Der Lehrplan 21 hat
hartnäckige Gegner: Bürgerkomitees in diversen Kantonen wollen die Schulreform
mit neuen Initiativen verhindern. Darüber hat der «Tages-Anzeiger» letzte Woche
berichtet – und damit einen Nerv getroffen («Der neue Kampf der Lehrplangegner»).
Bei der Recherche zeigten sich die Lehrplan-Kritiker zutiefst misstrauisch,
geprägt von schlechten Erfahrungen mit Medien und Behördenvertretern. Viele
fühlen sich falsch verstanden, viele planen ihren Widerstand deshalb
klandestin.
Aufwachen! Tages Anzeiger, 3.2. Kommentar von Raphaela Birrer
Nach der Publikation des
Artikels waren es dann aber die Befürworter des Reformprojekts, die erbost
reagierten: Nur schon der Fakt, dass die Gegner ihre Positionen erläutern
durften, führte manchen zu weit. Es gelte, der Bewegung unter keinen Umständen
Vorschub zu geben, schrieben sie in Zuschriften. Kritiker des Lehrplans 21
wiederum beklagten die Darstellung angeblich allzu negativer Folgen, wenn
dieser von der Bevölkerung abgelehnt würde.
Dialog
unmöglich
Die Reaktionen sind
sinnbildlich für einen Streit, in dem die Fronten derart verhärtet sind, dass
ein Dialog nicht mehr möglich scheint. Dass es so weit kommen konnte, haben
sich beide Seiten zuzuschreiben:
Die Gegner des Lehrplans,
weil sie sich als Gesprächspartner selbst diskreditieren. Sie erheben
vielerorts absolute Forderungen, sind häufig nicht mehr kompromissbereit und
sehen hinter den Schulreformen nicht selten die Verschwörung einer
technokratischen Elite, um die Schüler weltweit zu normieren.
Aber auch die
verantwortlichen Behörden, weil sie die Gegner nicht ernst nehmen. In den
letzten Jahren haben sie die Schule im Akkord mit teils einschneidenden
Reformen verändert. Und es dabei versäumt, die Direktbetroffenen frühzeitig
miteinzubeziehen. Dass in den kantonalen Initiativkomitees nicht nur besorgte
Eltern, sondern auch frustrierte Lehrer vertreten sind, sollte den
Bildungsbehörden ernsthaft zu denken geben.
Die
symbolische Bedeutung
Beide Konfliktparteien
verkennen dabei, dass der Lehrplan 21 letztlich nur ein Symbol ist. Ein Symbol
für weitreichende Veränderungen in der Schule. Denn es ist die Schule, dieser
Seismograf der Gesellschaft, in der sich die umfassenden Modernisierungsprozesse
zuerst und für manche allzu deutlich manifestieren. Die Gegner der
Bildungsreformen machen denn auch keinen Hehl daraus, dass sie sich einen
Unterricht wie im letzten Jahrhundert zurückwünschen, als der Lehrer die
alleinige Autoritätsperson war und die Schüler frontal zur Wandtafel blickten.
Doch in solch
überschaubaren Verhältnissen würden die Kinder schlecht für die komplexe
heutige Realität gerüstet. Deshalb braucht es Konzessionen beider Seiten: Die
Reformgegner müssen davon absehen, jede schulische Neuerung an die Urne zu
zerren. Denn was die Schule zuletzt braucht, ist eine Politisierung ihrer
Inhalte und Ziele. Werden ihre Strukturen ständig grundsätzlich infrage
gestellt, verkommt sie zum Labor für unterschiedliche Ideologien. Damit ein
Rückzug all der Volksbegehren denkbar würde, bedarf es aber zuerst eines
Umdenkens der zuständigen Behörden: Bildungspolitische Umwälzungen, wie sie
seit Jahren im Gang sind, müssen nicht nur thematisiert, sondern kontrovers
diskutiert werden. Genauso wenig wie die Schule ein Hort längst überholter
Traditionen sein darf, darf sie die Zukunft voreilig vorwegnehmen. Sie muss die
Gegenwart abbilden. Und das gelingt nur, wenn in ihrer Ausgestaltung alle
Betroffenen mit ihren Bedürfnissen eingebunden sind.
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