4. März 2017

Miserables Zeugnis für Frühfranzösisch

Die Ergebnisse sind alarmierend. 97,3 Prozent der befragten Baselbieter Sekundarlehrer finden, dass ihre Schüler in der 7.Klasse einen «schlechten» oder «nicht so guten» Französisch-Wortschatz hätten. Bei der Umfrage, die der Lehrerverein Baselland (LVB) diese Woche in seiner Vereinspublikation «LVB inform» veröffentlicht hat, wurde zudem nach den Fähigkeiten im «Sprechen», in der «Grammatik» sowie im «Verstehen» gefragt – mit ähnlich erschreckenden Einschätzungen. Dies im Gegensatz zur anderen Fremdsprache, die bereits in der Primarschule unterrichtet wird: In Englisch attestieren die meisten Baselbieter Lehrer ihren Schülern mittelmässige bis gute Fähigkeiten.
Auch nach vier Jahren Primarfranzösisch verstehen die Schüler meist nur Bahnhof, Bild: Schweiz am Wochende, Ausgabe Basel
Der Französisch-Schock, Schweiz am Wochenende Basel, 4.3. von Leif Simonsen

Die Umfrage, die unter 55 Lehrern im Landkanton durchgeführt wurde, birgt politische Brisanz. 2012 führte Baselland als einer von sechs Kantonen der Schweiz Französisch bereits in der dritten Klasse ein. Neben Solothurn, Bern, Fribourg und dem Wallis gehört auch der Nachbarkanton Basel-Stadt zum sogenannten Passepartout-Konkordat. Dieses eint neben der Einführung von Französisch als erster Fremdsprache auch das pädagogische Modell. Die Schüler sollen nicht mehr korrigiert, sondern langsam an die neue Sprache herangeführt werden. Die Passepartout-Kantone preisen das «Erfolgsmodell» auf einer gemeinsamen Homepage: «Im Vordergrund steht das Handeln und Kommunizieren: Die Schülerinnen und Schüler lernen so Wortschatz und Grammatik nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit spannenden Inhalten und Aktivitäten.» Dereinst, so die Idee, sollen die Fehler automatisch verschwinden. Aus dem «Schö» wird «Je», aus «Lö Woatür» wird im Verlauf der Jahre «la voiture».

Motiviert in den Englischunterricht
Vier Jahre sind seit der Einführung dieses Modells im Baselbiet verstrichen. Statt der erhofften Freude, sich unbehelligt in einer neuen Sprache auszutoben, ist gemäss der ersten Umfrage auch bei den Schülern Resignation eingekehrt. «Sie wissen nie, woran sie sind», sagt ein Primarlehrer, der vergangenes Jahr pensioniert wurde. «Das frustriert sie. Sie ahnen ja, dass sie vieles falsch machen. Und auf diese Fehler wollen sie aufmerksam gemacht werden.»

Die Umfrage belegt den Frust. 78 Prozent der Lehrer erleben ihre Schüler im Franzö- sisch-Unterricht als «wenig motiviert» oder sogar «abgelöscht». Zum Vergleich: 94 Prozent der Schüler gehen «motiviert» oder «hoch motiviert» in den Englisch-Unterricht. Zwar räumt der LVB ein, dass Englisch allgemein als «cooler» gelte und deswegen besser abschneide. Nachdem aber in Solothurn ähnliche Umfrageergebnisse erzielt wurden, prognostiziert LVB-Präsident Roger von Wartburg in den nächsten Monaten trotzdem eine politische Debatte über Passepartout. Eine erste Sitzung mit der Bildungsdirektorin Monica Gschwind fand schon vergangene Woche statt. Von Wartburg sagt: «Methodik und Aufbau der Lehrmittel sowie die Stundenverteilung müssen diskutiert werden.» Mit den maximal drei Lektionen in der Woche, die der heutige Stundenplan vorsehe, kämen die Schüler offensichtlich insbesondere in Französisch nicht weit. Eine «Patentlösung« hat von Wartburg in der «verfahrenen Situation» aber nicht.

Besonnene Pädagogen reagieren
Den lautstarken Passepartout-Gegner Jürg Wiedemann (Grüne-Unabhängige) und Paul Hofer (FDP) kommen die schlechten Französisch-Kenntnisse der Schüler entgegen. Denn mittlerweile regt sich auch unter den besonneneren Pädagogen Widerstand. Der frühere Sekundarlehrer Felix Schmutz, der sich intensiv mit der neuen Lernmethode sowie den neuen Lehrmitteln auseinandergesetzt hat, kommt zum Schluss: «Offensichtlich ergibt es keinen Sinn, schon in der dritten Klasse mit Französisch anzufangen.» Die Kinder seien in diesem Alter zu jung für «kursorischen» Unterricht in einer Fremdsprache. Stattdessen sollten sich die Kinder in den ersten drei Jahren darauf konzentrieren können, die deutsche Sprache korrekt zu erlernen. Er legt nahe, den Französisch-Unterricht erst in der vierten Klasse einzuführen und mit Englisch bis zur sechsten zu warten.


Ein Ausstieg wäre im nächsten Jahr möglich. Die sechs Passepartout-Kantone haben sich verpflichtet, mindestens bis 2018 am Lehrplan festzuhalten.

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