6. April 2016

Schule und Religion

Nein zum Kopftuchverbot für Schülerinnen, aber Zurückhaltung bei religiös begründeten Dispensationen. Das Bundesgericht präsentiert einen Überblick über die Rechtsprechung zu Schule und Religion.
Das Bundesgericht übt Toleranz mit Grenzen, NZZ, 6.4. von Katharina Fontana


Der Umgang mit der religiösen Vielfalt ist für die öffentlichen Schulen keine einfache Sache. Welche schulischen Vorschriften unter dem Titel der Religionsfreiheit verhandelbar sind und welche nicht, liegt nicht immer auf der Hand. Dass man es mit der Toleranz auf jeden Fall zu weit treiben kann, zeigt der Fall der Baselbieter Schule Therwil, die zwei muslimische Schüler davon dispensiert hat, ihren Lehrerinnen die Hand zur Begrüssung zu reichen.

Die Rechtsprechung hatte schon mehrmals Gelegenheit, sich zum Thema Schule und Religion zu äussern. So entschied das Bundesgericht im letzten Dezember, dass eine Schule das Tragen des islamischen Kopftuchs nicht grundsätzlich verbieten darf (NZZ 12. 12. 15). Am Mittwoch nun wurde die schriftliche Begründung des Urteils veröffentlicht, die einen interessanten Überblick über die bisherige Rechtsprechung bietet.

Was Fragen der religiösen Bekleidung angeht, wertet das Bundesgericht die Freiheit der Schüler generell hoch. Zwar darf die Schule von den Kindern verlangen, irritierende oder anstössige Kleidung zu vermeiden. Bei religiösen Symbolen dagegen – darunter fallen neben dem islamischen Kopftuch etwa auch die jüdische Kippa oder ein sichtbar getragenes christliches Kreuz – sieht das Bundesgericht das öffentliche Interesse an einem generellen Verbot nicht gegeben. So lässt es im konkreten Fall die Argumente der Schulgemeinde, das Kopftuchverbot sei für die Wahrung der Chancengleichheit von Mädchen und Knaben oder zur Einhaltung der Disziplin erforderlich, nicht gelten. Anders sieht die Sache aus, wenn es sich um Lehrer an öffentlichen Schulen handelt. Sie sind zu konfessioneller Neutralität angehalten, weshalb es das Bundesgericht 1997 als zulässig erachtete, einer Genfer Primarlehrerin das Tragen des Kopftuchs zu untersagen.

Verständnis hat das Bundesgericht, wenn ein Kind an religiösen Feiertagen, etwa am Sabbat, einen freien Tag verlangt. Grosse Zurückhaltung übt es hingegen, wenn es um Dispensationen von einzelnen Fächern geht. So lehnte es 2008 die Gesuche zweier muslimischer Knaben ab, sie seien vom Schwimmunterricht zu dispensieren, weil ihnen der Anblick der nur mit Badekostüm bekleideten Mädchen nicht zuzumuten sei. In einem anderen Fall hielt das Bundesgericht 2012 fest, dass Schüler vor Weihnachten zwar nicht verpflichtet werden dürften, christliche Lieder zu singen, wenn dies einem Glaubensakt gleichkomme; hingegen dürfe man in der Schule mit den religiösen Gesängen anderer konfrontiert werden. 2014 schliesslich wollte es nichts davon wissen, ein Kind unter Berufung auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit seiner Eltern vom Aufklärungsunterricht zu dispensieren.


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