3. Oktober 2016

Gesundheit hat Einfluss auf Zulassung zu Lehrerstudium

Anna Kündig* war konsterniert, als sie das Schreiben der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH) durchlas. Die junge Frau hatte sich dort für ein Studium angemeldet. Doch die Verantwortlichen schrieben ihr, es brauche noch weitere Abklärungen zur Beurteilung ihrer gesundheitlichen Eignung als Lehrerin. Erst danach könne über eine Aufnahme entschieden werden.
An der PHZH werden die Studenten genau unter die Lupe genommen, Bild: Karin Hofen
Striptease für die Lehrerkarriere, NZZ, 3.10. von Fabian Baumgartner
Wer in Zürich die Lehrerausbildung beginnen will, muss einige sehr intime Details über sein Leben und seine Gesundheit preisgeben. Neben fachlichen Voraussetzungen und einer persönlichen Standortbestimmung verlangt die PHZH nämlich auch ein ärztliches Zeugnis und einen Strafregisterauszug von den angehenden Studenten. In dem Attest müssen die Kandidaten von ihrem Hausarzt neben Fragen zu Gewicht, Grösse und Blutdruck auch solche zu psychotherapeutischen Behandlungen, Problemen mit Suchtmitteln oder Sprachstörungen beantworten lassen. Damit will die Hochschule die Eignung für den Lehrberuf frühzeitig abklären.

«Absurdes Prozedere»
Während des Gesprächs einige Wochen später erklärte die PHZH-Vertrauensärztin der verdutzten Anna Kündig, weshalb man aufgrund des Arztzeugnisses Zweifel an ihrer Befähigung für den Lehrerberuf hegte. Sie habe in den letzten fünf Jahren psychologische Beratung in Anspruch genommen, ausserdem liege ihr Body-Mass-Index unter dem geforderten Grenzwert von 17,5, beschied ihr die Frau. Kündig musste deshalb einen mehrseitigen Fragenkatalog ausfüllen. Sie hatte anzukreuzen, inwiefern insgesamt 140 Aussagen zutreffen, die wie folgt formuliert waren: «Wer mir schaden will, muss mit meiner Vergeltung rechnen», «Es gibt übernatürliche Kräfte» oder «In der Partnerschaft habe ich oft grosse Angst, verlassen zu werden». «Ich empfand das ganze Prozedere als absurd und schikanös», sagt Kündig. Die Überprüfung hält sie überdies für wenig aussagekräftig. «Ich bin körperlich und psychisch gesund, mein Gewicht ist seit Jahren konstant.»

Eine Abweichung vom Normalgewicht sei kein Ausschlusskriterium, betont PHZH-Rektor Heinz Rhyn. «Sie kann aber ein Hinweis auf Essstörungen oder andere psychische oder somatische Erkrankungen sein.» Dies müsse durch die Vertrauensärztin genauer abgeklärt werden. Es gebe auch keine allgemeinen Ausschlusskriterien für die Lehrerausbildung. «Die gesundheitliche Eignung wird immer individuell aufgrund des eingereichten Arztzeugnisses abgeklärt.»

Rhyn erklärt die Notwendigkeit des ärztlichen Zeugnisses mit der physischen und der psychischen Belastbarkeit, die der Lehrberuf voraussetze. Zudem sei die PHZH gesetzlich verpflichtet, den Leumund sowie die persönliche und die gesundheitliche Eignung zu überprüfen.

Der Strafregisterauszug dient laut Rhyn in erster Linie dem Schutz der zukünftigen Schüler. «Es geht aber auch um die Vorbildfunktion der angehenden Lehrpersonen.» Letztlich entscheidet in diesem Fall die Aufnahmekommission, ob die Zulassung zum Studium verantwortbar ist. Die Hochschule hat die Praxis im letzten Jahr noch einmal verschärft. Seitdem wird auch bei Personen, die bereits in einem anderen Kanton ein Lehrerpatent erworben haben, der Leumund überprüft. Hintergrund ist ein Vorfall aus dem Jahr 2014, bei dem ein Lehrerpraktikant, der an der PHZH in Ausbildung war, Mädchen beim Umziehen filmte.

Ein einziger Fall in fünf Jahren
Die Zahl der Studenten, die für zusätzliche Abklärungen zu einem Gespräch mit der Vertrauensärztin der Hochschule aufgeboten werden, schwankt von Jahr zu Jahr. Es seien zwischen 35 und 60 Personen, heisst es bei der PHZH. Dies bei rund 900 geprüften Dossiers. Eine einzige Person wurde in den letzten fünf Jahren aus gesundheitlichen Gründen nicht zugelassen, einer weiteren wurden Auflagen gemacht. Mehrere Kandidaten zogen zudem ihre Anmeldung nach den Abklärungen durch die Vertrauensärztin wieder zurück. Das geschah auch bei mehreren Interessenten, die straffällig geworden waren.
Nicht alle gehen jedoch gleich rigide vor. Die Pädagogische Hochschule Graubünden (PHGR) etwa verzichtet sowohl auf den Strafregisterauszug als auch auf ein ärztliches Zeugnis. Eine medizinische Überprüfung sei nie zur Debatte gestanden, sagt Rektor Gian-Paolo Curcio. Zudem fehle eine entsprechende gesetzliche Grundlage im Kanton Graubünden. Eine Leumund-Abklärung habe man wieder verworfen. «Wir sind eine ausbildende Institution und keine anstellende.» Der administrative Aufwand, der bei einer solchen Überprüfung entstehe, sei immens. Zudem stelle man die Studenten damit unter Generalverdacht. «Damit würde die PHGR über das Ziel hinausschiessen», findet Curcio. Es könne ja auch sein, dass jemand während des Studiums krank oder straffällig werde. In diesen Fällen sei eine Kontrolle mit den erwähnten Massnahmen ohnehin nicht sichergestellt.

Curcio hält deshalb die Standortgespräche, welche die Hochschule im zweiten Semester mit jedem Studenten führt, sowie die begleiteten Praktika ab Beginn des Studiums für sinnvoller. «Da kommen wir relativ nahe an die Studenten heran und können in vielen Fällen herausfinden, ob jemand Probleme hat.»

Einen Mittelweg beschreitet die Pädagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Das Institut verzichtet laut Sprecher Michael Hunziker auf eine gesundheitliche Überprüfung, verlangt aber einen Strafregisterauszug. Dieser wird nach der Immatrikulation jedoch wieder gelöscht. «Wir verweigern den Zugang zu einem Studium im pädagogischen Bereich jedoch nur dann, wenn das Delikt mit der Schule beziehungsweise mit dem späteren Berufsfeld zu tun hatte.» Dann also, wenn der Täter für Kinder und Jugendliche eine potenzielle Gefahr darstellt, er den Studienbetrieb stören oder dem Ansehen des Lehrerberufs oder der Schule schaden könnte.

Ein Restrisiko bleibt
Einen Strafregisterauszug zu verlangen, hält auch Beat W. Zemp, Präsident des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, für richtig. Angesichts mehrerer Vorfälle mit pädophilen Lehrkräften in der Vergangenheit sei die Gesellschaft für die Thematik sensibilisiert. «Die Schulen sind deshalb heute verpflichtet, für die grösstmögliche Sicherheit zu sorgen.» Auch wenn ein Restrisiko natürlich bleibe. Es sei richtig, dass man keine Lehrpersonen mit pädophilen oder anderen problematischen Neigungen ausbilden solle. «Lehrpersonen stehen im Schaufenster. Höhere Hürden in Bezug auf einen tadellosen Umgang mit Kindern und Jugendlichen sind daher notwendig», findet Zemp. Den Nutzen eines ärztlichen Zeugnisses bezweifelt er dagegen: «Angesichts der ‹Erfolgsquote› und der Datenschutzproblematik fragt sich, ob dieser Aufwand gerechtfertigt ist.»

Zwei Wochen nach dem ersten Gespräch musste Anna Kündig nochmals bei der Ärztin antraben. Die Auswertung des Fragebogens habe ergeben, dass man sie doch zum Studium zulassen könne, beschied ihr die Frau. Zudem hatte ein Anruf bei Kündigs Hausärztin ergeben, dass ihre Angaben zutrafen. Kündig sagt: «Nach dem ganzen Ärger ist mir doch ein Stein vom Herzen gefallen.»

* Name der Redaktion bekannt.


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