11. Dezember 2016

Massive Lesedefizite stellen System in Frage

Betroffene landen zu Tausenden in der Arbeitslosigkeit. Bildungsexperten stellen «Systemversagen» fest.
Jeder fünfte Schüler kann nicht richtig lesen, Sonntagszeitung, 11.12. von Nadja Pastega


Rund 6000 Schüler aus der Schweiz nahmen am aktuellen internationalen Pisa-Test der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) teil. Der erschreckendste Befund der jüngsten Schulleistungsstudie lautet: 20 Prozent der 15-jährigen Schüler verfügen im Lesen nicht einmal über Grundkenntnisse – also jeder fünfte. Diese Jugendlichen haben so massive Lesedefizite, dass sie auch einfache Texte nicht verstehen. «Das sind funktionale Analphabeten», sagt Bildungsforscher Stefan Wolter. «Sie können zwar die Buchstaben entziffern und ein Wort nach dem andern lesen, aber keinen Sinn daraus ziehen.»

Nach Bekanntwerden der neuen Pisa-Resultate ist eine Debatte über die Schülerstichprobe der Schweiz entbrannt. Der Anteil der fremdsprachigen Schüler sei zu hoch, monieren Kritiker. Die letzte Pisa-Erhebung 2012 wies den Anteil der Leseschwachen noch mit 14 Prozent aus.

Experten sind sich einig, dass ein Analphabeten-Anteil von 14 bis 20 Prozent inakzeptabel ist – gerade für die Schweiz, die sich pro Schüler die zweithöchsten Bildungsausgaben der ganzen OECD leistet.

Volkswirtschaftliche Kosten von rund einer Milliarde Franken

Funktionale Analphabeten, auch Illettristen genannt, würden unter dem Niveau eines Viertklässlers stehen bleiben, sagt Bildungsforscher Wolter. «Sie hängen in der Schule komplett ab und werden nur noch mitgeschleppt.» Das sei ein Zeichen, «dass unser System versagt». Die betroffenen Schülerinnen und Schüler leiden an Schulfrust, schliessen oft keine Lehre ab und werden häufig arbeitslos. Laut einer Studie des Bundes verursachen die Illettristen pro Jahr volkswirtschaftliche Kosten von rund einer Milliarde Franken.

1 Kommentar:

  1. Nicht nur im Lesen sondern überall sind die Pisa 2015 Resultate schlechter als bei Pisa 2012 ausgefallen und die Schweiz ist von Rang 14 auf Rang 18 abgestürzt bzw. von anderen Nationen überholt worden. Die dürftigen Erklärungen zu diesem Absturz sind nicht nachvollziehbar. Das Tabuthema Reformen als mögliche Ursache von Leistungsverschlechterungen wird hierzulande nicht berührt. Die bisherigen Stunden für Lesen und Deutsch sind wegen den Frühfremdsprachen stark gekürzt worden. Der IQB-Ländervergleich 2015 in Deutschland zeigt, dass die besten Länder diejenigen mit am wenigsten Reformen sind: Mit seinen radikalen Schulreformen („Gemeinschaftsschule“ mit OECD-Kompetenzorientierung nach Weinert, wie beim Lehrplan 21) stürzte der frühere Spitzenreiter Baden-Württemberg völlig ab. Der Lehrplan 21 kann das Lese-Problem nicht beheben, weil mit der Umstellung vom bewährten Klassenunterricht auf das weniger effiziente "selbstgesteuerte Lernen" der "OECD-Kompetenzorientierung" mehr als die Hälfte des bisherigen Grundwissens nicht mehr gelernt wird. Üben und Auswendig Lernen sind beim Lehrplan 21 verpönt, Wissen anhäufen sei nicht mehr notwendig, weil man ja "googeln" könne und alles im Internet finde. Kommt der Lehrplan 21, ist ein weiterer Absturz bei Pisa 2018 vorprogrammiert. Also nicht mehr teilnehmen, damit es nicht alle Welt sieht?

    AntwortenLöschen