12. Oktober 2016

Gegensätzliche Vernehmlassungsantworten zum Sprachengesetz

Die lateinischsprachigen Kantone haben genug vom Sprachenstreit. Notfalls soll der Bund einschreiten, fordern die Kantone Waadt, Neuenburg, Genf und Jura. Die grosse Mehrheit der Deutschschweizer Kantone will davon aber nichts wissen. Entsprechend gegensätzlich sind die Antworten in der Vernehmlassung zum revidierten Sprachengesetz, die am Freitag abläuft.
Röstigraben im Sprachenstreit, NZZ, 11.10.


Bildungsminister Alain Berset will darin festlegen, dass jedes Schulkind in der Schweiz bereits in der Primarschule eine zweite Landessprache lernt. Viele Deutschschweizer Kantone sehen ihre kantonale Schulhoheit durch eine nationale Regelung gefährdet. Eine Bundesintervention sei «übereilt», «verfehlt», «unverhältnismässig» und «ein Bruch mit der föderalistischen Tradition», heisst es in den Stellungnahmen, die der Nachrichtenagentur sda vorliegen. Zudem sei die gemäss Bundesverfassung verlangte Harmonisierung bereits weit fortgeschritten, betonen mehrere Vernehmlassungsteilnehmer.
Tatsächlich wird in 22 der 26 Kantone nach dem Modell 3/5 unterrichtet, wonach eine erste Fremdsprache in der dritten, eine zweite in der fünften Primarschule eingeführt wird. Eine der beiden Fremdsprachen muss eine Landessprache sein.

Frühfranzösisch auf der Kippe
Allerdings steht in mehreren Kantonen das Frühfranzösisch auf der Kippe. In Zürich, Luzern, St. Gallen, Graubünden und im Thurgau gibt es Bestrebungen, eine Fremdsprache auf die Oberstufe zu verlegen. Einzelne Kantone wie Uri und Appenzell Innerrhoden haben Frühfranzösisch erst gar nicht eingeführt und sehen auch keinen Grund, daran etwas zu ändern. Der Stellenwert einer Landessprache hänge in keiner Weise davon ab, ob bereits in der Primarstufe mit dem Unterricht begonnen werde, schreibt der Kanton Uri in seiner Antwort. Entscheidend sei die Qualität und die Intensität des Unterrichts und ob es gelinge, bei den Schülerinnen und Schülern Freude am Lernen der entsprechenden Fremdsprache zu wecken.

Gesamthaft elf Kantone aus der Deutschschweiz sprechen sich gegen eine Intervention des Bundes aus. Die Stellungnahmen der Kantone St.Gallen, Schwyz, Obwalden, Nidwalden und Appenzell Ausserrhoden standen noch aus.

Skepsis in der West- und Südschweiz
In der lateinischsprachigen Schweiz kommt diese Entwicklung nicht gut an. Deutlich positiver wird deshalb ein Eingreifen des Bundes gewertet. Zwar sehen auch die französischsprachigen Kantone und das Tessin vor allem die Kantone in der Pflicht, eine einheitliche Lösung zu finden. Gelingt dies aber nicht, könnte eine drohende Bundesintervention den Druck auf «abtrünnige» Kantone erhöhen, so die Hoffnung. Die Kantone Waadt und Tessin fordern explizit, der Bund soll genau definieren, innert welcher Frist und unter welchen Umständen er eingreifen will. Bereits die Ankündigung eines Bundeseingriffs könnte gewissen Kantonen dabei helfen, die Harmonisierung entschiedener voranzubringen, schreibt die Tessiner Regierung.

Ob der Bundesrat den Kantonen noch mehr Zeit zugesteht, ist allerdings offen. Bildungsminister Berset droht bereits seit zwei Jahren mit einem Eingriff, sollten die Kantone nicht selbst zu einer gemeinsamen Lösung im Sprachenstreit finden. Nicht tolerieren will Berset, dass Schweizer Schüler erst in der Oberstufe eine zweite Landessprache lernen.

Passiert ist bei den Kantonen seither wenig bis nichts. Deshalb sprechen sich die Kantone Waadt, Neuenburg, Genf und Jura für eine Intervention des Bundes aus. Die Kantone Luzern und Schaffhausen bevorzugen zwar eine interkantonale Lösung, sollte eine Bundesregelung aber nötig werden, würden sie die zweite Variante des Bundesrates favorisieren. Diese will die Lösung des Harmos-Konkordats auf Gesetzesstufe verankern. Die beiden zweisprachigen Kantone Freiburg und Wallis stellen die Autonomie der Kantone an erster Stelle und lehnen ein Intervenieren des Bundesrates deshalb ab. Sie verteidigen jedoch klar das Erlernen von zwei Fremdsprachen in der Primarschule.

Rückendeckung für den Bundesrat?
Unterstützung für eine Intervention erhält der Bundesrat von den Lehrerverbänden. Nur noch eine Landessprache auf der Primarstufe zu unterrichten, erachten sie als nicht zielführend. Die laufenden politischen Vorstösse in einzelnen Kantonen könnten beim Unterrichtsstart in den Landessprachen zu Differenzen von bis zu vier Schuljahren führen. Die Verbände schätzen die Kosten für den Nachholunterricht, falls Kinder in einen anderen Kantonen ziehen, auf bis zu neun Millionen Franken.

Die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) hingegen hatte sich in einer ersten Stellungnahme skeptisch gegenüber einer Bundesregelung gezeigt. Eine Intervention berge erhebliche Risiken. Eine nationale Volksabstimmung könnte zu einer «nationalen Zerreissprobe» werden, warnte die EDK. Die Wirtschaft hingegen stärkt dem Bund den Rücken. Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) und der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) unterstützen das Harmos-Konkordat. Der Bildungsraum Schweiz müsse die Durchlässigkeit und geografische Mobilität der


1 Kommentar:

  1. Leider fehlt der Schluss des Artikels. Die Printausgabe der NZZ vom 12.10. bringt nur einen verkürzten Artikel, weshalb ich den längeren online-Artikel trotz fehlendem Schluss vorgezogen habe.

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