18. Januar 2017

Steiner setzt auf Lehrplan 21 und Fremdsprachenkonzept

Ein Basler geht, eine Zürcherin kommt: Silvia Steiner übernimmt als erste Zürcherin seit Alfred Gilgen das Präsidium der Erziehungsdirektorenkonferenz. Sie setzt auf Konsens, aber auch auf den Lehrplan 21 und zwei Fremdsprachen auf Primarstufe.
"Ich bin eine überzeugte Föderalistin", NZZ, 18.1. von Marc Tribelhorn und Walter Bernet

Frau Steiner, die EDK ist ein demokratisch wenig legitimiertes Steuerungsmittel zwischen den Kantonen und dem Bund. Können Sie als neue Präsidentin überhaupt etwas bewegen?

Die EDK ist rechtsstaatlich abgestützt und demokratisch legitimiert. Sie ist ein Kollektivgremium, das bezüglich Harmonisierung der Bildung bereits viel erreicht hat. Als überzeugte Föderalistin werde ich dort vor allem moderieren, damit wir auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Es braucht zwar einheitliche Lösungen, aber selbstverständlich muss es weiterhin möglich sein, dass die Kantone in der Volksschule ihre unterschiedlichen kulturellen Eigenheiten pflegen.

Es ist doch eine Illusion, zu glauben, dass die Kantone in Zeiten von nationalen und internationalen Bildungsstandards und -monitorings autonom schalten und walten können.

Das sind Instrumentarien, die die Harmonisierung der Bildungsziele sicherstellen und die Überprüfung der Qualität der Volksschule ermöglichen. Was die Kantone für Schlüsse daraus ziehen, entscheiden sie noch immer alleine. Und überhaupt: Wo ist das Problem, wenn wir etwas zentralistisch regeln, was ohnehin alle Kantone befürworten?

Ihr Vorgänger, Christoph Eymann, hatte mit viel Gegenwind zu kämpfen. Wie wollen Sie mehr Akzeptanz schaffen?

Genau gleich, wie Christoph Eymann es gemacht hat. Mit Transparenz. Ich höre immer wieder den unberechtigten Vorwurf, die EDK sei ein bürokratischer Moloch. Es braucht deshalb noch mehr Aufklärungsarbeit.

Treten Sie das Amt also mit einer Vision an?

Ich will nicht alles umkrempeln. Ich stehe hinter dem EDK-Tätigkeitsprogramm, möchte aber in einzelnen Bereichen Akzente setzen, zum Beispiel bei der frühen Förderung, der Digitalisierung und der Berufsmaturität. Ganz wichtig ist mir, dass die verschiedenen Bildungsstufen vom Kindergarten bis zur Hochschule nicht isoliert betrachtet, sondern ganzheitlich und vernetzt gedacht werden.

Gehen Sie als Zürcherin besonders behutsam vor?

Als Vertreterin eines grossen Kantons hat man immer eine spezielle Stellung, mit der man behutsam umgehen sollte. Wenn es aber einen Anti-Zürich-Reflex gäbe, wäre ich kaum gewählt worden. Zürich ist eine Art Suisse miniature: Im Kanton Zürich haben wir alle Bildungsinstitutionen, eine starke demografische Durchmischung, städtische und ländliche Gebiete. Ich verstehe deshalb, welche Bedürfnisse die anderen Kantone haben.

EDK-Generalsekretär Hans Ambühl, die graue Eminenz der schweizerischen Bildungslandschaft, geht demnächst in Pension. Wie schliessen Sie diese Lücke?

Hans Ambühl hat sehr viel geleistet für die EDK. Mit seiner Nachfolgerin, Susanne Hardmeier, der jetzigen Stellvertreterin, ist die Kontinuität sichergestellt. Sie hat viel Erfahrung und kennt die Bildungslandschaft bestens. Das gibt eine neue Optik, neue Fragestellungen, eine neue Dynamik.

Erstmals steht damit ein weibliches Doppel an der Spitze der EDK – ein Vorteil?

Es ist ein Zufall, mehr nicht.

Können Sie mit der personellen Erneuerung die Wogen glätten, welche die Herren Eymann und Ambühl mit dem Lehrplan 21 ausgelöst haben?

Die Debatte über den Lehrplan 21 ist in den letzten Jahren besonders hart geführt worden. Der Lehrplan 21 ist aber kein Projekt der EDK national, sondern der Deutschschweizer Kantone. Diese haben zusammen entschieden, einen sprachregionalen Lehrplan zu erarbeiten. Das hat nichts mit dem ehemaligen Präsidenten und dem Generalsekretär der EDK zu tun. Die beiden haben nur betont, dass der Lehrplan 21 wichtig und richtig sei. Das ist auch meine Haltung. Ich stehe ein für einen konsequent kompetenzorientierten Unterricht und für zwei Fremdsprachen auf Primarstufe.

Es ist unbestritten, dass der Ertrag des frühen Fremdsprachenunterrichts bescheiden ist. Müsste nicht eher der Sprachaustausch intensiviert werden?

Ich bestreite, dass der Ertrag so gering ist. Aber während der obligatorischen Schulzeit können wir nur die Basis legen. Wer eine Fremdsprache richtig lernen will, muss nach der Schulzeit für längere Zeit in das jeweilige Gebiet reisen. Beim Englisch ist das heute selbstverständlich, weshalb beim Französisch nicht mehr? Aber klar: Die schulischen Austausche müssen intensiviert werden. Es geht dabei ja nicht nur um das Lernen der anderen Landessprache, sondern auch um das kulturelle Verständnis.

In der Fremdsprachenfrage bleibt die politische Lage angespannt. Im Mai wird in Ihrem Kanton über eine Initiative abgestimmt, die nur noch eine Fremdsprache in der Primarstufe verankern will. Ist Ihnen schon angst und bange?

Ich habe Respekt, bin aber zuversichtlich. Die Stimmbevölkerung im Kanton Zürich hat schon einmal klar für zwei Fremdsprachen votiert. Zudem glaube ich nicht, dass eine Mehrheit den Englischunterricht aus der Primarschule verbannen möchte. Die Initianten sagen ja nicht, welche Fremdsprache gestrichen werden müsste. Eine Abschaffung von Französisch in der Primarschule steht ohnehin nicht zur Diskussion. Darauf würde der Bundesrat mit dem Sprachengesetz reagieren.

Es wäre kein gutes Zeichen, wenn Sie als EDK-Präsidentin aus Harmos aussteigen müssten . . .

Das ist so. Es wäre aber kein Ausstieg aus Harmos, sondern es würde ein Eckwert nicht erfüllt. Dass die Kantone die Ziele harmonisieren – auch beim Sprachunterricht –, steht übrigens in der Bundesverfassung. Aber ich bleibe optimistisch. Auch was die Umsetzung des Lehrplans 21 betrifft.

Ist mit dem Lehrplan 21 das von der Bundesverfassung vorgegebene Harmonisierungsziel erreicht?

Harmonisierung ist ein Prozess, der nie abgeschlossen ist. Genauso wie Schule und Gesellschaft sich verändern, wird auch der Harmonisierungsprozess nie abgeschlossen sein. Unsere Gesellschaft befindet sich in einem ständigen Veränderungsprozess. Ich denke zum Beispiel an das Thema Digitalisierung, das uns in Zukunft sehr stark beschäftigen wird.

Das Stöhnen in der Volksschule über den permanenten Reformdruck wird also weitergehen . . .

Ich bewundere die Lehrpersonen, wie sie mit dem dynamischen Schulfeld umgehen. Alles ist im Wandel, nicht nur die Methodik, sondern auch die Ansprüche, die etwa von der Wirtschaft an die Schule herangetragen werden. Die Anforderungen an die Lehrerinnen und Lehrer werden gross bleiben. Was man nicht vergessen sollte: Die Reformen, die wir kantonal aufgleisen, sind immer Antworten auf die Veränderungen in der Gesellschaft und auf die Anforderungen im Schulzimmer.

Der Vorwurf der «Reformitis» ist demnach unbegründet?

Wir haben in den letzten zwanzig Jahren tatsächlich grosse Umwälzungen gehabt. Mich stört aber die Klage über den «Reformwahn» und die «Bürokratisierung» der Bildung, welche die Lehrpersonen vermeintlich von der Arbeit abhalten. Heute muss in allen Lebensbereichen viel mehr dokumentiert werden als früher. Die Eltern, die Schulpflege, die Politik sind viel kritischer und verlangen von den Lehrpersonen vermehrt Rechenschaft.

Es hat sich eine regelrechte Vermessungsindustrie etabliert, die Bildung vergleichbar machen will, etwa mit einheitlichen Tests. Stichwort Pisa.

Das kann man sehr wohl kritisch sehen. Aber es ist zum Beispiel der politische Wille, dass wir bei Pisa dabei sind. Die Resultate von 2015 sind aus Sicht der EDK nur bedingt erklärbar. Wir haben viele Fragezeichen, gerade was die neue Methodik betrifft.

Pisa hat immerhin gezeigt, dass die Risikogruppe von Kindern, die am Ende der Schulzeit nicht einmal elementare Kenntnisse haben, in den letzten Jahren konstant hoch geblieben ist.

Das hat nicht Pisa aufgedeckt, das wussten wir schon durch unsere Lernstandserhebungen. Es ist ein Fakt, dass rund 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen nicht mitkommen, egal in welchem Schulsystem. Das Ziel muss sein, dass diese Jugendlichen doch noch einen Abschluss machen und ihren Platz in der Gesellschaft finden. Die Gründe für die Schulschwäche sind allerdings sehr heterogen.

Ein anderes Thema, das die Lehrpersonen sehr beschäftigt, ist die integrative Schule, in der alle Kinder innerhalb der gleichen Regelstruktur unterrichtet werden. Muss dieses umstrittene System national koordiniert werden?

Die EDK hat bereits das Konkordat für Sonderpädagogik verabschiedet und darin festgelegt, wo Koordinationsbedarf besteht. Zudem haben wir nationale Gesetze wie das Behindertengesetz, die verbindlich sind. Auch wenn viel geklagt wird, stelle ich fest: Die integrative Schule ist ein Erfolgsmodell. Keine andere Institution in unserer Gesellschaft integriert so umfassend wie die Volksschule. Auf diese Leistung, die täglich in den Schulzimmern von den Lehrerinnen und Lehrern erbracht wird, dürfen wir stolz sein.

Kommen wir noch zum Gymnasium. Zwischen den Kantonen bestehen bezüglich der Maturaquote riesige Unterschiede, etwa zwischen Genf und Schaffhausen. Wie kann das sein?

Das ist das Ergebnis kultureller Unterschiede. Die Berufslehre ist zum Beispiel in der Romandie etwas weniger verbreitet als in der Deutschschweiz. Und so gross ist die Diskrepanz auch wieder nicht, betrachtet man alle Maturatypen. Meiner Meinung nach sollte die Quote der gymnasialen Matur bei etwa 20 Prozent liegen, zusammen mit der Berufsmatur bei 40 Prozent. Unser duales Bildungssystem bietet viele alternative Wege, um später noch eine Matur zu machen.

Ist das nicht ungerecht? Im einen Kanton können viel mehr Kinder und Jugendliche das Gymnasium besuchen als im anderen.

Im Vordergrund steht die Studierfähigkeit der Maturanden. Alle müssen am Schluss die gleichen Anforderungen erfüllen, das ist für mich entscheidend.

Müsste man denn konsequenterweise nicht national vereinheitlichen und eine zentrale Maturaprüfung einführen?

Gemeinsame Leitlinien braucht es ohne Zweifel. Eine vereinheitlichte Maturaprüfung sollte man aber nicht vorschnell und ohne Not fordern. Unsere Lehrpersonen wollen individuell unterrichten und sich nicht auf das vorgegebene Niveau einer vereinheitlichten Prüfung beschränken.
Interview: Marc Tribelhorn, Walter Bernet


1 Kommentar:

  1. Das ist ja interessant: Frau Steiner empfindet es nicht als inkompatibel mit Harmos, wenn an der Primar nur noch eine Fremdsprache unterrichtet würde. "Es wäre aber kein Ausstieg aus Harmos, sondern es würde ein Eckwert nicht erfüllt. Dass die Kantone die Ziele harmonisieren – auch beim Sprachunterricht –, steht übrigens in der Bundesverfassung." Also alles gar nicht so schlimm!

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