11. April 2016

Umgang mit Flüchtlingskindern

Eine Weiterbildung für Lehrpersonen zum Umgang mit Flüchtlingskindern hat gezeigt, dass das Thema auf grosses Interesse stösst. Einige Lehrer fühlen sich im Stich gelassen, offizielle Richtlinien fehlen. Die Politik ist gefordert.



















Flüchtlingskinder sind eine Herausforderung für den Unterricht, Bild: Gian Ehrenzeller
Die Lehrer sind verunsichert, St. Galler Tagblatt, 11.4. von Larissa Flammer


Flüchtlingskinder haben es in der Schule schwer. Manche haben nie Lesen oder Schreiben gelernt. Die Deutschkenntnisse sind zumindest zu Beginn lückenhaft. Und einzelne sind sich nicht einmal gewohnt zu spielen. Sie haben ihre Kindheit unter uns gänzlich fremden Umständen verbracht.

Weiterbildung als Pilotprojekt
Mit der aktuellen Flüchtlingswelle kommen auch viele Familien mit Kindern im schulpflichtigen Alter und unbegleitete minderjährige Asylsuchende in die Schweiz. Diese werden – nach einer gewissen Zeit – in Regelklassen integriert. Das stellt Lehrpersonen vor eine Herausforderung. Denn ihnen fehlen Konzepte und konkrete Richtlinien für den Schulalltag. Das hat die Pädagogische Hochschule St.Gallen (PHSG) und die Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik (HfH) dazu veranlasst, während dreier Nachmittage einen Weiterbildungskurs «Flüchtlinge integrieren und fördern» als Pilotprojekt anzubieten.

«Von Interessenten überrannt»
Die Verantwortlichen haben am ersten Nachmittag Anfang März mit 20 bis 30 Personen gerechnet. «Wir wurden von Interessenten überrannt. Maximal 100 Personen konnten an einem Nachmittag teilnehmen. Zweimal hatten wir ein volles Haus», sagt Isabelle Bischof, Mitorganisatorin dieser Weiterbildung. «Das Pilotprojekt hat gezeigt, wie sehr das Thema die Lehrpersonen interessiert. Viele sind verunsichert, einige fühlen sich sogar im Stich gelassen», sagt Bischof. Für die Bereichsleiterin des Instituts Weiterbildung und Beratung der PHSG war der Austausch an den drei Kurstagen sehr wertvoll. Es habe sich gezeigt, dass der Umgang mit Flüchtlingskindern im Unterricht überall anders gehandhabt werde. Viele wünschten sich ein Konzept, an das sie sich halten können. «Die Lehrpersonen wissen nicht, was auf sie zukommt.»

Die drei Weiterbildungs-nachmittage widmeten sich je einem Aspekt der Flüchtlingsthematik in Schulen. Der erste drehte sich um die Vorbereitung der Lehrpersonen auf der persönlichen Ebene. «Die Einstellung der Lehrpersonen den Flüchtlingskindern gegenüber ist sehr wichtig», sagt Bischof. Markus Matthys von der HfH führt aus: «Der Umgang mit Flüchtlingen gleicht einer Gratwanderung. Viele sind traumatisiert. Die Lehrpersonen dürfen dem gegenüber nicht blind sein, sie dürfen ob der Schicksale der Kinder aber auch nicht in Hysterie verfallen.»

Ein Gefühl der Zuversicht geben
Am zweiten Nachmittag war die sprachliche Integration das Thema. «Die Sprache ist ein zentraler Punkt», betont Bischof. Die Lehrpersonen müssten sich damit auseinandersetzen, wie sie ein Kind begrüssen und den Zugang zu ihnen finden können.
Der Fokus des dritten Teils der Weiterbildung, der am vergangenen Mittwoch stattfand, lag auf der Klassenassistenz. Laien, die als Klassenassistenten arbeiten, können Lehrpersonen in verschiedenen Bereichen unterstützen. Laut Isabelle Bischof ist aber deren Unterstützung im Umgang mit Flüchtlingskindern noch kaum ein Thema. Referent Thomas Rhyner sagte am Mittwoch, dass Klassenassistenten zwar weniger als Lernbegleitung, dafür als Bezugspersonen für Kinder da sein können und sollten. Ein Merkblatt der PHSG fordert Klassenassistenten unter anderem dazu auf, Flüchtlingskindern ein Gefühl der Zuversicht zu geben und ihnen einen berechenbaren und klaren Rahmen zu bieten.

Viel Verständnis gefragt
Für HfH-Dozent Markus Matthys ist neben der Sprache die Partizipation die wichtigste Hürde im Umgang mit Flüchtlingskindern im Schulalltag. «Wie kann das Kind in der Klasse, aber auch in der Pause mit einbezogen werden?» Gleich mehrere Teilnehmende der Weiterbildung haben am Mittwoch von positiven Erfahrungen im Umgang mit Flüchtlingen gesprochen. Die Kinder wollten etwas lernen. Doch es sei viel Verständnis gefragt: für Aggressionen, für Rückzug, für die Weigerung, über die eigene Vergangenheit zu sprechen.
An den drei Nachmittagen hat sich der Wunsch um Unterstützung im Umgang mit Flüchtlingskindern gezeigt. Doch mehr als Empfehlungen gibt es bis jetzt nicht: «Ich sehe kaum Aktivität von Seiten der Behörden. Die Unterstützung ist dünn», so Rhyner. Isabelle Bischof hofft, dass die Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt von anderen aufgenommen werden: «Die Lehrpersonen wollen Antworten.»

Kurs zu Flüchtlingsfamilien
Die PHSG hat nach jedem Kursnachmittag eine Evaluation verschickt, mittels derer die Teilnehmenden ihre Bedürfnisse zum Thema mitteilen konnten. Diese Evaluationen werden jetzt ausgewertet. Einen nächsten Weiterbildungskurs zum Thema Flüchtlingsfamilien bietet die Hochschule bereits am 8. Juni an. «Geplant war der Kurs schon zuvor, doch nach dem Erfolg des Pilotprojekts ist absehbar, dass auch das Thema Flüchtlingsfamilie auf gosses Interesse stossen wird», so Bischof.


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