17. April 2015

Rundumsorglospakete aus dem Wolkenkuckucksheim - wie lange noch?

In einer dreiteiligen Artikelserie berichtet Fritz Tschudi über seine Erfahrungen mit dem Bündner Lehrerverband Legr. Er schildert, wie gegenteilige Meinungen systematisch unterdrückt, Versprechen nicht eingehalten und Vertrauen missbraucht wurde. Während der Lehrerverband sich so von seinen Mitgliedern distanziert, schmiegt er sich nah an die Positionen von LCH, PHGR und der kantonalen Administration. Hier läuft einiges nicht so, wie es sollte. Ein warnendes Lehrstück für andere Kantone. (uk)
Lehrerverbände - Back to the Roots (Teil 3). Fritz Tschudi, 16.4.

Es ist unübersehbar wie sich Führungsverantwortliche des Lehrerverbandes Graubünden (LEGR) um die fraglose Akzeptanz aktueller Reformvorhaben bemühen (s. Teil1 und Teil2). Man zieht willige Konsumenten heran. Wer sich mit der Konformität im Wolkenkuckucksheim des bildungspolitischen Zeitgeistes und dem herrschenden Opportunismus nicht abfinden kann, dem bleibt wenig Raum in diesem Verein.

„Opportunismus ist die Kunst, mit dem Winde zu segeln, den andere machen.“ (Alessandro Manzoni). „…und bedeutet oftmals das Aufgeben der eigenen Meinung … zum Vorteil einer anderen Meinung, welcher man grössere Chancen auf allgemeine Zustimmung einräumt.“ (Wikipedia).

Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Viele, um nicht zu sagen die Mehrheit der Bündner Lehrerinnen und Lehrer, haben sich geistig längst aus diesem Verband verab-schiedet. Die alarmierende Passivität der Vereinsbasis hinterlässt aber jenes verhängnis-volle Vakuum, welches der Führungsriege jede Freiheit lässt und eigenmächtiges Handeln ohne Risiko zum „Courant normal“ macht.  

Solange für die Vereinsoberen solche Töne nichts weiter als böswillige, haltlose Unter-stellungen sind, wird nicht über die Bücher gegangen. Nichteintreten heisst die Devise! Es sollte keinesfalls auch nur der Hauch von Einsichtigkeit, Gesprächsbereitschaft oder gar Selbstkritik signalisiert werden. Wie viel einfacher ist es doch, alle Unannehmlichkeiten aus den eigenen Reihen schweigend auszusitzen und anlässlich der nächsten Hauptver-sammlung allenfalls schön zu reden.

Anstelle nachprüfbarer Fakten versuchen sie es mit immer gleichen Floskeln:

„Die Redaktion des Bündner Schulblattes ist weiterhin bestrebt die vielfältigsten Schulthemen aus verschiedenen Blickwinkeln auszuleuchten“, liess die Geschäftsleitung des Bündner Lehrerverbandes verlauten. Eine glatte Lüge. Ein Nachweis für diese Behauptung findet sich nirgends. Weiter behauptet die Geschäftsleitung alle Themen offen und vielfältig anzugehen. Auch diese Aussage ist falsch.

Im Protokoll zur DV vom Herbst 2014 steht zu lesen:

„Da die Tageszeitung „Südostschweiz“ einen Leserbrief zum Lehrplan 21 aufgebauscht hat, fragt der Präsident die Delegierten an, ob Diskussionsbedarf besteht zu dem vom LP 21 
favorisierten Kompetenzmodell. Trotz doppelter Nachfrage wird das Wort nicht gewünscht. -Die hart formulierte öffentliche Kritik am Lehrplan 21 und am LEGR, der diesen unterstütze, ist folglich bei den aktiven Lehrpersonen kaum Thema und der Lehrplan 21 bewegt inner-
halb des LEGR keine Emotionen….“ 
 
Hier zeigt sich abermals die verwerfliche Haltung des lockeren Umgangs mit Wahrheit und Redlichkeit: Der LP21 war im erwähnten Zusammenhang nicht Gegenstand meiner Inter-
vention. Die Fragen betrafen ausschliesslich die Haltung der Vereinsführung (s.Teil 2). 
 
Tatsache bleibt: Weder das Schulblatt, noch die Homepage des LEGR standen für kritische Sachtexte zum Thema LP21 zur Verfügung. Publiziert wurde stets im Sinne der offiziellen 
Stossrichtung, des pädagogischen Mainstreams und der politischen Promotoren. 
Vorstand, Geschäftsleitung und Schulblatt-Redaktion hatten ihr Vorgehen tatsächlich nie zu rechtfertigen. Sie handelten eigenmächtig unter Verzicht auf die direktdemokratische 
Gepflogenheit der offenen und breiten Debatte. Die Funktionäre handelten offenkundig 
allein zugunsten der Befürworter. 
 
·         Der Verzicht auf jegliche seriöse Debatte zum LP21 ist Ausdruck der Gering-
schätzung und der Bevormundung der Mitglieder. Dies müsste allen - auch den 
Befürwortern - ernsthaft zu denken geben.
 
·         Dass der LP21 für das einfache Mitglied offenbar nie ein zentrales Thema war, 
ist erschütternd unprofessionell: Die Brisanz des neuen Lehrplankonstrukts wurde 
folglich über Jahre vorsorglich unter den Teppich gekehrt.
 
Das verdrängte Gewissen zwickte die Verantwortlichen doch noch in letzter Minute. Nach 
dem jahrelangen Versäumnis sollte die letztmögliche Gelegenheit zur Lancierung der 
Debatte genutzt werden. Anlässlich der ordentlichen Delegiertenversammlung 
(Herbst 2014), wo doch Beschlüsse gefasst werden müssten, sollte eine Lehrplan 
21-Debatte inszeniert werden… (s. Protokollauszug oben)
Nach Jahren der einseitigen Meinungsbewirtschaftung, erscheint die Torschlusspanik zur 
„Entlastung“ des Vorstandes einfach nur lächerlich und in höchstem Masse unseriös. Man 
stelle sich vor, welchen Verlauf die Versammlung genommen hätte, wenn sich Delegierte 
wider Erwarten tatsächlich kritisch-fundiert zu Worte gemeldet hätten!
 
Mit seinen Aussagen (s. Protokoll) schneidet sich der Präsident ins eigene Fleisch. Er be-
stätigt dort indirekt und ungewollt die Notwendigkeit meiner Fragen. Wenn nach jahrelanger Präsenz des wichtigen Reformthemas „Lehrplan 21“ kein Echo im Verband aufkommt, kann einiges nicht stimmen. Den Verzicht der Delegierten auf die Debatte in letzter Minute als 
problemlose Akzeptanz des LP21 zu interpretieren, ist unzulässig. Selbstverständlich hielt 
sich der Vorstand bei formellen Beschlüssen und Abstimmungen an die formaldemokra-
tischen Spielregeln, förderte aber im Vorfeld konsequent keine Debatten, weil diese die 
Wunschziele des Vorstandes hätten gefährden können.
 

Walter Ulbricht war zwischen 1949 und 1971 der mächtigste Politiker der DDR
 
Immerhin erreichte mich schliesslich das Versprechen der Geschäftsleitung, einen 
Leserbrief als Forumsbeitrag im Bündner Schulblatt (Dez. 2014) zu veröffentlichen
Das Forum wurde extra für mich reanimiert(!). Einzige Vorgabe war eine Textbeschränkung auf 1500 Zeichen. Ich verfasste folgenden Brief:


Schulblatt - Sprachrohr der „Einfalt“

Wer im Themenheft „Kompetenzorientierung“ die ersehnte Debatte erwartete, sah sich einmal mehr enttäuscht. Die eigentliche Botschaft war: Hört, der Mist ist geführt, der neue Lehrplan 21 und dessen konstruktivistische Glaubenslehre ist unverhandelbar!

Der LEGR sieht die fachliche Deutungshoheit über den Lehrplan 21 exklusiv bei der PHGR. Das ist fahrlässig. Wenn der neue Rektor verkündet, unbestritten bleibe, dass Schulen Standards, Kompetenz(-orientierung) und eine Outputorientierung bräuchten, so frage ich mich, ob Herr Curcio es einfach nicht besser weiss, oder ob er dem Risiko eines lebendigen Diskurses in einer wachen Lehrerschaft ausweichen will. Curcio nennt die fundamentalen Streitpunkte und bezeichnet sie dennoch als unbestritten. Während Dozenten anderer Hochschulen und Universitäten, aber auch viele Lehrervertreter, sich kritisch, ja fundamental ablehnend äussern, fungiert die Führungsriege des LEGR als verlässliche Partnerin einer an „Einfalt“ orientierten PH.

Kritische Texte namhafter Fachleute finden sich zuhauf. Doch mit seinem bewährten Abwehrreflex und dem Abo auf Verbreitung des pädagogischen Mainstreams im Schulblatt, leistet der LEGR die Hauptarbeit zur Ruhigstellung seiner Basis. Damit setzt er deutliche Zeichen gegen die Debatte in den eigenen Reihen.

Der fürsorgliche Abgleich der Verbandspolitik mit den Erwartungen der Mächtigeren, zeugt nicht einfach nur von Naivität. Viel schwerwiegender ist die Missachtung der Satzungen, wonach der LEGR die Interessen von Schule und Lehrerschaft zu vertreten hat. Doch im kuscheligen Wolkenkuckucksheim der Eintracht fragt niemand nach Mut, Eigenständigkeit und Beharrlichkeit.


Fritz Tschudi, Chur


(Anmerkung: „Einfalt“ meint das Gegenteil von „Vielfalt“)

Den Brief habe ich Wochen vor Redaktionsschluss per Email abgeschickt.-Alles schien klaglos zu laufen, bis mich fast gleichzeitig mit dem Erscheinen des Schulblattes die briefliche Absage erreichte.

Begründung (Auszug):

„Anlässlich der letzten Redaktionssitzung wurde Ihr Schreiben besprochen. Die Redaktion
sieht davon ab, dieses nun zu veröffentlichen. Ihr Leserbrief bringt keine wesentlichen
neuen Informationen…“
„Mit Rücksicht auf die Attraktivität der nur alle zwei Monate erscheinenden Zeitschrift
werden keine bereits veröffentlichten Artikel aus den Tageszeitungen aufgenommen oder
„nochmals aufgewärmt“, insbesondere, wenn diese dem Leser und der Leserin keinen
Mehrwert bzw. interessante Zusatzinformationen bringen.“


Abgesehen davon, dass der zurückgewiesene Kurztext „keine bereits veröffentlichten Artikel aus den Tageszeitungen“ brachte und auch nichts „aufwärmte“, ist es im demokratischen Umfeld üblich, die Beurteilung des „Mehrwerts“ bzw. „interessanter Zusatzinformationen“ der mündigen Leserschaft zu überlassen. Das ist ja wohl der Sinn eines Leserbriefes.

Fazit:


  • Die Verbandsleitung des LEGR hält eigenes Versprechen nicht ein.

  • Mein Leserbrief, welcher die Verbandsführung aufrütteln will, wird ohne nachvollziehbare Begründung, in letzter Minute und ohne Rücksprache im virtuellen Papierkorb versenkt.

  • Die Bevormundung der Basis durch gezielte Manipulation (Zensur) findet hier ihre traurige Bestätigung.

  • Die Panikreaktion aus dem Wolkenkuckucksheim zeugt nicht von Führungskompetenz.

  • Der LEGR ist fundamental reformbedürftig. 

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