9. Februar 2017

Behördenpropaganda im Aargau

Die Aargauer entscheiden am 12. Februar über eine Initiative, die im Lehrplan einen verbindlichen Fächerkatalog verankern will. Das Establishment läuft Sturm dagegen. Lehrer und Schulbehörden missbrauchen die Schüler für ihre politische Propaganda.
Abstimmungskampf im Schulzimmer, Weltwoche, 9.2. von Philipp Gut


Was ist eigentlich los im Kanton Aargau? Am 12. Februar kommt die Initiative «Ja zu einer guten Bildung – Nein zum Lehrplan 21» zur Abstimmung. Das Volksbegehren ist so klar und nüchtern wie das Zurzacher Mineralwasser. Es will den Paragrafen 13 im Schulgesetz durch einen neuen Text ersetzen. Kernstück der Novelle ist ein Fächerkatalog (Abs. 3).

Dazu gehören in der Primarschule Sprache, Mathematik, Realien, Fremdsprache, Musik, Ethik und Religion, bildnerisches Gestalten, textiles sowie allgemeines Werken und Sport. In der Oberstufe enthält der Katalog Deutsch, Fremdsprachen, Mathematik, Informatik, Physik, Chemie, Biologie, Geschichte, Geografie, Musik, Ethik und Religion, bildnerisches Gestalten, textiles sowie allgemeines Werken, Sport und Hauswirtschaft. Die bisherige Regelung ist allgemeiner gehalten, dort werden bloss «Bereiche» aufgelistet wie Sprache, Mathematik und Naturwissenschaften oder Kunst und Gestaltung.

Der Katalog soll aber vor allem ein Bollwerk gegen den Lehrplan 21 sein, der im Aargau erst in einigen Jahren eingeführt wird. Konkrete Fächer wie Geschichte oder Geografie verschwinden im neuen Lehrplan, an ihre Stelle treten Fachbereiche wie «Natur, Mensch, - Gesellschaft» und Unterfachbereiche wie «Räume, Zeiten, Gesellschaften». Konkrete Lernziele werden durch Hunderte von sogenannten Kompetenzen ersetzt.

Eine zweite Änderung betrifft die Hoheit des Kantons in Bildungsfragen. Laut bestehendem Gesetz «beachtet» der Regierungsrat «die interkantonale Harmonisierung der Lehrpläne». Die Initiative will die Souveränität des Kantons stärken und interkantonale Beschlüsse, etwa durch die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK), demokratisch im Parlament verankern (Abs. 4).

Schulleiter: «zwingende» Ablehnung
Das klingt ganz vernünftig, dennoch ist im Aargau der Teufel los. Das gesamte Establishment läuft Sturm gegen die Initiative. Gewerbeverband und Handelskammer marschieren vereint mit den Gewerkschaften VPOD und Unia. Schützenhilfe erhalten die Gegner von der behördennahen Aargauer Zeitung (AZ). «Was für eine seltsame Abstimmung», mokierte sich der ehemalige AZ-Chefredaktor Hans Fahrländer in seiner Kolumne. Und in einem Leitartikel warf das Blatt den Initianten einen «ideologischen Kampf» vor, ihr Begehren sei «schädlich» und käme die Steuerzahler «teuer zu stehen».

Dies ist inhaltlich natürlich anfechtbar, aber legitim. Mit Verwunderung nimmt man allerdings zur Kenntnis, dass sich auch die Schulbehörden in den Abstimmungskampf einmischen und die Schule für politische Betätigung missbrauchen. Nachdem viele Lehrer schon im Dezember gestreikt hatten, um an einer Demonstration der Gewerkschaften gegen den angeblichen Bildungsabbau teilzunehmen («Demo statt Schule», Weltwoche Nr. 43/16), führen die Behörden jetzt eine orchestrierte Kampagne gegen die Initiative. Auf Schulhöfen hängen Plakate, die ein Nein fordern, gemäss Elternberichten haben Lehrer auch im Unterricht kommentierend auf die Abstimmung hingewiesen, und in mehreren Gemeinden gaben die Lehrer den Schülern Briefe mit Abstimmungsempfehlungen mit nach Hause, als handelte es sich um eine Einladung zum Elternabend oder um eine Orientierung über die neuste Läuseattacke.

Etwa die Schule Lenzburg. Mit Datum vom 19. Januar 2017, exakt getimt auf die entscheidende Phase des Abstimmungskampfs, schrieb Schulpflegepräsidentin Susanne Buri an die «geschätzten Eltern», am 12. Februar werde über die «Zukunft der Volksschule Aargau» und die «unserer Kinder» abgestimmt. Bei einem Ja würde die Schule in ihrer Entwicklung in verschiedenen Punkten «empfindlich» eingeschränkt. Der Aargau würde sich ins «bildungspolitische Abseits ma-növrieren und an Standortattraktivität verlieren». Und durch die Stärkung des Grossen Rats würden weitere Reformen erschwert und «die Bildung zum Spielball von weltanschaulichen und politischen Interessen gemacht».

Wie bitte? Wer hausiert denn hier, indem er die Schüler ungeniert als Botenträger instrumentalisiert, mit politischen Interessen? Tatsache ist doch vielmehr, dass die staats- und demokratiepolitisch fragwürdige Quasigesetzgebung durch die EDK mit einem Ja zur Initiative eingedämmt und die parlamentarische Legitimität entsprechender Beschlüsse gestärkt würde.

Oder die Schule Wallbach. In ihrem Brief, der neben Schulpflegepräsidentin Mirjam Grey auch von Schulleiterin Judith Studer unterschrieben ist, steht fettgedruckt: «Die Schulpflege und die Schulleitung von Wallbach empfehlen diese Initiative dringend zur Ablehnung.» Am Ende des Briefs wird die Parole nochmals wiederholt, nicht nur gefettet, sondern auch in doppelter Schriftgrösse («Deshalb ein NEIN am 12. Februar 2017»).

Oder die Gemeinde Arni. Dort empfehlen Schulpflegepräsidentin Barbara Möhrle und Schulleiter Daniel Wieser die Initiative sogar «zwingend» zur Ablehnung.

Umstrittener Brief aus SVP-Departement
Die Liste liesse sich verlängern. Dabei fällt auf, dass sich nicht nur die Argumente ähneln, der Wortlaut der verschiedenen Briefe ist beinahe identisch. Wie kommt das? Durch eine kleine Dokumentenanalyse lässt sich der ursprüngliche Verfasser eruieren. Als «Autor» des Briefs ist ein gewisser Tobias Obrist vermerkt. Dieser ist nicht einfach irgendwer: Er ist kantonaler Beamter und arbeitet im Departement Bildung, Kultur und Sport (BKS) von Regierungsrat Alex Hürzeler (SVP) in der Abteilung Volksschule. Dort ist er unter anderem für die Umsetzung des Lehrplans 21 zuständig. Den von Obrist verfassten Brief übernahm dann der Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Kanton Aargau (VSLAG). Via Lehrer und Schüler gelangte er schliesslich zu den Eltern.

Die Initianten haben sich gegen diese Behördenpropaganda gewehrt, allerdings mit wenig Resonanz. Dabei können sie sich auf Gesetz und Verfassung berufen. «Die öffentlichen Schulen sind [. . .] politisch und konfessionell neutral», statuiert Paragraf 2 Abs. 2 des aargauischen Schulgesetzes. Und die Bundesverfassung verpflichtet die Behörden, die freie Willensbildung der Bürger zu schützen (Art. 34 Abs. 2), also etwa auch im Vorfeld von Abstimmungen korrekt und zurückhaltend zu informieren.

Die Weltwoche hakte bei Bildungsdirektor Alex Hürzeler nach. Pikanterweise hatte dieser kürzlich eine bildungspolitische Plakatkampagne von Kantonsschülern auf dem Schulgelände mit dem Hinweis auf den zitierten Paragrafen des Schulgesetzes untersagt. Wird Hürzeler nun also auch die politische Propaganda der Lehrer, der Schulen und seines eigenen Beamten unterbinden? Der SVP-Mann hatte nicht den Mut, sich den Fragen dieser Zeitung direkt zu stellen. Durch die Kommunikationsabteilung liess er ausrichten, das Departement sehe «keine Veranlassung, den Schulen und ihren Behörden zur umstrittenen Volksinitiative gegen den Lehrplan 21 Weisungen zu erteilen».


Weisungen erteilen? Es geht ganz einfach darum, die politische Neutralität der Schule zu gewährleisten.

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