28. Oktober 2015

"Die Intoleranz der Toleranten ist brutal"

Beschuldigt, vorverurteilt, entlassen: Der aufsehenerregende Fall des Luzerner Theologen Thomas Bannwart.













Zu Unrecht gekündigt. Das Luzerner Kantonsgericht hob die Freistellung von Thomas Bannwart auf. Bild: Lucian Hunziker
Abrechnung mit islamkritischem Religionslehrer, Basler Zeitung, 28.10. von Christian Keller


Am Anfang steht ein Brief. Er trägt die Überschrift «Dispensation vom Religionsunterricht», datiert vom 2. April 2014, und ist adressiert an den Schul­leiter der Oberstufe Utenberg in Luzern. In dem Schreiben erhebt ein 15-jähriger Secondo – ein Muslim, dessen Eltern aus Albanien in die Schweiz einwanderten – eine Reihe von Vorwürfen gegen den Luzerner Religionslehrer Thomas Bannwart. «Schon als wir die Themen über das Judentum und das Christentum durchnahmen, erwähnte Herr Bannwart immer wieder den Islam, aber immer verband er es mit dem Bösen und dem Schlechten», ist den Zeilen zu entnehmen.
Der 63-jährige studierte Theologe, den die Anschuldigungen betreffen, ist in der Hauptstadt der Innerschweiz eine anerkannte Fachperson, ein Lehrer von altem Schrot und Korn, der aufgrund seiner vierzigjährigen Unterrichtstätigkeit auf einen breiten Erfahrungsschatz zurückgreifen kann. Seit 1997 führt Bannwart junge Katholiken und Reformierte der Luzerner Oberstufe an die drei Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam heran und zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf. Für Andersgläubige wie Muslime ist der Unterricht freiwillig.
Im Kollegium und bei der Schülerschaft steht Bannwart hoch im Kurs. Das belegt eine Flut von Schüler­briefen und Rückmeldungen von Lehrern. «Ich erlebe den Religionsunterricht bei Thomas Bannwart als ausgeglichen und sehr differenziert sowie methodisch und didaktisch auf hohem Niveau. Zudem begegnet er meinen Schülerinnen und Schülern stets mit sehr grosser Wertschätzung, unabhängig von deren religiöser Zugehörigkeit», äussert sich Orlando Foffa, ein Klassenlehrer der Schule Mariahilf, in einer Stellungnahme an die katholische Kirchgemeinde Luzern. Das Feedback von Klassenlehrerin Andrea Renggli fällt ebenfalls äusserst positiv aus: «In meiner multikulturellen Klasse müssten lediglich sechs Schülerinnen und Schüler den Unterricht besuchen, alle anderen gingen freiwillig und dazu noch sehr gern.»
Doch auch die allerbesten Referenzen bewahren Thomas Bannwart, der drei Jahre vor seiner Pensionierung steht, nicht vor einem der bittersten und härtesten Momente in seinem Leben.

Rauswurf ohne Beweise
Als Rektor Jürgen Rotner – der Deutsche leitet im Auftrag der katholischen Kirchgemeinde den Religions­unterricht an den Luzerner Volksschulen – von der Beschwerde des jugendlichen Muslims erfährt, setzt er den altgedienten Pädagogen auf die Anklagebank. Wie aus zahlreichen E-Mails und Dokumenten hervorgeht, die der BaZ vorliegen, nimmt Rotner den Wahrheitsgehalt des Schülerbriefs von Beginn weg für bare Münze. Zweifel am Wahrheitsgehalt hat er keine. Dass Bannwart – wie im Brief beschrieben – der Schulklasse freudig berichtet haben soll, wie «die herrlichen Kreuz­ritter mit ihren Pferden auf einem Hügel waren und sich die Morgensonne an ihrer Rüstung spiegelte, und sie dann zum Glück die Muslime niedermetzelten und die Wiener befreiten»: Für Rotner eine Tatsache. Im März 2015 stellt er den Beschuldigten, der die Darstellungen des Schülers vehement bestreitet, mit einer fristlosen Kündigung auf die Strasse. Beweise hat er keine.
Unlängst hat das Luzerner Kantonsgericht den Rauswurf Bannwarts als unrechtmässig zurückgewiesen. Der Richterspruch kann die Geschehnisse allerdings nicht mehr rückgängig machen. Für den Berufsstand ist der Fall ein erschreckendes Beispiel, wie rasch in der heutigen Zeit ein Ausbildner an den Pranger gestellt und in seiner Existenz zerstört werden kann – ungeachtet seiner bisherigen Verdienste und Qualifikationen. «Irgendjemand ist unzufrieden und glaubt, als ‹Steuerzahler› Macht ausüben zu können – und das ganze Verfahren kommt in Gang. Dies ist einer der Gründe, weshalb Lehr­personen bei uns im Verband vermehrt juristische Beratung in Anspruch nehmen», sagt Kaspar Bättig vom Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverband.
Von den Schulklassen, die Bannwart zum Zeitpunkt der Entlassung am 19. März 2015 betreut, darf er sich nicht mehr persönlich verabschieden. Stattdessen erhalten die Eltern gleichentags die Mitteilung, dass der Religionslehrer per sofort freigestellt worden sei. «Es gab längere Auseinandersetzungen über Vorkommnisse, welche die Vertrauensgrundlage untergraben haben», so die Begründung.
Ein Satz, der schlimme Vorkommnisse suggeriert. Ist es zu sexuellen Übergriffen gekommen? «Durch diese Formulierung wurde mein Ruf massiv geschädigt. Ich wurde in die Ecke eines Sexualstraftäters gestellt», empört sich Bannwart. Personen, die sich für den Gebrandmarkten einsetzen, intervenieren bei Rektor Rotner. «Ihr Brief wirkt sehr desavouierend», protestiert die Mutter zweier Schülerinnen. Und fährt fort: «Ihre Vorgehensweise erinnert an andere Vorkommnisse in der katholischen Kirche und nützt genau dieser am wenigsten. Er verursacht Kopfschütteln, Unverständnis und die Gefahr, dass sich wieder weitere Kirchengänger von der Kirche entfernen.»

Kritik vom Lehrerverband
Die Einwände prallen an den sakralen Gemäuern ab. Urban Schwegler, Medienbeauftragter der katholischen Kirche der Stadt Luzern, weist jegliches Fehlverhalten zurück. Seine Stellungnahme ist allerdings widersprüchlich. Thomas Bannwart habe sich «kein strafrechtlich relevantes Verhalten zuschulden» kommen lassen, erklärt Schwegler zunächst. Dann schreibt er: «Jeder dahingehende Verdacht wurde umgehend dementiert.» Damit räumt die städtische Kirchgemeinde selber ein, dass durch das Informationsschreiben des Rektors der Eindruck strafbarer Handlungen entstanden ist.
Beat Zemp, Präsident des Dach­verbandes der Schweizerischen Lehrerinnen und Lehrer, hat für dieses Vor­gehen kein Verständnis. «Mit solch heiklen Formulierungen wird eine Lehrkraft natürlich ans Messer geliefert», hält der Baselbieter fest. Die Unterstützung durch den obersten Verbands­vertreter nützt Bannwart freilich wenig. Seit dem Jobverlust fristet er ein Dasein als Arbeitsloser. Seine Arbeitswohnung in Luzern konnte er sich nicht mehr leisten. Nun lebt er im engen Ferien­häuschen in Seelisberg, das er von seinem Onkel geerbt hat. Anderswo eine Anstellung zu finden, sei mit 63 Jahren so gut wie aussichtslos.

Fürsorgepflicht verletzt
Dass Schulleitungen Meldungen aus der Schülerschaft auf den Grund gehen müssen, steht ausser Frage. Gemäss Zemp wurden seitens des Dachverbandes Broschüren ausgearbeitet, wie in einem Konfliktfall zu verfahren ist. Kennt Rektor Rotner, der nicht mit der BaZ sprechen will, die darin beschriebenen Abläufe? Zweifel sind angebracht. Recherchen ergeben: Mit dem Schüler, der das folgenschwere Dispensationsgesuch verfasste, hat Rotner nie ein Wort gesprochen. «Ich wurde vom Unterricht befreit. Zum Inhalt meines Briefs hat niemand Nachfragen gestellt», bestätigt Dragan* der BaZ.
Für Zemp ein klarer Verstoss: «Das entspricht eindeutig nicht der gängigen Praxis.» Das Luzerner Kantonsgericht sieht die Fürsorgepflicht des Arbeit­gebers verletzt. Die Beklagte hätte die Vorwürfe «vertiefter überprüfen und entsprechende Abklärungen tätigen müssen», heisst es in der Urteilsbegründung.
Dabei wäre es sehr ergiebig gewesen, sich Dragans Wahrnehmungen und Beweggründe anzuhören. Der junge Mann, der einen intelligenten und vernünftigen Eindruck macht, bedauert das Schicksal Bannwarts. «Das wollte ich wirklich nicht. Hätte ich gewusst, welche Kettenreaktion dadurch ausgelöst wird, wäre ich anders vorgegangen». Dragan lastet seinem ehemaligen Religionslehrer zwar weiterhin an, den Islam herabgesetzt zu haben. Er räumt aber auch ein: «Andere Klassenmitglieder waren nicht meiner Meinung.»
Hätte Rotner nicht einseitig agiert und sich mit Dragan auseinandergesetzt, hätte er erfahren, in welch emotional belastender Lebenssituation er sich befand. «In dieser Zeit war mein Bruder gestorben. Die Trauer hat mich näher an den Glauben herangeführt.» In seiner Familie gebe es jedoch keine strenggläubigen Muslime. Er besuche selten die Moschee, geniesse das Nachtleben wie jeder andere Jugendliche auch und seine Schwester trage kein Kopftuch, erzählt Dragan. Nochmals betont er: «Ich habe nie verlangt, dass Herr Bannwart seine Stelle verliert. In den ersten zwei Jahren, als es um das Christentum und Judentum ging, habe ich seine Lektionen gerne besucht».
Gegen seinen ehemaligen Schüler hegt Bannwart keinen Groll, wohl aber gegen die Vorverurteilung durch das Rektorat. Alleine aus stilistischen Gründen halte er es für erwiesen, dass einige Textstellen von einem Geistlichen verfasst worden seien. Dragan erwähnt im Dispensationsgesuch, einen Imam und einen Haxhi nach deren Meinung gefragt zu haben. Zur BaZ sagt er: «Den Brief habe ich aber alleine geschrieben».

Islamkritisch, nicht islamophob
Was die von Dragan angeführten Kritikpunkte betrifft, steht Aussage gegen Aussage. Das Gericht stellte sich auf die Seite des Beschuldigten. Würde Bannwart tatsächlich in den vielen Jahren seines Unterrichts ein ausschliesslich negatives und abwertendes Bild des Islams vermitteln, wäre dies sicherlich seitens Lehrerschaft und Eltern thematisiert worden. «Das ist aber gerade nicht der Fall», so die Luzerner Richter.
«Nie käme es mir in den Sinn, den Islam im Unterricht in ein schlechtes Licht zu rücken. Wenn ich einen Aspekt kritisch beleuchte, dann um die Welt zu erklären, wie sie nun einmal ist», sagt Bannwart. Der entlassene Religions­lehrer beklagt eine perfide Gleich­setzung. «Islamkritische Betrachtungen werden umgehend als islamophob eingestuft.» Dass im Koran brutale Passagen vorkommen, könne er nicht einfach ausblenden. Die Schüler sollten sich damit konstruktiv auseinandersetzen. Auch in diesem Punkt erhielt Bannwart vom Gericht Rückendeckung: «Es muss sowohl möglich wie zulässig sein, anspruchsvollere Diskussionen über Religionen führen zu können und dabei auch Kritik einfliessen zu lassen.»
Rektor Jürgen Rotner hat hingegen ganz andere Vorstellungen, wie eine gute Religionsstunde vonstattengehen soll. In einer E-Mail erläutert er Bannwart: «Wir müssen jede Religion und Weltanschauung im Lichte ihrer vorbildhaftesten, ehrlichsten und menschlichsten Vertreterinnen und Vertreter darstellen, um zu zeigen, was diese Religion oder Anschauung sein kann.» Seinen Mitarbeiter bezichtigt er, Ressentiments zu schüren, indem er etwa Textzitate mit einseitig negativer Aussage verwende. Rotner stört sich auch an Erzählungen von Frauen, die im Umfeld des Islam schlecht behandelt wurden. Bei einem Unterrichtsbesuch konstatiert er einen «abschätzigen Unterton», ohne jedoch genauer auszuführen, was er damit meint.

Religionslehrer gepiesackt
Bei einer Aussprache zeigt sich Bannwart gewillt, Anpassungen in der Literaturauswahl vorzunehmen und seine Arbeitsblätter nach dem Wunsch des Rektors zu überarbeiten. Doch damit ist die Angelegenheit nicht etwa bereinigt. Denn Rotner gibt sich mit den Korrekturen seines Untergebenen nicht zufrieden. Jedes Detail nimmt er zum Anlass, um sein Missfallen zu bekunden. Nach einem Kontrollrundgang durchs Schulzimmer rügt er Bannwart schriftlich per Einschreiben, zwei Bücher, darunter «Die Akte Osama bin Laden», nicht aus dem Regal entfernt zu haben. «Gerne höre ich mir an, weshalb du sie hast stehen lassen.»
Nun platzt dem langjährigen Mitarbeiter der Kragen. Er erwidert: «Deine Art, einen erfahrenen Lehrer wie einen unflätigen Schulbuben zu behandeln, bereitet mir – und zunehmend auch anderen – Stirnrunzeln. In meiner Umgebung spricht man zunehmend von Mobbing.»
Bei der Durchsicht der umfang­reichen Akten entsteht der Eindruck eines Vorgesetzten, der einen missliebigen Angestellten loswerden möchte. So führt Rotner auch noch eine Denkschrift ins Feld, die Bannwart 2010 verfasst hat (notabene im Auftrag des Rektors). Darin habe er nicht nur seine kritische, ablehnende Haltung gegenüber dem Islam ausgedrückt, sondern überdies mit «linker Politik» in Zusammenhang gebracht. Für SVP-Mitglied Bannwart ein Schlüsselmoment. «An dieser Stelle hat Rotner verraten, um was es ihm wirklich geht: Er stört sich an meiner liberal-konservativen Ausrichtung», ist er überzeugt. Er sei eben kein Anhänger der neuen Doktrin, die glaube, mit gemeinsamem Gesangskonzerten und Cevapcici-Essen liesse sich das Verständnis zwischen den Kulturen fördern.
«Wehe, wer diese Überzeugung, die zu einer Ideologie geworden ist, infrage stellt», warnt Bannwart. Wegen seines Widerstands sei er auf die Abschussliste geraten. «Die Intoleranz der Toleranten ist brutal.» Er weiche aber nicht von seiner Haltung ab: «Ein religionswissenschaftlich aufgebauter Stundenplan, der die Schüler mit Wissen ausstattet und eigenständiges Denken fördert, trägt viel mehr zur Integration bei als gemeinsame Tänze und Wanderausflüge.»
Nun, nachdem das Luzerner Kantonsgericht sein Verdikt gesprochen hat, fordert Bannwart nebst finanzieller Entschädigung eine öffentliche Entschuldigung und die Rehabilitation seiner Person. Möglicherweise kommt es zu einem weiteren Prozess: Ob die Kirchgemeinde das Urteil ans Bundesgericht weiterzieht, steht noch nicht fest. Die Rückkehr an die alte Wirkungsstätte schliesst Bannwart kategorisch aus. Dafür sei das Verhältnis zu zerrüttet.
Gerne hätte der Verbannte seinen 274 Schülern in einem Brief Adieu gesagt. Das Rektorat verbot den Versand. In dem Schreiben zitiert Bannwart den griechischen Philosophen Platon: «Es ist besser, Unrecht zu leiden, als Unrecht zu tun.»

*Richtiger Name der Redaktion bekannt.

2 Kommentare:

  1. Die Toleranz der Intoleranz ist unsere Mitschuld am Untergang unserer Werte, es kann ja nicht sein, dass ein Deutscher über einen schweizer Religionslehrer eine solch einseitige Entscheidung verfügen kann, dem Theologen Bannwart muss eine angemessene Entschädigung bezahlt werden und der Jürgen Rothner muss entlassen werden

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  2. Bedenklich: Wie kommt eine Katholische Kirchgemeinde dazu, ihren ausgewiesenen Religionslehrer, der christliche Werte vertritt, fristlos zu entlassen und sogar noch vor Bundesgericht zu ziehen, nur weil dieser es wagt, den Islam aus christlicher Sicht zu beurteilen? Begeht der Katholische Kirchgemeinderat nicht Verrat an den eigenen Werten und biblischen Wahrheiten? Beginnt so nicht die Christenverfolgung aus eigenen Reihen? Herr Bannwart ist für seinen Mut und seine Standhaftigkeit zu gratulieren! Beat Schmid lic.theol., Menznau

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