11. Juli 2016

Berset irrt

Peter Rothenbühler über den Fremdsprachenunterricht und warum es nichts bringt, allen Kantonen den Unterricht einer zweiten Landessprache bereits in der Unterstufe aufzuzwingen.
Wo bleibt das Welschlandjahr? Aargauer Zeitung, 11.7. von Peter Rothenbühler


Alain Berset meint es gut. Er möchte etwas für den Zusammenhalt des Landes tun und denkt, dass dies über das Erlernen einer zweiten Landessprache in der Schule geht. Leider irrt er sich. Auch wenn es ihm gelingen sollte, als eidgenössischer Sprach-Vogt alle Kantone zu zwingen, mit dem Unterricht einer zweiten Landessprache schon in der Unterstufe zu beginnen, kommt er seinem Ziel, etwas Nachhaltiges für den Zusammenhalt des Landes zu tun, nicht viel näher.
Denn das wäre nur ein erster, kaum effizienter Schritt. Der Fremdsprachenunterricht nützt nichts, wenn die Lehrer schlecht ausgebildet und unmotiviert sind und die Schüler den Sinn ihres Lernens nicht einsehen. Der Fremdsprachenunterricht leidet nicht darunter, dass er bald an einigen Orten erst in der Oberstufe beginnt. Nein, er trägt nur wenig Früchte, wenn der Baum des Sprachunterrichts nicht gedüngt und gewässert wird.
Ich will sagen: es genügt nicht, die andere Landessprache in der Schule rein theoretisch zu büffeln, wenn weder Lehrer noch Schüler je längere Zeit ganz in die zu lernende andere Sprache eintauchen, indem sie sich ins andere Sprachgebiet bewegen. Oder wenn die kleinen Westschweizer brav Deutsch lernen und, kaum in Zürich angekommen, feststellen müssen, dass dort ein anderes Idiom gesprochen wird. Oder wenn sie im Deutschschweizer Fernsehen die «Arena» mitverfolgen wollen und nur Bahnhof verstehen, weil dort mindestens vierzig unterschiedliche Dialekte gepflegt werden, aber nicht die deutsche Sprache, die sie mühsam – und «im Interesse des Zusammenhalts des Landes» – gelernt haben.
Dort, wo der Bund Weisungsrecht hat, Verantwortung übernehmen
Gerade hier, bei der Förderung des Austausches auf sprachlicher Ebene, könnte der Bund dort, wo er ein gewisses Weisungsrecht hat, Verantwortung übernehmen, statt die Kantone zu massregeln. Übrigens: Das Land fällt auch nicht auseinander, wenn wir alle miteinander nur noch Englisch sprechen. Zu gross sind unsere politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gemeinsamkeiten. Klammer zu. Ich habe es immer bedauert, dass wir zwar vier Landessprachen haben, dafür von aller Welt bewundert werden, dass aber das Land keine massiven Anstrengungen unternimmt, um den Austausch, das gegenseitige Verständnis zu fördern.
Ich erinnere mich an die Zeit nach der Abstimmung über den EWR, wo die Westschweizer massiv dafür und die Deutschschweizer massiv dagegen gestimmt hatten. Als Versöhnungsgeste hat die «Schweizer Illustrierte» damals mit dem rührigen Luzerner Verkehrsdirektor und den Hoteliers eine Willkommens-Aktion lanciert, die allen Westschweizern erlaubte, ein verlängertes Wochenende in einem Luzerner Hotel zum halben Preis zu verbringen. Sie kamen in Scharen, brachten aus Dankbarkeit ganze Kisten Weisswein mit! Und gesprochen wurde gebrochen Französisch und Deutsch.
Die Mehrsprachigkeit darf man nicht den Schulen allein aufbürden
Und wie war das früher mit dem Welschlandjahr? Jugendliche in der Berufsausbildung lernten erst richtig Französisch, wenn sie ihre Zeit bei einem Weinbauern in Féchy oder bei einer Madame in Epalinges oder auf der Post in Genf absolvierten. Sie zehrten ein Leben lang von den Erlebnissen. Wo ist das Welschlandjahr geblieben? Wo ist der Appell von Alain Berset an Coop, Migros, Swisscom, SBB, Post, Novartis, UBS, Google und Nestlé, wieder systematisch jeden Auszubildenden in das andere Sprachgebiet zu schicken?
Wo bleibt der Appell der Medienministerin an die SRG, nationale Sendungen zu kreieren, wo auf spielerische Art die Mehrsprachigkeit gepflegt wird, als Quiz, als Samstagabendshow, als 1.-August-Sendung. Wo bleibt der Aufruf, doch bitte – auch aus Rücksicht auf die vielen Ausländer – wenigstens den Wetterbericht auf Hochdeutsch zu bringen? Wo bleibt der Rat, französische Filme im Deutschschweizer Fernsehen in Originalversion zu zeigen, mit Untertiteln? Und wo bleibt die Mahnung an alle Radios, wenigstens zehn Prozent Songs zu spielen, die nicht englisch sind? Wo bleibt das forcierte Austauschprogramm für Schüler?
Wo bleiben die Zuschüsse für zweisprachige Zeitungen? Man sieht, der Bund könnte vieles tun, wenn es ihm wirklich ernst wäre mit der Förderung des Sprachunterrichts. Die schweizerische Mehrsprachigkeit darf man nicht den Schulen allein aufbürden. Schwimmen lernen kann man auch nur, wenn man ins Wasser geht.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen