6. März 2017

Ein Intelligenztest kann eine Aufnahmeprüfung nicht ersetzen

Rund 6000 Schülerinnen und Schüler treten diese Woche zur schriftlichen Aufnahmeprüfung an
Am Montag und am Dienstag finden die Zürcher Gymiprüfungen statt. Rund 6000 Schüler treten dazu an. Der politische Druck, streng zu prüfen, ist gross. Wie geht Martin Zimmermann, Koordinator der Kantonsschulen für die Zentrale Aufnahmeprüfung, damit um?
Eine Aufnahmeprüfung erfordert viel Konzentration, da ist eine Stärkung zwischendurch willkommen. Bild: Goran Basic
"Es geht im Gymnasium nicht nur um Intelligenz", NZZ, 6.3. von Walter Bernet

Herr Zimmermann, fast alle wollen ins Gymi. Wem raten Sie, auf die Prüfung zu verzichten?

Es stimmt nicht, dass alle ins Gymnasium wollen. Für das Langgymnasium meldet sich gut ein Viertel der Sechstklässler an, beim Kurzgymnasium sind es ungefähr 10 Prozent der Zweit- und Drittklässler der Sekundarstufe. Die Frage ist trotzdem wichtig. Wir raten an unseren Informationsabenden all jenen von einer Anmeldung ab, die sich nicht vorstellen können, sich mit grosser Konzentration und Ausdauer auf eine Sache einzulassen, die keinen direkt sichtbaren Nutzen verspricht. Vier oder sechs Jahre Gymnasium sind eine lange Zeit. Man muss sich für die Inhalte schon interessieren, um durchzuhalten.

Für viele ausländische Eltern mit akademischer Ausbildung ist es unverständlich, dass in der Schweiz nur etwa 20 Prozent eines Jahrgangs das «Abi» machen können. Was sagen Sie ihnen?

Wir haben viele gute Alternativen, vor allem über den Berufsbildungsweg. Sie werden überall gelobt. Ich tue es gerne auch. Man kann mit der geringen Jugendarbeitslosigkeit argumentieren, aber am Ende ist es so, dass die Schweiz dieses Modell gewählt und so ausgestaltet hat, dass man auch nach einer Berufslehre nicht von einem Universitätsstudium ausgeschlossen ist. Das Gymnasium hat viele Stärken, aber ist man einmal drin, bewegt man sich weitgehend auf einer Schiene. Für viele junge Männer ist die Berufslehre mit Berufsmatur ein attraktiverer Weg. Man hat früh seinen eigenen Lohn und kann später immer noch entscheiden, welchen Weg man gehen will.

Noch vor Jahren hiess es, die Prüfung sei je nach Schule einfacher oder schwieriger zu schaffen. Deshalb hat man die Zentrale Aufnahmeprüfung eingeführt. Ist die Kritik verstummt? Immerhin korrigieren ja die einzelnen Schulen die Prüfung.

Die Prüfungen sind streng normiert. Unterschiede in der Korrektur kann es eigentlich nur im Aufsatz geben. Aber auch da ist die Kritik weitgehend verstummt. Durch den Austausch hat man sich einander angenähert.

Von den einzelnen Schulen verantwortet wird nach wie vor die mündliche Prüfung. Gibt es Unterschieden in der Handhabung und bei den Erfolgsquoten?

Bei den mündlichen Prüfungen ist es ähnlich wie bei den schriftlichen. Die Erfolgsquoten in den schriftlichen und in den mündlichen Prüfungen liegen bei allen Schulen nahe beieinander. Das spricht klar dagegen, dass einzelne Schulen zum Beispiel zu viele Schüler nachselektionieren. Eine weitere Vereinheitlichung der mündlichen Prüfungen dürfte kaum möglich sein, zumal die Lehrer auf Einflussnahmen abweisend reagieren würden. Sie haben ein sehr hohes Berufsethos.

In den Spardiskussionen geistert, genährt von der Bildungsdirektorin, die Behauptung herum, die Schulen nähmen zu viele Prüflinge auf und siebten dann in der Probezeit umso kräftiger aus, namentlich im Kurzgymnasium. Es wurden sogar finanzielle Motive unterstellt. Was sagen sie dazu?

Es gibt ein Problem beim Übergang von der Sekundarschule zum Kurzgymnasium. Die Quoten der nach der Probezeit Ausscheidenden sind gestiegen. Wir haben reagiert mit dem Versuch einer Klärung der gegenseitigen Erwartungen an das Fachwissen der Schüler, um die Passung zu verbessern. Im sogenannten VSGYM-Projekt sind wir daran, genauer zu beschreiben, was die Schüler für den Erfolg im Gymnasium wissen müssen. Finanzielle Motive können ausgeschlossen werden. Es ist den Mittelschulen am Ende der Probezeit im Februar gar nicht möglich, Klassen zusammenlegen und so zu sparen. Sie können also nicht davon profitieren, dass die Schülerpauschalen für ein ganzes Jahr bezahlt werden, auch für die nach einem halben Jahr ausscheidenden Schüler.

Trotzdem: Das Aufnahmeverfahren macht offenbar relativ ungenaue Erfolgsprognosen. Gibt es Verbesserungspotenzial? Man überarbeitet das Prüfungsverfahren ja zurzeit.

Das ist nicht richtig. Die Prüfungsergebnisse liefern eine ziemlich gute Prognose für den Erfolg in der Probezeit. Wer die Prüfung nur knapp schafft, muss eher damit rechnen auszuscheiden. Die Zentrale Aufnahmeprüfung trennt sehr gut bei den ganz starken und bei den ganz schwachen Schülern. Abweichungen von der durch die Prüfung gestellten Prognose gibt es eher im Mittelfeld. Aber das ist bei jedem Aufnahmeverfahren so.

Wären Intelligenztests ein Ersatz? Oder gar ein Verzicht auf die Prüfung und ein Abstützen auf Lehrerempfehlungen?

In der Schweiz gibt es viele verschiedene Aufnahmeverfahren. Sie funktionieren alle. Ein Intelligenztest kann sie aber nicht ersetzen. Es geht im Gymnasium nicht nur um Intelligenz, sondern auch um Durchhaltewillen, um Affinität zum schulischen Lernen, um die Bereitschaft, auch Knochenarbeit zu leisten. Die Schüler müssen über eine lange Zeit sieben- bis achtstündige Schultage aushalten können. Das ist streng.

Ein Thema ist das Verhältnis von Lang- und Kurzgymnasium. Die Politik möchte den in den letzten Jahren auf rund 60 Prozent angewachsenen Anteil von Kurzgymnasiasten trotz grossem Ansturm auf die früheren rund 50 Prozent verringern. Eine klare politische Ansage an die Prüfungsmacher. Wie gehen Sie damit um?

Diese Vorgabe haben wir vom Kantonsrat und in etwas sibyllinischerer Form durch die Leistungsüberprüfung Lü 16 der Regierung: Diese verlangt eine «spätere und stärker leistungsbezogene Aufnahme ins Gymnasium mit gleichzeitiger Senkung der Ausfallquote». Wir werden sie umsetzen müssen, und zwar so, dass wir den Schülern trotzdem gerecht werden. Das wird dann nicht einfach, wenn es sich um einen starken Jahrgang handelt. Einfach zu sagen, wir nähmen nur so und so viele Schüler ins Gymnasium auf, geht nicht.

Generell ist es doch so, dass ungefähr so viele Schüler die Prüfungen bestehen, wie gerade noch Platz haben in den Schulen. Es gibt aber auch Schulen, die etwas kämpfen müssen um genügend Anmeldungen. Welche Rolle spielt bei solchen Fragen das Aufnahmeverfahren?

Wir haben nie einfach die Schulhäuser gefüllt, sondern uns an qualitative Kriterien gehalten. Bei ungleicher Zahl von Anmeldungen greifen die Schulen zu Umteilungen, beispielsweise zwischen den Schulen rund um den Zürcher Pfauen oder auch bei uns im Oberland zwischen Wetzikon und Uster.

Aber die Infrastrukturen der Mittelschulen sind seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts nicht mehr gross erweitert worden.

Trotzdem gab es in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre einen grossen Run auf das Langgymnasium. Vermutlich war das mangelnde Vertrauen in die Sekundarschule nach der damaligen Oberstufenreform der Grund. Zu Unrecht, wie wir im Rückblick sehen. Wir haben gute Sekundarschulen.

Die Mittelschülerquoten unterscheiden sich zwischen den Kantonen und innerhalb des Kantons sehr stark. Besteht angesichts des ungerecht verteilten Zugangs zu den Universitäten da nicht Handlungsbedarf?

Die Ungleichheit ist in der Tat irritierend. Ich hätte persönlich aber keine Freude, wenn der Bund zum Beispiel Minimal- und Maximalquoten vorschreiben würde. Letztlich spielt auch hier eine Art Markt. Und zu einem Überangebot an Akademikern auf dem Arbeitsmarkt ist es nirgends gekommen. Die Quotenfrage ist eine politische Frage. Ich kann und will sie deshalb nicht beantworten.


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