11. Februar 2017

Keine Bewertung, dafür Kontaktheft

Schon an der ersten Info-Veranstaltung vor Schulbeginn hatte man uns Eltern darauf hingewiesen, dass es in der ersten Klasse keine Zeugnisse geben wird. Keine Noten, welche die Leistung des Kindes bewerten, keine Prüfungen, die es unter Druck setzen. Mir gefiel die Idee ganz gut, dass die Kinder ins Lernen einsteigen können, ohne sich gleich unter Leistungsdruck fühlen zu müssen.
Zweifelhafte Dauerbewertung von Erstklässlern, Tages Anzeiger, Mamablog, 10.2. von Jeanette Kuster


Die Realität erlebe ich jetzt aber ganz anders. Die Kinder werden nicht nur einmal pro Semester bewertet, sondern jede Woche. Schuld daran ist das sogenannte «Kontakt- und Hausaufgabenheft».

Heute leider keine Belohnung
Jede Seite im Heft stellt eine Woche dar. Im oberen Teil notiert das Kind seine Hausaufgaben, der untere Teil wird von der Lehrperson jeweils übers Wochenende ausgefüllt. Da gibt es einerseits die vier Felder mit den Strichmännchen, von denen jedes eine Verhaltensweise symbolisiert: Wie das Kind mit seinen Kameraden und den Lehrern umgeht, ob es sich an die Regeln hält, ob es seine Aufgaben zuverlässig erledigt und wie konzentriert es arbeitet. Hat das Kind sich in allen Bereichen vorbildlich verhalten, bekommt es unter jedes Bildchen einen Stempel ins Heft gedrückt. Wenn nicht, bleibt das entsprechende Feld leer. Darunter schreibt die Lehrerin im besten Fall ein «Bravo!» oder eine Erklärung für das leere Feld hin. Oder es steht da einfach: «Leider heute keine Belohnung!»

Das Heft «dient als Kommunikationsmittel zwischen Schule, Schüler und Elternhaus», formuliert es zum Beispiel die Schule Rorschach auf ihrer Website. Tatsächlich bekommt man als Eltern aber nur bruchstückhafte Informationen geliefert, mit denen man nicht viel anzufangen weiss. Je nachdem, wie schnell die Lehrperson eine Verfehlung notiert, kommt das Kind fast wöchentlich mit negativem Feedback nach Hause.

Die Detailinfos fehlen
«Du hast mit deiner Nachbarin geredet», «Du bist einmal zu spät gekommen»: Mich lassen solche Sätze ziemlich ratlos zurück. Redet das Kind ununterbrochen während der Schulstunde, oder ist das nur einmal vorgekommen? Wie viel zu spät ist es gekommen? Und an welchem Tag ist das überhaupt passiert? Manchmal hilft es auch nichts, mit dem Kind darüber zu reden, weil sich der Vorfall vielleicht am Dienstag ereignet hat, ich das Heft aber erst am Montagabend zur Unterschrift bekomme – eine ganze Woche später also. Zu lange, als dass sich die Siebenjährige noch genau an das Geschehene erinnern könnte, wenn es in ihrer Wahrnehmung unbedeutend gewesen ist.

Beim Elterngespräch habe ich die Lehrerin auf dieses Problem angesprochen und ihr gesagt, dass die knappen Feedbacks einem nicht weiterhelfen, wenn man die Zusammenhänge nicht kennt. Sie zeigte Verständnis und sagte entschuldigend, sie habe leider nicht die Zeit, bei ihren Feedbacks ins Detail zu gehen. Ich könne sie aber jederzeit anrufen und nachfragen – was ich auch bereits einmal getan habe.


Trotzdem frage ich mich, ob das Kontaktheft unter diesen Umständen wirklich sinnvoll ist. Den Lehrern beschert es Mehrarbeit, weil sie jede Woche eine Bewertung abgeben müssen – und dadurch vielleicht auch Dinge notieren, die eigentlich nicht der Rede wert wären. Auf Elternseite wiederum provoziert das unnötige Sorgen, da so ein Eintrag schnell nach ernstem Problem aussieht. Und auch die Kinder merken wegen des kleinen Hefts vermutlich nicht viel von der gut gemeinten Idee, dass man in der 1. Klasse auf Benotungen verzichten will. Sie fühlen sich vielmehr dauerbewertet. Und das ist ja eigentlich nicht Sinn und Zweck dieses schulischen Kommunikationsmittels.

Jeanette Kuster 
ist zweifache Mutter, Journalistin und Kommunikations-Fachfrau. Sie hat bei verschiedenen Medien in den Ressorts Lifestyle und Kultur als Redaktorin gearbeitet. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Zürich.

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