1. Februar 2017

Nach der Katastrophe wird es wieder einmal niemand gewesen sein

Viel ist in letzter Zeit von der Digitalisierung der Bildung die Rede, ein österreichisches Bundesland hat gleich ein «Jahr der digitalen Bildung» ausgerufen, und ganz Zeitgeistige wie die renommierte Fraunhofer Academy sprechen gleich von Bildung 4.0 und dokumentieren damit, dass es keinen Unsinn gibt, der sich nicht sagen lässt. Überall werden Offensiven gestartet, um Schulen mit digitalen Endgeräten zu versorgen, den Unterricht auf digitale Lehrmittel und Methoden umzustellen und so die angeblich notwendige «digitale Kompetenz» zu vermitteln, ohne die ja die Zukunft nicht bewältigt werden kann. Das Geld, das in manchen Ländern im Bildungsbereich an allen Ecken und Enden fehlt, ist plötzlich da, wenn es darum geht, Grossaufträge an die entsprechenden Industrien und Konzerne zu vergeben, die ja nicht nur die Geräte, sondern gleich auch die Programme dazu liefern – auch eine Form der Privatisierung des Wissens.
Digitale Drogen, NZZ, 1.2. von Konrad Paul Liessmann

Es gibt allerdings keine empirische Untersuchung, die zeigen könnte, dass der frühzeitige Einsatz digitaler Medien irgendwelche positiven Effekte hätte. Weder wird mehr noch besser, noch nachhaltiger, noch umfassender gelernt, und auch die vielbeschworene Medienkompetenz, die man sich davon gerne erhofft, will sich nicht einstellen. Und besser vorbereitet auf eine Zukunft, die niemand kennt, ist dadurch auch niemand. Denn wenn es stimmt, dass die technisierte Arbeitswelt bald keine Menschen mehr benötigt, hat derjenige die besten Aussichten, der etwas zu bieten hat, was weder digitalisiert noch automatisiert werden kann.
Im Grunde wiederholt sich hier ein grundlegendes Missverständnis, das schon seit Jahrzehnten sein Unwesen treibt. Wie oft sind im Bereich der Bildung schon alle Hoffnungen in technische Innovationen gesetzt worden: in den Videorecorder, in den programmierten Unterricht, in Sprachlabors, in den Overhead-Projektor, in Power-Point und Whiteboards und nun in die umfassende Digitalisierung. Wie immer werden nach kurzer Zeit die Geräte veraltet und nicht gewartet sein, die Ergebnisse bescheiden bis alarmierend, aber die sozial und kulturell Benachteiligten und Zurückgebliebenen werden sich mit ihren gesponserten Tablets wenigstens spielerisch trösten und dies als Bildungserfolg verbuchen können.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es manchen nicht schnell genug gehen kann, bis die jungen Menschen jede Form des Denkens, Fühlens und Handelns, die nicht von den Algorithmen der Internetkonzerne bestimmt ist, nicht nur verlernt, sondern erst gar nicht gelernt haben und dadurch in jeder Hinsicht von ihren Geräten abhängig werden: digitale Drogen, nun auch staatlich verordnet.
Von der Seite der Pädagogen ist kaum Protest zu erwarten, wer möchte schon als technik- oder fortschrittsfeindlich gelten. Dass der vielbeschworene kritische Umgang mit den digitalen Medien eine Distanz zu diesen zur Voraussetzung hat, die sich aus Kenntnissen und Fähigkeiten speisen muss, die sich nicht der digitalisierten Welt verdanken, ist eine Einsicht, die ausgeblendet wird, obwohl gerade darin eine der zentralen Aufgaben von Schulen läge. Immerhin: Für das unmündige Leben in einer postdemokratischen Gesellschaft, deren digitalisierte Kommunikation zunehmend totalitäre Züge annimmt, werden diese jungen Menschen bestens vorbereitet sein. Und nach der Katastrophe wird es wieder einmal niemand gewesen sein.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen