16. August 2015

"Der Lehrplan muss vors Volk"

Jetzt formiert sich auch in Bern, Zug und Schaffhausen der Protest gegen den Lehrplan 21. In 13 von 21 Deutschschweizer Kantonen werden Volksinitiativen vorbereitet.
Grafik: Sonntagszeitung
Hyperaktive Reformer, zornige Widerstandsgruppen, Sonntagszeitung, 16.8. von Nadja Pastega

Der Protest gegen den Lehrplan 21 weitet sich aus. Auch im Kanton Bern haben jetzt besorgte Eltern eine Widerstandsgruppe gebildet, um das umstrittene Regelwerk zu bodigen. Ihr Name: Interessengemeinschaft für eine starke Volksschule im Kanton Bern. Die IG sei «eine Bürgerbewegung aus Müttern, Vätern und Lehrern», sagt Gründungsmitglied Rahel Gafner. Ziel: «Wir wollen den Lehrplan 21 verhindern.»

Dazu soll «eine breite Diskussion in der Bevölkerung» angestossen werden, anschliessend werde «eine Volksinitiative» lanciert. Damit wird der Lehrplan bereits in 13 von 21 Deutschschweizer Kantonen mit Volksinitiativen bekämpft.

«Die Hyperaktivität bei den Reformen ist kontraproduktiv», sagt der Zürcher Schulpsychologe Roland Käser, ehemaliger Direktor des Instituts für Angewandte Psychologie. «Jeder Versuch war eine Verschlimmbesserung und brachte mehr Arbeit und Komplexität. Es braucht jetzt ein Moratorium von Schulreformen.»

Die Berner IG will den Bieler Lehrer und GLP-Stadtrat Alain Pichard an Bord holen. Er war Initiant des lehrplankritischen Memorandums «550 gegen550», das von über 1000 Lehrern unterzeichnet wurde. «Ich wurde angefragt, ob ich beim Unterstützungskomitee für die Initiative mitmache», bestätigt Pichard, «ich prüfe das.» Der Lehrplan 21 werde «von einer rigorosen Bildungsbürokratie top-down und ohne jegliche Diskussion durchgesetzt – dagegen muss man vorgehen.» Auch im Kanton Bern werde es «mit Sicherheit zu einer Initiative kommen».

Das ist ein «fragwürdiges Demokratieverständnis»
Die Kritik der Berner Gruppierung richtet sich gegen die neue Pädagogik, die mit dem Lehrplan 21 Einzug in die Klassenzimmer hält. Dazu gehören das «selbst organisierte Lernen» der Kinder, die «Abwertung der Lehrperson zum Lerncoach» und die Kompetenzorientierung des Lehrplans. Das heisst: Statt konkreter Lerninhalte listet er 1095 Grundansprüche und 363 Kompetenzen auf. Die Schüler lernen zum Beispiel nicht mehr geschichtliche Fakten zu einzelnen Epochen, sondern müssen etwa den Syrienkrieg in Beziehung zur Französischen Revolution setzen können. «Dieses Konzept ist in Deutschland und den USA bereits gescheitert», sagt Rahel Gafner. Ende August wird die parteipolitisch unabhängige Gruppierung mit einer Veranstaltung zu den Schulreformen erstmals an die Öffentlichkeit treten.

Auch in anderen Kantonen bekommt der Protest Schub. Widerstand formiert sich in Schaffhausen und Zug, wo neu ebenfalls Volksinitiativen vorbereitet werden. «Der Unterschriftenbogen ist praktisch fertig, wir reichen den Initiativtext demnächst zur Vorprüfung ein», bestätigt SVPKantonsrat Mariano Fioretti, Mitinitiant der Schaffhauser Initiative. Forderung: «Der Lehrplan muss vors Volk!»

 Im Kanton Zug bereitet die Gruppierung Gute Schule Zug eine Volksinitiative vor. «Start ist voraussichtlich im September oder Oktober», sagt Mitinitiant und Kantonsrat Willi Vollenweider. «Der Lehrplan bringt massive Änderungen mit sich – es ist inakzeptabel, dass er ohne Diskussion und Mitsprache durchgedrückt wird.»

Quer durch die Schweiz wird der Lehrplan mit Initiativen bekämpft – von Baselland über Solothurn, Zürich, Luzern, Aargau, St.Gallen, Thurgau bis Appenzell Innerrhoden. In Graubünden wollen die Initianten ein Volksbegehren gegen den Lehrplan nach Möglichkeit Ende August zur Vorprüfung einreichen. Im Kanton Schwyz ist die Initiative «Stopp dem Lehrplan 21» bereits eingereicht. Der Schwyzer Regierungsrat will, dass sie der Kantonsrat für ungültig erklärt. Die Bevölkerung sei bei diesem Thema nicht zur Mitsprache berechtigt. Nach Angaben des Bildungsdepartements wird sich der Kantonsrat am 21.Oktober oder 18. November damit befassen. «Das zeugt von einem fragwürdigen Demokratieverständnis», sagt Initiantin Irene Herzog.

Für Lehrplankritiker Alain Pichard kommt der breite Widerstand nicht überraschend. Die Schweizer Stimmbevölkerung habe 2006 zwar Ja gesagt zur Harmonisierung der Schulen, doch der Lehrplan 21 gehe «weit darüber hinaus». Das gelte etwa für die Einführung der neuen Frühsprachendidaktik des Frühfranzösisch und die Kompetenzorientierung, kritisiert Pichard: «Der ursprüngliche Harmonisierungsauftrag, dem das Volk zugestimmt habe, ist in flagranter Weise zu einem generellen Freipass umgedeutet worden.»  

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