Für den Bundesrat ist Primarfranz nicht verhandelbar, Bild: Keystone
Sprachenstreit provoziert Bundesrat, Tages Anzeiger, 31.3. von Anja Burri
Wenn die Thurgauer
Bildungsdirektorin Monika Knill morgen in Frauenfeld vor die Medien tritt,
interessiert das sogar die Romandie. Es geht nämlich nicht nur um die Thurgauer
Umsetzung des Lehrplans 21, sondern auch «um den nationalen Zusammenhalt und
die Achtung der Minderheiten», wie es der Walliser SP-Nationalrat Mathias
Reynard formuliert.
Knill
wird bekannt geben, ab wann die Thurgauer Schüler künftig Französisch lernen.
Das wird nicht, wie vom Sprachenkompromiss der kantonalen
Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) vorgegeben, in derPrimarschule sein. Sondern erst ab der
Sekundarstufe. So entschied es das Kantonsparlament. Zum Ausgleich werden die
Thurgauer Sekundarschüler mehr Französischlektionen erhalten als Gleichaltrige
in anderen Kantonen. Die Vorschläge gehen in eine Vernehmlassung und sollen im
Herbst definitiv verabschiedet werden. Der «NZZ am Sonntag» sagte Knill, dass
an der Fremdsprachenfrage nicht mehr gerüttelt werde.
Diese
Entwicklung alarmiert Kulturminister Alain Berset. Er hat klargemacht, dass er
es nicht akzeptieren werde, sollte ein Kanton seinen Primarschülern nur noch
Englisch beibringen. Sein Argument: Das Erlernen einer zweiten Landessprache
sei für den Zusammenhalt der Sprachgemeinschaften wichtig. Anfang März äusserte
sich der Bundesrat letztmals zum Thema. «Der Bundesrat erwartet von den
Kantonen, dass sie die gemeinsam beschlossene Sprachenstrategie von 2004
vollständig umsetzen», schrieb die Landesregierung als Antwort auf einen
Vorstoss aus dem Parlament. Scheiterten die Harmonisierungsbemühungen der
Kantone, werde der Bundesrat rasch handeln. Spätestens im Herbst, wenn die
Thurgauer Regierung die Änderungen definitiv verabschiedet, dürfte es so weit
sein.
«Welchen Zwang würde der
Bund anwenden?»
Die
Frage, wie der Bund in die Bildungshoheit der Kantone eingreifen soll, ist aber
keine einfache und beschäftigt das Departement Berset bereits heute. Vor einem
Jahr erarbeitete das Bundesamt für Kultur im Rahmen eines Berichts einen
Vorschlag. Dieser will die Kantone via Sprachengesetz dazu verpflichten, ihren
Primarschülern mindestens eine zweite Landessprache beizubringen. Im Wissen
darum, wie heikel ein Eingriff wäre, bemüht sich Berset nach wie vor um eine
Lösung mit den Kantonen. In einem Brief hat er die EDK um eine Einschätzung des
erwähnten Berichts gebeten. Eine Antwort steht noch aus.
EDK-Präsident
Christoph Eymann ist in einer schwierigen Situation. Der Sprachenkompromiss der
EDK bleibe gültig, sagt er und räumt ein: «Wir haben keinerlei
Durchsetzungsmöglichkeiten gegenüber den einzelnen Kantonen.» Eine Intervention
des Bundes lehnt er ab – auch aus Furcht vor einer allfälligen Volksabstimmung.
«Welchen Zwang würde der Bund anwenden?», fragt die Thurgauer Bildungsdirektorin
Knill rhetorisch. Sollte der Bund derart in die Bildungshoheit der Kantone
eingreifen, stellten sich grundlegende Fragen: «Wo ist der Föderalismus noch
erwünscht im Bildungsbereich? Wo bleibt die gepriesene schweizerische
Vielfalt?»
Diese
besteht ohnehin. Der Thurgau ist nicht der erste Kanton, der den
Sprachenkompromiss verletzt. Auf diesen hatte sich die EDK 2004 geeinigt. Seit
der Volksabstimmung 2006 verpflichtet zudem der Bildungsartikel in der
Verfassung die Kantone, die Dauer und die Ziele der Bildungsstufen einander
anzugleichen. Trotzdem lernen die Schüler längst nicht überall ab der dritten
Klasse die erste und ab der fünften Klasse die zweite Fremdsprache:
•
In Glarus ist
nur Englisch bis Ende Schulzeit für alle obligatorisch. Französisch können die
Ober- und Realschüler abwählen. Das soll gemäss Regierung auch so bleiben.
•
In Appenzell Innerrhoden, wo die Schüler erst ab der
siebten Klasse Französisch lernen, denkt man nicht daran, dies zu ändern.
•
In Uri lernen
etwa 20 Prozent der Kinder ab der fünften Klasse Italienisch; die anderen
kommen erst ab der siebten Klasse mit einer zweiten Landessprache in Kontakt.
•
Im Aargau beginnt
der Französischunterricht in der sechsten Klasse – eine Vorverlegung ist mit
der Einführung des Lehrplans 21 ab 2020 angekündigt.
•
In Kantonen wie Zürich oder Luzern sind Volksinitiativen für nur eine
Fremdsprache in der Primarschule hängig.
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