23. April 2017

"Sprachkultur und Mehrsprachigkeit aufs Spiel gesetzt"

Die oberste welsche Bildungsministerin Monika Maire-Hefti befürchtet, dass die Deutschschweizer bei einem Referendum gegen Frühfranzösisch stimmen würden.
Die Neuenburger SP-Regierungsrätin Maire-Hefti (verheiratet mit SP-Nationalrat Jacques-André Maire) in ihrem Büro. Bild: Goran Basic
Frühfranzösisch: "Abstimmung könnte verheerende Folgen haben", NZZaS, 23.4. von René Donzé
Sie sind in der Deutschschweiz aufgewachsen. Wann haben Sie Französisch gelernt?
Erst in der Oberstufe – und vor allem später im Welschlandjahr.

Das hat ja offensichtlich bestens funktioniert. Man fragt sich, warum nun so viel Aufhebens um das Frühfranzösisch in der Deutschschweiz gemacht wird.
Damals war es noch eine ganz andere Zeit. Die Fremdsprachen waren generell kein grosses Thema an den Schulen, und die Konkurrenz durchs Englisch war noch nicht so gross. Wenn man eine Fremdsprache lernte in der Deutschschweiz, dann in erster Linie Französisch.

Heute scheinen die Nerven blank zu liegen, warum?
Weil sich die Sprachminderheiten im Land zunehmend an die Wand gedrängt fühlen. Es geht also vor allem um Befindlichkeiten in dieser Frage.

Nun hat sich Bundesrat Alain Berset in den nationalen Sprachenstreit eingemischt. Er strebt eine Bundeslösung an – vor allem, um das Frühfranzösisch zu verteidigen. Das dürfte Ihnen gefallen.
Als Regierungsrätin bin ich natürlich eine Verfechterin der kantonalen Souveränität. Darum stehe ich dieser Einmischung kritisch gegenüber. Aber wenn unsere Sprachkultur und unsere Mehrsprachigkeit aufs Spiel gesetzt werden, muss der Bund etwas unternehmen. Ich hoffe jedoch, dass wir die Intervention abwenden können, indem wir uns innerhalb der Erziehungsdirektorenkonferenz auf einen neuen Kompromiss einigen.

Warum?
Erstens, weil Schule eine kantonale Angelegenheit ist und keine Sache des Bundes. Und zweitens, weil mit einer Anpassung des Sprachengesetzes die Gefahr eines Referendums und damit einer nationalen Abstimmung in der Fremdsprachenfrage besteht. Wir müssen alles daran setzen, das zu verhindern.

Weshalb diese Furcht?
Im Moment ist die Stimmung in Schulfragen ziemlich stark aufgeheizt – vor allem wegen des Lehrplans 21. Es wird darum schwierig, eine differenzierte Diskussion zu führen.

Haben Sie Angst vor einem Nein der Deutschschweiz?
Eine Abstimmung in der Sprachenfrage könnte verheerende Folgen haben. Die welsche Schweiz ist in der Minderheit. Darum möchten wir das Risiko nicht eingehen, dass sich die Deutschschweizer von unserer Sprache ganz abwenden.

Würden sich umgekehrt die Welschen für das Frühdeutsch entscheiden? Es ist ja auch nicht gerade ihre Lieblingssprache.
Das stimmt zwar, doch zeigen die Welschen einen starken Willen, Deutsch zu lernen. Für sie ist es wichtig, weil sie ein wirtschaftliches Interesse haben.

Was können Sie tun, um eine Eskalation des Sprachenstreits zu verhindern?
Ich werde das Thema zuerst mit meinen welschen Kollegen diskutieren, und dann müssen wir versuchen, innerhalb der Erziehungsdirektorenkonferenz eine Lösung zu finden. Wenn wir uns auf einen guten Kompromiss einigen können, dem alle Kantone zustimmen, dann können wir vielleicht auch noch eine Bundesintervention abwenden. Wir können das Problem aber nur lösen, wenn wir etwas flexibler werden.

Wie würde ein solcher Kompromiss aussehen?
Man könnte den Kantonen mehr Freiheiten geben, wann sie innerhalb der obligatorischen Schulzeit mit welcher Fremdsprache beginnen. Das ist ja eigentlich auch nicht so ausschlaggebend. Was aber aus meiner Sicht zwingend ist, ist, dass alle Schüler bis zum Ende ihrer Schulkarriere ein gewisses Niveau in der zweiten Landessprache erreichen.

Das heisst Französisch müsste in der Deutschschweiz nicht mehr unbedingt in der Primarschule unterrichtet werden?
Oder Englisch. Das muss man dann thematisieren und diskutieren. Ich will natürlich, dass Französisch in der Reihenfolge zuerst kommt. Englisch lernen die Jungen sowieso früher oder später, weil es viel einfacher und allgegenwärtig in der heutigen Gesellschaft ist.

Mit welcher Position steigen Sie in die Diskussion mit Ihren Kollegen aus den anderen Kantonen?
Ich werde mich dafür einsetzen, dass weiterhin eine zweite Landessprache in der Primarschule gelehrt werden muss. Dafür könnte Englisch auch erst auf der Oberstufe unterrichtet werden. Das wäre ein möglicher Kompromiss. Auch darüber muss man sprechen. Doch alle haben Angst, auf diesem Gebiet innovativ zu sein. In der Politik sind die Sensibilitäten in der Sprachenfrage gross.

Der Streit um die Fremdsprachen in der Schule ist ja auch mehr ein politischer als ein pädagogischer, wie es scheint.
Ja und nein. Aus pädagogischer Sicht ist es sinnvoll, früh mit Fremdsprachen zu beginnen und diese auch möglichst intensiv zu lernen. Die Kinder sind dann freier einer neuen Sprache gegenüber und wenden sie ohne Hemmungen an. Dann entwickeln sie auch eher eine Liebe zu dieser Fremdsprache. Heute haben die Welschen keine Freude am Deutschen und die Deutschschweizer keine Freude an Französisch. Das heisst, dass da noch einiges nicht optimal ist und verbessert werden kann.


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