27. April 2016

Müde Schüler

33 Stunden pro Woche spielt er Computerspiele. Unter der Woche sind es täglich 2 bis 3 Stunden, am Wochenende 20 Stunden, manchmal auch am Stück: Sein Rekord beträgt 24 Stunden, die er – abgesehen von Gängen zum Klo und Kühlschrank – vor dem Computer sass. Auch wenn er dabei allein vor dem Computer sitzt, allein ist er nicht. Per Skype schalten sich Kollegen dazu, spielen mit ihm oder gegen ihn, und nach einem nächtelangen Game-Marathon wird oft zum Abschluss im Morgengrauen «gemeinsam» ein Film geschaut (alle drücken gleichzeitig auf Start und kommentieren per Chat oder Skype.)













Wie viel Offline-Zeit haben unsere Schüler noch? Bild: Martin Ruetschi
Spielend durch die Nacht, müde durch den Tag, Tages Anzeiger Mamablog, 26.4. von Isabelle Meier


Was mein Schüler (16) der Klasse erzählte, war den anderen keineswegs fremd. Ich fragte in die Runde, wer ebenfalls ab und zu eine Nacht «durchgame». Die Hälfte streckte auf. Völlig normal, meinte ein Schüler. Beim «Gamen» vergesse man eben alles in sich und um sich rum – Zeit, Raum, Hunger, Durst, Müdigkeit.

Das veranlasste mich zu einer kurzen Umfrage bei zwei Klassen. Das Resultat: Rund ein Viertel der Befragten gab an, 14 Stunden und mehr pro Woche zu spielen, der Rest spielt zwischen einer und acht Stunden pro Woche. Nur fünf von 30 Schülern sagten, dass sie nie gamen. Und in beiden Klassen sitzen zwei Extremgamer, die bis zu 40 Stunden pro Woche spielen.

Dass es exzessive Gamer gibt, ist bekannt. Überrascht hat mich aber, wie viele Game-Stunden da in einer Klasse zusammenkommen. Rechnet man noch die übrige Handynutzung hinzu – Facebook, Whatsapp etc. – fragt man sich, wie viel Offlinezeit am Ende des Tages noch übrig bleibt.

Klar, dass man nach einer Nacht vor dem Computer nicht frisch und munter in der Schule sitzt. Schüler, die mit halb geschlossenen Augen vor sich hin dösen, immer tiefer in die Schulbank sinken oder ganz kapitulieren und den Kopf auf den Tisch legen, sind jedem Lehrer vertraut.

Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat über 1000Jugendliche im Alter von 12 bis 19 Jahren befragt. Resultat: Die Hälfte der Befragten fühlt sich unabhängig vom Alter unter der Woche nicht erholt.

Das Problem der schlafenden Schüler wird jetzt auch im Kantonsrat diskutiert. Drei Zürcher Kantonsräte fordern einen späteren Schulbeginn für Jugendliche, weil diese morgens immer so müde seien. Sie orten das Problem im Biorhythmus: In der Pubertät verschiebt sich der nach hinten. Die Jugendlichen werden zu sogenannten Eulen: Abends sind sie putzmunter und können nicht einschlafen,kommen am Morgen dafür kaum aus den Federn.
Die Forscher der ZHAW nennen aber einen anderen Grund für die morgendliche Müdigkeit: Nebst Partybesuchen seien das Spielen von Videogames, das Versenden von Fotos und Filmen mit dem Handy oder die Nutzung des Handys als Wecker die Ursache für die unausgeschlafenen Teenies.

Sie empfehlen deshalb, alle mobilen Geräte in der Nacht auszuschalten oder in den Flugmodus zu schalten, das Handy aus dem Schlafzimmer zu verbannen und das Gamen zu reduzieren (siehe auch «Legt einfach mal das Smartphone weg!»). Bei Schülerinnen und Schülern, die während des Unterrichts unkonzentriert oder schläfrig sind, sollte der Medienkonsum – insbesondere in den Abendstunden – thematisiert werden. Zudem soll eine einstündige Bildschirmpause vor dem Zu-Bett-Gehen eingehalten werden.
Davon ist mein Schüler jedoch weit entfernt. «Mein Abendritual sieht immer gleich aus», sagt er, «Compi aus und ins Bett.» Natürlich mit dem Handy.

Isabelle Meier ist Berufsschullehrerin und freie Journalistin. Sie lebt mit Kind und Partner in Winterthur.


1 Kommentar:

  1. Müde Schüler - Computersucht - Digitale Demenz

    Bei Beginn des 1. Zyklus des LEHRPLAN 21 sind die Kinder 4 Jahre alt!
    Das kann z.B. bedeuten: Statt ein Dreieck aus Holz oder Plastik in den Händen zu halten und zu lernen, wie es gezeichnet wird, klicken die Kindergärtler auf dem Bildschirm ein digitales an.

    Zur Schädlichkeit der digitalisierten Welt für Kinder siehe Manfred Spitzer, Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen. 2012.

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