12. Juli 2016

Bald wieder mehr Kleinklassen in Bern?

Herr Pulver, im Kanton Bern gibt es Kinder, die nicht zur Schule gehen dürfen. Was sagen Sie ­dazu?

Bernhard Pulver: Die Situation ist unbefriedigend. Dass Eltern keinen Platz in Sonderschulen für ihre Kinder finden, entspricht leider der Realität. Zum Glück sind es aber Einzelfälle. Von den 2000 Kindern in Sonderschulen gab es bei ein paar Dutzend Probleme bei der Suche. Der Artikel im Volksschulgesetz, der nach einer Ausschulung die Eltern in die Pflicht nimmt, ist aber ganz klar nicht mehr zeitgemäss. 

"Man könnte wieder mehr Kleinklassen eröffnen", Berner Zeitung, 12.7.

Wird dieser Missstand mit der Sonderschulstrategie behoben?

Ja. Wir beabsichtigen, die Sonderschule der Volksschule zu unterstellen. Benötigt ein Kind dann ein Sondersetting, sind nicht mehr die Eltern verantwortlich, sondern die Erziehungsdirektion. Die Sonderschulen werden zudem eine Aufnahmepflicht haben.

Wann wird die Strategie endlich vorgestellt?

Die wichtigsten Richtungsentscheide wurden gefällt. Im Herbst sind die letzten Hearings mit betroffenen Anspruchsgruppen geplant, und im ersten Semester 2017 soll die Vernehmlassung beginnen.

Ein weiterer Grund für die aktuelle Situation ist die Zunahme der Sonderschüler parallel zur Reduktion der Kleinklassen.

Mit der Reduktion der Anzahl Kleinklassen ist tatsächlich ein Auffangbecken weggefallen. Wie die Zahlen zeigen, hat dies dazu geführt, dass der Druck auf die Sonderschulen zugenommen hat. Ein weiterer Grund für die Zunahme der Sonderschüler ist aber auch die gesellschaftliche Entwicklung. Kinder, die nicht der Norm entsprechen, werden heute viel häufiger professionell abgeklärt. Das wünschen nicht zwingend die Lehrer oder die Erziehungsdirektion, sondern vielfach auch die Eltern. Die Gesellschaft ist heute sensibilisierter, man will ja nichts falsch machen, und die Medizin kennt die möglichen Defizite. Das führt auch zu mehr Diagnosen.

Die Kantone Zürich und Schwyz haben Massnahmen ergriffen, um die Anzahl Sonderschüler zu reduzieren. Braucht es das in Bern auch?

Es ist nicht geplant, deutlich mehr Kinder zu integrieren. Mit der Sonderschulstrategie führen wir aber ein schweizweit einheitliches Abklärungssystem ein. Heute werden Ausschulungen aufgrund von Untersuchungen verschiedenster Stellen beschlossen. Neu wird nur noch die Erziehungsberatung die Abklärungen durchführen. Es soll nicht mehr die Diagnose im Zentrum stehen, sondern der Bedarf und das Umfeld des Kindes. Die Erziehungsberatung schaut, welche Ressourcen in der Schule oder der Familie vorhanden sind. So kann besser eingeschätzt werden, ob das Kind tatsächlich ein Sondersetting braucht.

Müsste auch die Anzahl Kleinklassen wieder erhöht werden?

Ich habe nicht damit gerechnet, dass so viele Kleinklassen abgebaut werden. Angestrebt wurde eine Halbierung innert zehn Jahren. Vermutlich ist man jetzt eher über das Ziel hinausgeschossen. Man könnte also durchaus wieder mehr Kleinklassen eröffnen. Die Gemeinden entscheiden selber, ob sie die Lektionen für unterstützende Massnahmen für die Integration oder für eine Kleinklasse einsetzen wollen.

Viele Lehrer und auch der Berufsverband sind aber der Meinung, dass die Ressourcen nicht einmal für die Integration ausreichen, geschweige denn für beides.

Ich habe durchaus Verständnis für diese Kritik. Aber bei der Umsetzung der Integration wurde das Budget für besondere Massnahmen bereits von 110 auf 130 Millionen Franken angehoben. Seither sind die Kosten in diesem Bereich stabil. Dafür steigen sie im Bereich der Sonderschulung. Verschiedene Vorstösse im Grossen Rat zeigen zudem, dass einige Politiker für schwache Schüler eher noch weniger Geld einsetzen möchten – zugunsten der leistungsstarken Schüler. Die Frage nach den Ressourcen muss also auch der Grosse Rat beantworten.

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