4. April 2016

Sprachpfütze statt Sprachbad

Ich habe mich während der letzten zwei Jahre intensiv mit dem Fremdsprachenerwerb in der Primarschule und dem Französisch-Lehrmittel «Mille Feuilles» (M.F.) befasst. M.F. wirkt äusserlich ansprechend und die Kinder haben zunächst ihren Spass. Leider verfliegt die ­anfängliche Freude bei vielen Kindern rasch und weicht einer Enttäuschung. Die Kinder geben an, «nichts mehr zu verstehen». Die erste Fremdsprache mutiert zu einem unbeliebten Fach. Das war zum Teil auch früher so, nur hatte man damals wenigstens einen Grundwortschatz, einige Grammatikregeln und Kenntnisse über die Konjugation von Verben im Gepäck – heute ist das ­Gepäck sehr leicht, weil kaum etwas im Gedächtnis haften kann.
Leserbrief, Basler Zeitung, 4.4. von Elisabeth Deppeler-Schlegel

Man wird mir entgegenhalten, dass die Lehrpersonen noch nicht die ­adäquate Ausbildung zum Unterrichten haben. Für mich liegt der Hase an ­einem anderen Ort begraben. Während meiner 34-jährigen Tätigkeit im schulischen Bereich erlebte ich viele Reformen im Schulwesen. Und immer wieder konnte ich den gleichen Mechanismus beobachten: Ein in Studien belegtes Faktum wurde ohne Beachtung des Kontextes und der Rahmenbedingungen implementiert. Im Falle der neuen Sprach­didaktik heisst das zugrunde gelegte Axiom, dass junge Kinder problemlos mehrere Sprachen erwerben können. Voraussetzung dazu ist, dass das Kind intensiv mit dieser Sprache konfrontiert ist.
Interessanterweise sind zwei Fehlannahmen getroffen worden. Erstens geht es in diesen Studien vor allem um Klein-und Vorschulkinder und nicht um Primarschüler, die ein anderes Lernverhalten zeigen, und zweitens ist aus dem sogenannten «Sprachbad» ein «Sprach­pfützchen» geworden. Das kann nicht gutgehen – und leider sind wie bei vielen Reformen die am meisten Benachteiligten die schulleistungsschwachen Kinder. Ein weiterer unschöner Nebeneffekt ist, dass die Lektionen in den Fremdsprachen zulasten von anderen ­Fächern gehen.

Etwas ist über all die Jahre gleich geblieben: Die wichtigste Motivation zum Lernen ist eine gute Beziehung zur Lehrperson. Weshalb wird das Geld nicht für Weiterbildungen in Beziehungs- und Kommunikationsfähigkeit von Lehrern verwendet? Es wäre gut angelegtes Geld im Gegensatz zum Geld, das für ein Experiment, das aller Voraussicht nach zum Scheitern verurteilt ist, ausgegeben wird.

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