4. Februar 2017

Lehrplan 21: Es braucht Konzessionen beider Seiten

Der Lehrplan 21 hat hartnäckige Gegner: Bürgerkomitees in diversen Kantonen wollen die Schulreform mit neuen Initiativen verhindern. Darüber hat der «Tages-Anzeiger» letzte Woche berichtet – und damit einen Nerv getroffen («Der neue Kampf der Lehrplangegner»). Bei der Recherche zeigten sich die Lehrplan-Kritiker zutiefst misstrauisch, geprägt von schlechten Erfahrungen mit Medien und Behördenvertretern. Viele fühlen sich falsch verstanden, viele planen ihren Widerstand deshalb klandestin.
Aufwachen! Tages Anzeiger, 3.2. Kommentar von Raphaela Birrer


Nach der Publikation des Artikels waren es dann aber die Befürworter des Reformprojekts, die erbost reagierten: Nur schon der Fakt, dass die Gegner ihre Positionen erläutern durften, führte manchen zu weit. Es gelte, der Bewegung unter keinen Umständen Vorschub zu geben, schrieben sie in Zuschriften. Kritiker des Lehrplans 21 wiederum beklagten die Darstellung angeblich allzu negativer Folgen, wenn dieser von der Bevölkerung abgelehnt würde.

Dialog unmöglich

Die Reaktionen sind sinnbildlich für einen Streit, in dem die Fronten derart verhärtet sind, dass ein Dialog nicht mehr möglich scheint. Dass es so weit kommen konnte, haben sich beide Seiten zuzuschreiben:

Die Gegner des Lehrplans, weil sie sich als Gesprächspartner selbst diskreditieren. Sie erheben vielerorts absolute Forderungen, sind häufig nicht mehr kompromissbereit und sehen hinter den Schulreformen nicht selten die Verschwörung einer technokratischen Elite, um die Schüler weltweit zu normieren.

Aber auch die verantwortlichen Behörden, weil sie die Gegner nicht ernst nehmen. In den letzten Jahren haben sie die Schule im Akkord mit teils einschneidenden Reformen verändert. Und es dabei versäumt, die Direktbetroffenen frühzeitig miteinzubeziehen. Dass in den kantonalen Initiativkomitees nicht nur besorgte Eltern, sondern auch frustrierte Lehrer vertreten sind, sollte den Bildungsbehörden ernsthaft zu denken geben.

Die symbolische Bedeutung

Beide Konfliktparteien verkennen dabei, dass der Lehrplan 21 letztlich nur ein Symbol ist. Ein Symbol für weitreichende Veränderungen in der Schule. Denn es ist die Schule, dieser Seismograf der Gesellschaft, in der sich die umfassenden Modernisierungsprozesse zuerst und für manche allzu deutlich manifestieren. Die Gegner der Bildungsreformen machen denn auch keinen Hehl daraus, dass sie sich einen Unterricht wie im letzten Jahrhundert zurückwünschen, als der Lehrer die alleinige Autoritätsperson war und die Schüler frontal zur Wandtafel blickten.

Doch in solch überschaubaren Verhältnissen würden die Kinder schlecht für die komplexe heutige Realität gerüstet. Deshalb braucht es Konzessionen beider Seiten: Die Reformgegner müssen davon absehen, jede schulische Neuerung an die Urne zu zerren. Denn was die Schule zuletzt braucht, ist eine Politisierung ihrer Inhalte und Ziele. Werden ihre Strukturen ständig grundsätzlich infrage gestellt, verkommt sie zum Labor für unterschiedliche Ideologien. Damit ein Rückzug all der Volksbegehren denkbar würde, bedarf es aber zuerst eines Umdenkens der zuständigen Behörden: Bildungspolitische Umwälzungen, wie sie seit Jahren im Gang sind, müssen nicht nur thematisiert, sondern kontrovers diskutiert werden. Genauso wenig wie die Schule ein Hort längst überholter Traditionen sein darf, darf sie die Zukunft voreilig vorwegnehmen. Sie muss die Gegenwart abbilden. Und das gelingt nur, wenn in ihrer Ausgestaltung alle Betroffenen mit ihren Bedürfnissen eingebunden sind.



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