22. Januar 2017

Administrationstool als Überwachungsinstrument

Schwänzen ist nicht mehr und Mama und Papa wissen nun alles. Was für Pädagogen, die besser Polizisten hätten werden sollen und für Helikoptereltern nach einer guten Nachricht klingt, ist eigentlich himmeltraurig.
Ein neues Werkzeug zum Petzen, Basellandschaftliche Zeitung, 21.1. Kommentar von Anna Jungen


SAL, die Schuladministrationslösung: Was technokratisch klingt und eine Lösung verspricht, kann auch zur Überwachung der Schülerinnen dienen und verleitet die Lehrpersonen zum Rätschen. Das Administrationstool, das seit letztem August an den Baselbieter Sekundarschulen obligatorisch ist, verlangt von den Lehrern, dass sie alle Noten und Absenzen der Schülerinnen sofort eintragen. Und: Die Eltern haben Zugriff auf die Daten ihrer Jugendlichen. Klar, so eine SAL kann man praktisch finden und mit solchen Argumenten wurde es auch eingeführt: Schaut her, nun könnt ihr online den Computerraum reservieren! Toll!

Aber Überwachung kommt immer freundlich daher und die Freundlichkeit kann sich als Trojanisches Pferd erweisen. SAL enthält nämlich auch eine besonders fragwürdige Spalte: Beobachtungen. Da können Lehrkräfte vermerken, wie sich Jan denn heute so angestellt hat in der Schule. Auch das können sich die Eltern von Jan ansehen, sofern die Lehrperson den Kommentar freigegeben hat. Du hast mit Deinem Banknachbar geredet?! Wehe Dir, das schreib ich auf!

Lehrerinnen, die schon immer lieber über ihre Schüler gelästert haben, statt deren guten Ruf zu verteidigen, haben nun das passende Tool und die Legitimation von ganz oben dazu. Noch ist das Ausfüllen der Beobachtungsspalte freiwillig und nur die besonders zum Denunziantentum neigenden Lehrer schreiben da bisher rein. Lehrkräfte, die in vorauseilendem Gehorsam jede Spalte ausfüllen würden, wahrscheinlich auch wenn nach der vermuteten sexuellen Orientierung gefragt würde. Dürfte die Eltern schliesslich auch brennend interessieren. Die mühsamen Seiten der Schüler werden nun also nicht mehr einfach im Lehrerzimmer besprochen und gehen dann vielleicht auch wieder vergessen. Nein, jetzt kann es einen offiziellen Eintrag geben, den Mama und Papa sofort per Mausklick anschauen kann. Liebloser geht immer.

Bisher ist das Ausfüllen dieser Beobachtungsspalte freiwillig. Was aber, wenn das im kommenden Sommer schon anders ist? Das läuft doch meistes so. Gilt es, etwas Heikles neu einzuführen, dann ist es erst mal freiwillig. Irgendwann hat man sich an den Gedanken gewöhnt, dass es da so eine Beobachtungsspalte gibt und dann stört es einen auch nicht mehr, wenn das Ausfüllen obligatorisch wird.

Die reine Existenz dieser Spalte ist doch schon ein Hinweis darauf, dass sie künftig bitte auch genutzt werden soll. Warum wäre sie sonst da? Verwaltungen machen nicht einfach so Spalten aus Freude an Spalten. Die Verwaltung ist schliesslich nicht die Clownschule – was die sich ausdenken, soll früher oder später auch Ergebnisse liefern.
Und wenn es dann obligatorisch ist, könnte es plötzlich heissen, dass man bei Bewerbungen für eine Lehrstelle dem Zeugnis auch noch den PDF-Ausdruck des eigenen SAL-Dossiers beilegen muss. Dann sind das häufige Schwatzen mit dem Banknachbarn, das aus dem Fenster gucken und das hin und wieder Schwänzen nicht mehr tempi passati, Strich drunter und neu anfangen. Nein, dies ist dann festgehalten im unerbittlichen Gedächtnis, in das nun auch der Lehrmeister Einblick hat.
Ja, das ist Zukunftsmusik. Aber schon heute sind die Baselbieter Schüler ein Stück gläserner geworden. Eltern sehen sofort, welche Note ihr Sohn im Mathetest hatte, ob er in Geo zu häufig schwatzte oder ob die Tochter überhaupt in der Schule war. Nun könnte man achselzuckend fragen, wo denn das Problem sei? Man kann die Jungen ja gar nicht früh genug an die systematische Überwachung und Sanktionierung gewöhnen. Man könnte aber auch die Pubertät verteidigen als Phase mit eigenen Gesetzen, irgendwo zwischen ultracool und hochsensibel.

Eine Phase, die zu schützen ist vor dem Zugriff der totalen Kontrolle durch Lehrkräfte oder Eltern. Und in Zeiten, in denen es als progressiv gilt, als Schule selbst orientiertes Lernen zu praktizieren und somit den Schülerinnen ständig vorzugaukeln, sie selbst steuerten ihren Lernprozess, sie selber setzten sich ihre Lernziele, da entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass diese gleichzeitig so streng überwacht werden wie nie zuvor. Man nennt das in der Psychologie glaubs Doublebind. Soll ungesund sein.
Und wenn jetzt Eltern sofort sehen, ob ihre Töchter und Söhne in der Schule waren, dann ist nichts mehr mit Schwänzen. Und Hand auf Herz, hin und wieder schwänzen war eines meiner Highlights in der Schulzeit. Unterschriften der Eltern nachahmen und sich ureigene Zeit verschaffen, ein kleines Stück Freiheit verteidigen. Die List und Abendteuerlust gewinnt gegen den sanktionierenden Zugriff jener, die dir ständig sagen: «Tu dies!», «Lass jenes!». Schwänzen ist in erster Linie ein Gefühl. An einem Donnerstagnachmittag statt in der Geo am Rhein oder auf einem Dach zu sitzen und dort tun und lassen, was man will und mit wem man will, ist wirklich schön.
Und Schwänzen lehrt einen Handlungsmacht, es lehrt auch solidarisch zu sein, seine Gspänli nicht zu verraten, aber auch nicht dann zu schwänzen, wenn die Gspänli auf einen angewiesen sind. Hängen lassen gilt nicht. Und wenn es doch auskommt: Hinstehen, sich entschuldigen und die Strafe absitzen.

Nun aber wissen die Mütter oder die Mütter der Freunde, dass ihre Töchter oder die Freunde der Töchter nicht in der Geo waren, noch bevor sich jemand eine Ausrede hätte einfallen lassen können, für sich selber oder für seine Gspänli. War die Botschaft der Schule – neben all den humanistischen Botschaften – schon immer auch: Spuren sollst du! Dann ist diese Botschaft im Baselbiet nun lauter als je zuvor.
Liest man in der Schule eigentlich noch Orwell?


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