Kinder
lieben Videospiele – zum Ärger vieler Eltern, die sich Sorgen um den
Game-Konsum ihrer Sprösslinge machen. Tatsächlich gamen fast 80 Prozent der 12-
bis 13-jährigen Primarschüler mindestens einmal pro Woche, ein Viertel sogar
jeden Tag. Das zeigt eine Studie der Zürcher Fachhochschule ZHAW aus dem Jahr
2015. Die Spiele hätten zu Unrecht einen schlechten Ruf, sagt Judith Mathez,
Medienpädagogin an der Pädagogischen Hochschule der FHNW in Windisch. Denn mit
Videospielen liesse sich eigentlich sehr produktiv lernen. «Dennoch fristen
Games in Schweizer Schulen ein Schattendasein.»
Sind Games im Unterricht sinnvoll? Bild: Microsoft
Weshalb Games in die Schule gehören, Luzerner Zeitung, 3.2. von Michael Baumann
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Dass
Kinder mit Games spielend leicht lernen, belegt eine Untersuchung von
Wissenschaftlern der Universität Vanderbilt in den USA. Sie analysierten
insgesamt 57 publizierte Forschungsarbeiten zum Nutzen von Videospielen im
Unterricht. Die Daten von fast 7000 unter 16-jährigen Kindern zeigten, dass
Gelerntes mit Hilfe von Computerspielen oft besser hängen bleibt als mit
traditionellen Unterrichtsmethoden wie etwa Arbeitsblättern. Einige der
untersuchten Studien zeigen den Nutzen der Games in Sprachen, andere in
naturwissenschaftlichen Fächern.
Motiviert
dank Games
Zum
Beispiel verbesserten sich die Ergebnisse von amerikanischen Achtklässlern in
Algebra deutlich, wenn sie mit einem speziellen Lernspiel üben konnten. Das
geht aus einer Studie der Universität Florida aus dem Jahr 2012 hervor. Die
Wissenschaftler verglichen darin die Testergebnisse von 437 Kindern, die
während 18 Wochen entweder mit oder ohne Computerspiel mathematische
Gleichungen büffeln mussten. Neben den besseren Noten gab es einen weiteren
auffälligen Unterschied: Während die Motivation der analog lernenden Schüler
sank, nahm sie bei den Game-Schülern zu.
Dafür
sorgt beispielsweise der Schwierigkeitsgrad, der während des ganzen Spiels
stets herausfordernd, aber nicht unrealistisch hoch ist. «Dadurch bleiben die
Kinder stundenlang motiviert», sagt Mathez. Das sei im klassischen Unterricht
schlicht unmöglich. Zudem gebe es da immer Schüler, die entweder unter- oder überfordert
seien – bei den heutigen Klassengrössen von manchmal über 25 Kindern sei das
unvermeidbar.
Aus
Fehlern lernen
Auch die
Art, wie mit Fehlern umgegangen wird, ist in Games fundamental anders als im
Klassenzimmer: Der Spieler kann unendlich oft scheitern. Er probiert einfach
noch mal, noch mal, noch mal – bis er es schafft. Das ist im herkömmlichen
Unterricht anders. Meist gibt es am Ende eines gelernten Themas genau eine
Chance, sein Können zu zeigen, und zwar an einer Prüfung – danach ist «game over».
Die
Erkenntnisse der Wissenschaft in die Tat umgesetzt hat eine öffentliche Schule
in New York. Seit ihrer Gründung im Jahr versucht sie, Kinder durch Spiele zu
motivieren. Der gesamte Unterricht der «Quest to Learn» genannten
Bildungsstätte ist nach Prinzipien des Game-Designs strukturiert. So sollen die
Kinder vor allem mit analogen und digitalen Spielen, die häufig extra für den
Unterricht entworfen wurden, den Lernstoff selbst entdecken, anstatt ihn an der
Wandtafel serviert zu bekommen. Sie erhalten häppchenweise Aufgaben, die es zu
lösen gilt. Die über 400 Kinder in der sechsten bis zwölften Klasse sollen
dadurch zu echten Problemlösern werden, anstatt Dinge auswendig zu lernen, so
das Credo der Schule. Das scheint zu funktionieren: Die Schüler haben drei
Jahre in Folge den städtischen Mathematikwettbewerb gewonnen und schneiden rund
50 Prozent besser in Sprachtests ab als der Durchschnitt der über 300 New
Yorker Schulen.
Weshalb
also sind Computerspiele bei uns fast gar nicht in Klassenzimmern anzutreffen?
Einerseits mangle es an Ressourcen, sagt Medienpädagogin Mathez: «Games
brauchen viel Zeit, die in Schulen nicht ohne weiteres zur Verfügung steht.»
Zudem können viele Lehrer nichts mit den Games anfangen, weil sie selbst keine
spielen. Mathez bietet einen Workshop für Lehrer mit ihren Klassen an. Die
Kinder dürfen dann in Vorträgen ihre Lieblingsspiele vorstellen. «Für die
Lehrer ist das oft ein riesiges Aha-Erlebnis», sagt Mathez. Plötzlich sind die
Schüler hoch motiviert, bereiten sich vor und treten selbstsicher auf.
Erfahren,
was Schüler beschäftigt
Zumindest
in einzelnen Schweizer Klassenzimmer haben Computerspiele schon Einzug
gehalten, zum Beispiel beim Oberstufenlehrer Pirmin Stadler in der Gemeinde
Gurtnellen im Kanton Uri. Er spielt mit seinen Schülern ab und zu das populäre
Game «Minecraft», bei dem ähnlich wie mit Lego beliebige Dinge aus Klötzchen
gebaut werden können. Die Schüler sollen etwa während 20 Minuten zu zweit einen
Wochenrückblick im Spiel gestalten. Dazu müssen sie sich absprechen und planen.
«Das zeigt mir manchmal besser als ein Test, was die Kinder an einem Thema
wirklich verstanden haben», sagt Stadler.
Dass die
Kinder dank Games besser lernen können, ist für ihn aber nicht das Wichtigste.
«Plötzlich erfahre ich etwas über die Lebenswelt der Kinder», sagt Stadler. Das
gebe ihm einen anderen Zugang zu seinen Schülern. Wenn diese auch in der Schule
Games spielen können, seien sie zum Beispiel eher bereit, über ihren
Medienkonsum zu Hause oder über negative Erlebnisse zu sprechen, etwa
Belästigungen durch andere Spieler im Internet. «Games sind Teil der
Jugendkultur», sagt Stadler. «Daher gehören sie für mich auch ins
Klassenzimmer.»
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