2. Mai 2016

Klassische Managementfehler

Bildungspolitik ist Verantwortung, ­Verpflichtung und grosse Chance zugleich. Gute Bildung ist für unsere Kinder Ausgangspunkt eines Lebens vielfältigster Möglichkeiten, und es geht um die Chancen junger Menschen, nicht um Strukturen, Ideologien oder scheinbar fortschrittliche Konzepte.
Nützliche Veränderung? Basler Zeitung, 2.5. von Nadine Gautschi


Der Kanton Basel-Stadt ist daran, sein Bildungssystem – insbesondere die Volksschule – umfassend zu ­modernisieren. Die Orientierungsstufe wurde ­abgeschafft, Harmos eingeführt, ­Sonderschulen gibt es fast nicht mehr, dafür wird integrativ geschult, wir haben Frühfranzösisch ab der ­dritten und Englisch ab der fünften Klasse, ­der Lehrplan 21 wurde eingeführt, auch ohne vorhandene ­hinreichende Lehrmittel.

Nun erleben wir zwar Dynamik in Strukturen und Konzepten und sehen wie deren Umsetzung schon nur bei der Anpassung der Infrastruktur gegen 800 Millionen Franken verschlingt.

Währenddessen ist die zentrale Frage nach dem Nutzen aber beinahe ausgeblendet. Kritisches Hinterfragen oder gar eine konkrete Kosten-Nutzen-Analyse der Reformvorgänge scheint unerwünscht. Jedes scheinbare oder tatsächliche Problem wird mit mehr Geld sowie mehr Verordnungen und Weisungen zugepflastert. Die ­ ebenso sichtbaren wie teuren neuen ­Infrastrukturen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die nützlichen und vernünftigen ­Bildungsziele der Volksschule offenbar inmitten all der aufregenden neuen Ideen und Konzepte aus den Augen verloren wurden.

Klassischer Managementfehler
Der Leitung der Basler Volksschulen scheint ein klassischer Managementfehler unterlaufen zu sein: Die Ideen und Konzepte sind als Zugpferde dem Wagen davon galoppiert – und der Wagen, unsere Volksschule, steckt nun im Morast.

Es bleibt zu hoffen, dass einige ­zentrale Fragen in der Politik gestellt und von unserer Regierung beantwortet werden. Diese wären meines ­Erachtens nach:

1. Eine Analyse der Anzahl ­Lehrpersonen, Pädagogen, Therapeuten und so weiter, welche pro Klasse in der ­Primarschule eingesetzt werden, und des konkreten Nutzens des ­Personaleinsatzes – einschliesslich einer kritischen Würdigung der Tatsache, dass Primarschulkinder schon in der ersten Klasse mit fünf und mehr Bezugspersonen ­konfrontiert werden.

2. Eine Analyse zum Stand der ­Förderung der einzelnen Schüler an der Volksschule, Anteile speziell ­geförderter Schüler (Legasthenie, ­Ergotherapie, Psychomotorik, Rhythmik etc. und auch Begabtenförderung). Sind diese Anteile nützlich, welche Ziele werden erreicht?

3. Eine Evaluation des Frühfranzösischs an und für sich (erreichen die Schüler die Sprachkompetenz, die nach dem Übertritt in die Sekundarschule vorausgesetzt wird?) und der Tauglichkeit der verwendeten Lehrmittel im Speziellen.

4. Eine Erhebung des Anteils der ­Kinder, die neben der Schule private Nachhilfeangebote in Anspruch ­nehmen und – aus welchen Gründen  – sowie eine Stellungnahme dazu, wie man gedenkt, diesen Anteil zu ­minimieren, weil die öffentliche Volksschule Chancengleichheit ­herstellen sollte.


Nadine Gautschi, Basel, ist Ökonomin und Vizepräsidentin der FDP Basel-Stadt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen