22. April 2017

Problemfach Primarfranzösisch

Der Fremdsprachenunterricht in den Zürcher Primarschulen hat eine gewisse Tradition, seine Experimentierphase ist aber noch nicht vorbei. Französisch ab der 5. Klasse hat inzwischen eine ganze Generation erlebt; Englischunterricht ab der 2. Klasse ist vor etwas mehr als einem Jahrzehnt dazugekommen. Der Unterricht in zwei Fremdsprachen auf Primarstufe war von Anfang an umstritten. Schon im November 2006 verlangte eine Volksinitiative die Beschränkung auf eine Sprache. Französisch, so die unausgesprochene Idee dahinter, sollte auf die Oberstufe verschoben werden. Die Zürcherinnen und Zürcher lehnten das Ansinnen damals mit einer Mehrheit von 58,5 Prozent ab. Ähnliche Initiativen verwarfen auch andere Kantone.
Französisch ist bei den Kindern wenig beliebt. Bild: Karin Hofer
Knacknuss Primarschul-Französisch, NZZ, 21.4. von Walter Bernet

Nun sind die Stimmbürger erneut an die Urnen gerufen, um über die Verschiebung des Unterrichts in der zweiten Fremdsprache auf die Sekundarstufe zu befinden. Es sind zum Teil die gleichen Kreise wie 2006, die hinter der Volksinitiative «Mehr Qualität – eine Fremdsprache in der Primarschule» stehen. Neu ist, dass die Lehrerverbände unter den Initianten die Rolle der Lokomotive übernommen haben. Nicht neu ist hingegen die Skepsis, mit der die Lehrerschaft dem zurzeit praktizierten Fremdsprachenunterricht begegnet. Und wie vor einem Jahrzehnt stehen auch jetzt in anderen Kantonen ähnliche Initiativen an. Nidwalden hat sich bereits im März 2015 für das Festhalten an zwei Fremdsprachen ausgesprochen, in Luzern wird voraussichtlich im September über eine Initiative abgestimmt, die mit der zürcherischen eng verwandt ist.

Geändert haben sich seit 2006 die politischen Rahmenbedingungen. Der Sprachenkompromiss der Erziehungsdirektoren von 2004 mit Fremdsprachenunterricht spätestens in der 3. und in der 5. Klasse ist inzwischen ins Harmos-Konkordat übernommen worden und wird von 22 Kantonen praktiziert. Die Zürcher haben diesem im November 2008 mit 62,4 Prozent zugestimmt. Ein Ausscheren Zürichs würde also einigen politischen Staub aufwirbeln. Das gilt auch für die Wahl der weiterhin in der Primarschule unterrichteten Fremdsprache, zu der sich die Initianten nicht äussern. Das Festhalten an Englisch anstelle von Französisch käme einer Provokation gleich; in Bern liegt der Entwurf eines Sprachengesetzes bereit, das notfalls eine Landessprache als erste Fremdsprache vorschreiben würde.

Die Diskussionen um den Lehrplan 21, die Förderung von Technik und Naturwissenschaften sowie die Resultate von Pisa und anderen Studien haben den Kritikern des Fremdsprachenunterrichts in den letzten Jahren neue Nahrung verschafft. Der Erfolg des Fremdsprachenunterrichts stehe in keinem Verhältnis zum dafür geleisteten Aufwand finanzieller und pädagogischer Art, sagen sie. Man überfordere einen grossen Teil der Kinder damit. Mit einer Verschiebung einer Fremdsprache auf die Sekundarstufe, auf der ein effizienteres und nach Niveau differenziertes Lernen möglich sei, verbessere man den Unterricht in allen Sprachen. In der Primarschule schaffe man Raum für einen besseren Mathematik- und Deutschunterricht.

Krieg mit Studien
Die Diskussionen haben zu einem eigentlichen Krieg mit Studien geführt – zum Teil berufen sich beide Seiten mit ihren Argumenten gar auf die gleichen Untersuchungen. Stefan Wolter, Direktor der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung, meint dazu, es gebe zurzeit keinerlei Forschungsevidenz, die eine Veränderung des gegenwärtigen Schweizer Modells nahelegen würde. Die Gegner der Initiative auf beiden Seiten des politischen Spektrums bezweifeln den Nutzen einer Verschiebung in die Oberstufe. Der richtige Weg sei die Optimierung des Unterrichts, wie sie mit der Einführung des Lehrplans 21 zum Teil vorgesehen ist (3 statt 2 Lektionen am Anfang).

Das Hauptproblem der Initiative ist aus Sicht der Befürworter, dass deren Annahme das Ende des Englischunterrichts in der Primarschule bedeuten würde. Der Regierungsrat machte klar, dass er sich dann für Französisch als erste Fremdsprache entscheiden müsste. Wenn es in der Primarstufe aber Probleme mit Fremdsprachen gibt, dann im Französischunterricht. Daran kommen auch die Initianten nicht vorbei.


1 Kommentar:

  1. Fremdspracheninitiative – Harmonisierung findet auf der Sekundarstufe statt

    Bei der Volksinitiative «Mehr Qualität – eine Fremdsprache in der Primarschule», über die am 21. Mai abgestimmt wird, wird gebetsmühlenartig das Argument wiederholt, es brauche in allen Kantonen Frühfremdsprachen wegen der Harmonisierung. Eltern und Lehrer können schon lange beobachten, dass Oberstufenschüler, die keine Frühfremdsprachen hatten, den Vorsprung ihrer Mitschüler mit Frühfremdsprachen innert einem halben Jahr aufholen. Das wird nun auch von wissenschaftlichen Vergleichsstudie zwischen den Kantonen Aargau und Solothurn bestätigt, wo vier Jahre Frühenglisch auf der Oberstufe in einem halben Jahr aufgeholt wurden. Folglich spielt es keine Rolle, ob man von einem Kanton mit einer oder zwei Frühfremdsprachen in einen Kanton umzieht, wo die Fremdsprachen nur auf der Oberstufe, dafür aber intensiv gelernt werden. Ob man nun mit Französisch oder Englisch auf der Primarstufe anfängt, ist ebenfalls „Hans was Heiri“, weil es keinen Langzeitvorteil gibt, der auf der Oberstufe nicht innert Kürze aufgeholt werden kann und das, dank dem erst auf dieser Stufe möglichen analytischen Lernen. Ein JA zur Fremdspracheninitiative, macht Ressourcen auf der Primarstufe frei, die dringend für die Verbesserung der - von KMUs und Eltern angemahnten - miserablen Deutschkenntnisse (siehe Pisa 2012 und 2015) eingesetzt werden müssen. Ohne gute Deutschkenntnisse können weder Fremdsprachen noch MINT-Fächer erfolgreich gelernt werden.

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