25. Januar 2016

Sehr geehrter Herr Wolter

Die Aussagen des Bildungsökonomen Stefan Wolter in der Sonntagszeitung provozieren Reaktionen. So meldet sich Michael Weiss, Geschäftsführer des Baselbieter Lehrervereins LVB, zu Wort. Er wirft Wolter unter anderem vor, das Kostenwachstum im Bildungswesen nicht differenziert genug zu betrachten.
Antwort an Stefan Wolter, 25.1. von Michael Weiss


Sehr geehrter Herr Wolter

Die Sonntagszeitung hat gestern Resultate einer von Ihnen durchgeführten Umfrage veröffentlicht, in der Sie demonstriert haben, welche Auskünfte über die Bildungsausgaben man der Bevölkerung geben muss, damit diese sie mehrheitlich ablehnt. Leider macht es den Anschein, dass Sie darauf verzichtet haben, die Befragten differenziert über das Kostenwachstum an der Volksschule zu informieren. Ich möchte Sie daher fragen, ob Sie sich bewusst sind, dass

a) im von Ihnen genannten Zeitraum (die letzten 10 Jahre) die Kosten der Sonderschulung von der IV an die Kantone übertragen wurden und ein wesentlicher Teil der angeblichen Kostensteigerung schlicht eine Verlagerung an eine andere Kostenstelle darstellt?

b) in diesem Zeitraum massiv in die sogenannte Bildungsharmonisierung (HarmoS, Lehrplan 21, Frühfremdsprachen und den daraus resultierenden Bedarf nach Weiterbildungen und neuen Lehrmitteln) sowie die integrative Schulung investiert wurde, deren Mehrwert tatsächlich einmal ökonomisch hinterfragt werden müsste? Allein im Kanton Baselland (ca. 250'000 Einwohner) wurden dafür auf Kantonsebene rund 65 Millionen Franken ausgegeben, die Kosten der Gemeinden (z.B. für neue Schulhäuser, um die neu der Primarstufe zugeordnete 6. Klasse aufzunehmen) dürften noch deutlich höher sein (Basel-Stadt hat beispielsweise rund 500 Millionen in neue Schulhausbauten investiert).

c) die Kosten im tertiären Bildungssektor (Universitäten, Fachhochschulen) noch weitaus stärker angestiegen sind als in der Volksschule?

Mit Ihrer Betrachtungsweise, die zumindest in den Medien völlig undifferenziert daherkommt, heizen Sie, selbst wenn das vielleicht gar nicht Ihre Absicht ist, eine Stimmungsmache an, welche geeignet ist, einmal mehr diejenigen für die Misere verantwortlich zu machen, die seit Jahrzehnten mit stagnierenden oder gar sinkenden Löhnen und wachsenden Aufgaben konfrontiert sind, nämlich die Lehrerinnen und Lehrer.

Die realen Zustände an Schweizerischen Volksschulen machen es möglich, dass

-          das Materialbudget pro Schüler und Schuljahr in einer Primarschule etwa 10 Fr. beträgt

-          Schwimmunterricht aufgrund verschärfter Vorschriften nur noch durchgeführt werden kann, wenn Eltern die Lehrperson freiwillig und unentgeltlich begleiten

-          in Räumen unterrichtet wird, die im Sommer 40°C heiss und im Winter 15°C kalt werden

-          einem in einer basellandschaftlichen Schule aus den Schubladen und Schränken Mäuse entgegenspringen

-          für teures Geld moderne Lehrmittel angeschafft werden, die sich aber dann nicht wie vorgesehen einsetzen lassen, weil die vorausgesetzte IT-Infrastruktur nicht vorhanden ist

-          im Krankheitsfall eine Lehrperson beauftragt wird, zwei Klassen in zwei Schulzimmern gleichzeitig zu beaufsichtigen

Diese Liste liesse sich beliebig verlängern.

Von einem Universitätsprofessor, der selbst durchaus ebenfalls Teil des Problems der steigenden Bildungskosten ist, erwarte ich etwas mehr als ein populistisches Volksschul-Bashing, und das wäre eine differenzierte Analyse, wo an den Volksschulen tatsächlich Geld aus dem Fenster geworfen wird, und wo es nicht einmal mehr für elementare Grundbedürfnisse reicht. Das wäre dann tatsächlich ein nützlicher Erkenntnisgewinn.

Mit freundlichen Grüssen

Michael Weiss, Geschäftsführer und Vizepräsident Lehrerinnen- und Lehrerverein Baselland LVB

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