17. August 2016

Mit Anwalt ans Gymi

Die Eltern eines jungen Zürcher Schülers beschwerten sich vor dem Verwaltungsgericht über die schlechte Benotung seines Deutschaufsatzes an der Gymnasialprüfung und bekamen recht. Der Fall wird rege diskutiert. Die Tendenz, sich in schulischen Fragen zur Wehr zu setzen und einen Anwalt einzuschalten, nehme seit einigen Jahren zu, meint Rechtsanwältin Margrit Weber-Scherrer. Sie berät und vertritt Schüler, Eltern und Studenten aller Bildungswege und bearbeitet schulische Themen, und kennt auch die Behördenseite. Das habe vor allem damit zu tun, dass Betroffene heutzutage wissen, wie man eine Bewertung anficht.
Die Zahl der Rekurse ist in Zürich konstant geblieben, Bild: Felix Kaestle
Lehrer im Visier der Anwälte, Tages Anzeiger, 5.8. von Vanessa Simon

Beat Zemp, Präsident des Dachverbandes Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, meint, dass Lehrer zunehmend mit Anwaltsdrohungen von Eltern konfrontiert werden. Die Anzahl der Rekurse ist gemäss Bildungsdirektion des Kantons Zürich seit über 10 Jahren konstant. Seit 2005 kommt es zu durchschnittlich 42 Rekursfällen pro Jahr. Diese würden jedoch nur selten vom Gericht angenommen. «Die allermeisten Rekurse werden abgelehnt, daher ist der Fall des Zürcher Jungen so besonders», meint Zemp. Der Entscheid sei seiner Meinung nach aber insofern richtig, weil laut Gericht dem Schüler die Bewertungsgrundlagen des Aufsatzes nicht offengelegt wurden.
«Ein gewisser Spielraum ist immer da»
Bei den Gymnasialprüfungen werden laut Weber-Scherrer Prüfungsaufgaben und Bewertungsrichtlinien durch Fachkommissionen erstellt, die aus Mittelschul- und Primarlehrpersonen zusammengesetzt sind. Die Massstäbe gelten für den ganzen Kanton. Dadurch sehen die Bewertungsmassstäbe im Kanton Zürich überall gleich aus. Jedoch könnten Prüfungen nie ganz objektiv bewertet werden, meint Zemp. «Ein gewisser Spielraum ist immer da.» Vor allem bei einem Aufsatz – wie im jüngsten Fall – sei eine rein objektive Bewertung durch die Lehrperson besonders schwierig. Aufsätze würden daher auch am meisten angefochten, insbesondere da bei der Korrektur von Aufsätzen ein grosser Ermessensspielraum bestehe, betont Weber-Scherrer.

Eine Welle von Prüfungsanfechtungen fürchtet der Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer sowie die Rechtsanwältin aber nicht. Einen Rekurs einzulegen, sei für viele ein zu grosses Risiko – vor allem finanziell. Bei einer gerichtlichen Prüfungsanfechtung muss man mit mehreren Tausend Franken rechnen, wenn der Rekurs abgelehnt wird.

Lehrer stehen wegen überkritischer Eltern zunehmend unter Druck
Mehr Sorgen macht sich Zemp darüber, dass ein zwar noch kleiner, aber grösser werdender Teil überkritischer Eltern, Lehrern mit Anwälten droht. Das mache für die Lehrer die Notengebung aufwendiger. «Früher korrigierten die Lehrer die Prüfung und gaben sie den Schülern zurück. Heute machen Lehrer, die wissen, dass sie Schüler mit kritischen Eltern in der Klasse haben, gleich Fotokopien oder lassen die Prüfungen von einer zweiten Lehrperson korrigieren. Das hat zur Folge, dass Lehrer heutzutage mehr mit Archivarbeit zu tun haben.» Die Lehrer stünden wegen der «Helikoptereltern» zunehmend unter Druck.

Im Fall des Zürcher Schülers war laut Gerichtsentscheid die Beurteilung durch die Lehrperson zu willkürlich. Nun wird eine zweite Lehrperson zur Bewertung des Aufsatzes hinzugezogen. Die Frage ist nur, um wie viel die Note steigt. Denn laut Zemp würde ihm ein Notenpunkt reichen: «Momentan hat er die Note 2 in Deutsch, eine 4,75 in Mathe, die doppelt gezählt wird, und eine 3,5 in den Fremdsprachen. Wenn er im Aufsatz nun eine 3 hätte, würde er es ins Gymi schaffen.» Das Resultat sollte spätestens zum Ende der Sommerferien vorliegen, heisst es bei der Bildungsdirektion des Kantons Zürich.


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