als mühsame
folkloristische Verpflichtung, ja fast schon als Schikane. Diese Haltung ist
falsch. Englisch kann heute jeder. Wer aber beherrscht noch zwei bis drei
weitere westeuropäische Sprachen? Wohl nur wir Schweizer.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen