1. März 2017

Zoff in St. Gallen wegen halber Noten

Mit dem Lehrplan 21 ändert sich die Beurteilung der Schüler. Sie sollen neu nach ihren erworbenen oder eben nicht erworbenen Kompetenzen bewertet werden. Dazu könnte auf die halben Noten wie 4,5 oder 5,5 im Zeugnis verzichtet werden, hatte der Kanton in Aussicht gestellt. Dagegen hat sich Widerstand formiert und im Kantonsrat ist deswegen eine Kommission ins Leben gerufen worden. Es ist anzunehmen, dass der Kanton vom Konzept der Bewertung nur mit ganzen Noten absieht und den Lehrplan 21 im kommenden Sommer mit halben Noten einführt. Das alles wäre die Druckerschwärze nicht wert zu schreiben, wenn die Stadt nicht schon die Bewertung umgestellt hätte, ganz ohne Not.
Eine Umkehr zum alten System wäre mit unnötigen Kosten verbunden, wie eine Umfrage unter den städtischen Bildungspolitikern zeigt. Das ist aber auch gleich der einzige Punkt, zu dem sie sich kritisch äussern. Obschon einer davon schon in einer Einfachen Anfrage vom letzten Sommer das Vorgehen der Schuldirektion in Frage gestellt hatte.
Nun entscheidet der Kantonsrat, ob es ganze oder halbe Noten im Zeugnis gibt, Bild: Urs Bucher
"Der Stadtrat ist vorgeprescht", St. Galler Tagblatt, 1.3. von Elisabeth Reisp

Ein Systemwechsel muss vom Kanton kommen
In seiner Einfachen Anfrage vom letzten Juli stellte Daniel Kehl (SP) noch die Frage: «Weshalb wird in der Stadt St. Gallen jetzt die Zeugnis-Beurteilung mit ganzen Noten eingeführt, obwohl der Kanton Halbnoten auch in Zukunft ausdrücklich zulassen will und dabei beabsichtigt, dies gesetzlich so vorzuschreiben?» Jetzt, ein halbes Jahr später, äussert er sich auf Anfrage zurückhaltend über das Vorgehen des Stadtrates. Den Schritt zu den ganzen Noten kritisiert Kehl nicht im Grundsatz. «Der Systemwechsel ist machbar, muss aber vom ganzen Kanton getragen werden.» Es sei höchst unwahrscheinlich, dass die Stadt am System der ganzen Noten werde festhalten können. «Daher: Ja, der Stadtrat ist vorgeprescht», sagt Kehl.

Die Art der Noten ist nicht entscheidend
Karin Winter-Dubs, SVP-Fraktionschefin und Lehrerin an der Berufsschule (KBZ), ist nach eigenen Angaben zu tief im Thema drin, um noch eine einfache Antwort auf die Frage zu geben, ob der Stadtrat mit seinem Vorgehen vorgeprescht ist. Im grossen Mosaik Lehrplan 21 sei die Benotung nur ein kleines Steinchen. «Viel wichtiger ist die kompetenzorientierte Beurteilung.» Zudem dürfe man nicht vergessen, dass eine Stadt mehr Vorlaufzeit brauche, um neue Konzepte einzuführen, als eine kleine Gemeinde. Was die Stadt aber mit Sicherheit versäumt habe, ist eine umfassende Kommunikation zu den Noten im Vorfeld.
Hin und her gerissen ist auch Patrik Angehrn von der CVP. Für den neuen Präsidenten der Bildungskommission ist es der falsche Zeitpunkt, das Vorgehen des Stadtrates zu hinterfragen, jetzt, wo es im Kantonsrat wieder aufs Tapet kommt. «So kurz vor der Umsetzung darf es keinen Richtungswechsel geben.» Angehrn ist erst seit Anfang Jahr Präsident. In seiner bisherigen Amtszeit war die Notengebung kein Thema. «Gemäss Aussagen früherer Kommissionsmitglieder wurde die Notengebung aber in der Biko besprochen. Und auch in Zukunft will ich solche sensiblen Dinge von öffentlichem Belang in der Bildungskommission besprechen.» Erzwingen könne er aber nichts, weiss er. Denn die Benotung von Schülern gehört in die Zuständigkeit der Schuldirektion. Für die Zukunft wünscht er sich aber, dass pädagogische Grundsatzentscheide im Parlament diskutiert würden.

Dem Stadtrat fehlte die Geduld
Die Bildungspolitikerin der FDP, Jennifer Deuel, attestiert dem Stadtrat ganz klar ein Vorpreschen in dieser Sache: «Hier wäre etwas mehr Geduld angebracht gewesen.» Sie hält dem Stadtrat aber auch zu Gute, dass das Vorgehen mit dem Lehrplan 21 übereinstimmt. Dennoch: Deuel hätte als Stadträtin gewartet und vor allem ein Gespräch mit dem Bildungsdepartment des Kantons gesucht. Falls der Kanton definitiv auf halbe Noten setzt, rechnet Deuel in der Folge mit dem ­«einen oder anderen Vorstoss» im Parlament.

Die Befragung bei städtischen Bildungspolitikern zeigt, zufrieden sind sie mit dem zügigen Vorgehen des Stadtrates nicht. Deswegen unnötig Geschirr zu zerschlagen, halten sie aber auch nicht für angebracht.


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