11. April 2016

Kein Ausschlafen für Zürcher Schüler

Das Zürcher Kantonsparlament hat es abgelehnt, den Schulbeginn zu verschieben, um in den morgendlichen Stosszeiten mehr Platz in Zügen und Bussen zu schaffen. Er hat heute Montag ein SP-Postulat mit 107 zu 63 Stimmen bachab geschickt. Der Vorstoss verlangte Abklärungen zur Wirksamkeit einer Schulbeginn-Verschiebung.













Der Vorstoss wollte die Mittagspause kürzen, damit am Morgen später begonnen werden kann, Bild: Keystone
Nichts ists mit länger schlafen, Tages Anzeiger, 11.4.


Die Massnahme könne nicht nur den öffentlichen Verkehr in den Hauptverkehrszeiten am Morgen entlasten, sondern sei auch aus bildungspolitischer Sicht sinnvoll, argumentierten die Postulantinnen und Postulanten. Verschiedene Studien belegten nämlich, dass junge Leute in den späteren Morgenstunden leistungsfähiger sind. Das Postulat schlug einen späteren Unterrichtsbeginn an den Sekundar-, Mittel- und Berufsschulen vor.

Positive Wirkung auf Leistung
Schon eine Verschiebung um 20 bis 30 Minuten habe eine positive Wirkung auf die Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler, sagte eine Postulantin. Der Unterricht solle aber nicht am Abend verlängert, sondern die Mittagspause verkürzt werden.
Unterstützung erhielt die SP von der GLP, CVP, EVP und einigen Grünen. Es gehe um die «Optimierung des Biorhythmus» der 12- bis 16-Jährigen, meinte eine CVP-Sprecherin. Um definitiv entscheiden zu können, solle der Regierungsrat eine «breite Auslegeordnung» der Vor- und Nachteile machen, sagte ein Vertreter der EVP.

«Zwischen 5 und 6 Uhr hats noch Platz»
Umfragen hätten ergeben, dass ein Grossteil der Betroffenen die Verschiebung gar nicht wünschten, sagte hingegen ein freisinniges Ratsmitglied. Wenn der Unterricht abends länger dauere, habe dies negative Auswirkungen auf die Sport- und Freizeitaktivitäten, gab es zu bedenken. Unklar sei auch, ob die Aufnahmefähigkeit um 16 Uhr wirklich besser sei als um 8 Uhr.

Die Jugendlichen sollten nach Ansicht eines BDP-Sprechers frühzeitig auf die Arbeitssituation eingestellt und gewöhnt werden. Ein EDU-Vertreter kritisierte eine Ungleichbehandlung von Schülern und Lehrlingen.

Aus Sicht des ÖV bringe die Verschiebung um eine halbe Stunde gemäss einem Vertreter der Grünen nicht viel. Wenn schon, müsste der Schulbeginn ja früher erfolgen, denn in Zügen und Bussen habe es «zwischen 5 und 6 Uhr noch Platz». Und überdies sei eine neue Spitzenbelastung am Abend zu befürchten.

Auch St. Galler bleiben Frühaufsteher
Auch in anderen Kantonen ist ein späterer Unterrichtsbeginn Thema. Nirgends wurden bisher allerdings die Zeiten angepasst. Erst Ende Februar debattierte der St.Galler Kantonsrat über einen solchen Vorstoss, dort eingereicht von der BDP. Der Rat lehnte ihn ab.

Im Kanton Bern wurde im vergangenen Jahr zudem eine Umfrage an drei Gymnasien durchgeführt, um die Akzeptanz eines späteren Schulbeginns zu prüfen. Das Resultat war eindeutig: 81 Prozent der Schüler gehen lieber schon um 8 Uhr zur Schule statt eine Stunde später. Auch Eltern und Lehrer entschieden sich für das frühe Aufstehen.

«Gleitzeit» für deutsche Gymnasiasten
Im Kanton Zürich wie anderswo in der Schweiz bleibt also alles beim alten. Anders in Deutschland: Oberstufenschüler des Gymnasiums in Alsdorf bei Aachen dürfen länger schlafen, wenn sie wollen, wie heute Montag gemeldet wurde. Sie können wählen, ob sie direkt zur ersten Stunde um 8 Uhr kommen oder zur zweiten gegen 9 Uhr.

«Super cool, wir können ausschlafen», ist Schulsprecher Lars Meyer kurz nach dem Start immer noch begeistert. Als erste Schule in Deutschland gehe das Alsdorfer Gymnasium auf die innere Uhr von Jugendlichen ein, stellt der Chronobiologe Professor Till Roenneberg von der Ludwig-Maximilians-Universität München fest. Die tickt nämlich anders als bei Erwachsenen, erklärt er: Bei der Synchronisation mit dem Tag-Nacht-Rhythmus geht die innere Uhr der meisten Jugendlichen etwa bis zum 20. Lebensjahr nach. Sie können erst später einschlafen. Müssen sie entgegen ihrer biologischen Uhr schon um acht in der Schule sein, entsteht ein «sozialer Jetlag».

Halb schlafend im Unterricht
Drei Viertel der Jugendlichen hätten damit zu kämpfen, sagt Roenneberg: Die Schüler sitzen dann halb schlafend im Unterricht. Ausserdem fällt der wichtige Anteil des Schlafes, der das erlernte Wissen vom Vortag konsolidieren soll, weg. Die Wissenschaft fordert demnach seit zehn Jahren einen späteren Unterrichtsbeginn.

Das wird auch in der Politik gehört. Für einen späteren Unterrichtsbeginn müsse es einen Wandel in der Wirtschaft geben, hatte Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) bereits im vergangenen Jahr dem Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» gesagt. Nach Einschätzung von Eltern passe ein späterer Schulbeginn nicht zur Arbeitswelt, erläuterte sie.

Aber in die Lebenswelt der Jugendlichen: «Die erste Stunde war immer eine Quälerei für mich. Ich war noch nicht richtig wach», erzählt der 17-Jährige Luca Diehr in Alsdorf. Jetzt kommt er meistens erst zur zweiten Stunde und fühlt sich fit. Natürlich gibt es auch Schüler wie Milena Kandetzki (17):« Ich habe kein Problem früh aufzustehen und komme immer zur ersten Stunde.» Geht natürlich auch, ist aber die Minderheit.

Dalton-Plan
Dass die «Gleitzeit» in Alsdorf organisatorisch möglich ist, hängt mit dem besonderen Unterrichtskonzept zusammen, wie Schulleiter Wilfried Bock sagt. Unterrichtet wird nach dem Dalton-Plan der amerikanischen Pädagogin Helen Parkhurst. Neben den herkömmlichen Stunden können sich die Schüler pro Woche zehn Unterrichtsstunden selbst einteilen, um gestellte Aufgaben eigenständig zu lösen.

Dabei arbeiten Schüler aus unterschiedlichen Klassen und Jahrgängen insgesamt zwei Stunden am Tag bei einem Lehrer ihrer Wahl. Sie entscheiden selbst, mit wem sie arbeiten und woran. Joelle und Julia, beide 16, sind an dem Morgen schon zur ersten Stunde gekommen und machen zusammen Bio, andere machen im selben Klassenraum Englisch oder Mathe. Wenn die Stunde rum ist, bekommen sie dafür vom Lehrer einen Stempel.
Luca Diehr fällt nicht ein, so früh zu kommen, er schläft lieber aus und holt den Unterricht in Freistunden nach: «Früher haben wir in den Freistunden Karten gespielt, jetzt arbeitet man und kann dafür länger schlafen.»

Wie verändert sich der Schlaf der Schüler durch die Umstellung, fragt Wissenschaftler Roenneberg. Er hat die Einführung der «Gleitzeit» wissenschaftlich begleitet, Daten vorher und nachher erhoben. Das Ergebnis der Auswertung wird im Sommer erwartet.


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