17. April 2015

Geschlechter wieder trennen?

Mädchen sind beim Rechnen gehemmt, Buben beim Aufsagen von Gedichten. Laut Bildungsexperten sollen sie deshalb vermehrt getrennt unterrichtet werden.






Buben und Mädchen wieder trennen? Bild: Steffen Schmidt

Mädchen und Buben sollen getrennt büffeln, 20 Minuten, 16.4. von Bettina Zanni



Geht es nach Peter Labudde, drücken Mädchen und Jungen künftig nicht mehr in allen Fächern gemeinsam die Schulbank. Der Professor für Naturwissenschaftsdidaktik an der Fachhochschule Nordwestschweiz plädierte im «Tages-Anzeiger»für einen geschlechtergetrennten Mathematikunterricht am Gymnasium. Dies soll den Schülerinnen und Schülern zu besseren Mathe-Noten verhelfen. Denn das MINT-Nachwuchsbarometer stellt den Schweizer Gymnasiasten kein gutes Zeugnis aus. In der Mathematik sind 16 der Jungen und 20 Prozent der Mädchen ungenügend.

Lilo Lätzsch, Präsidentin des Zürcher Lehrerverbands ZLV, findet Labuddes Vorschlag spannend: «Sequenzenweise könnte ich mir ab der Oberstufe einen geschlechtergetrennten Mathematikunterricht vorstellen.» Dass die Mädchen in Mathe öfter ungenügende Noten schreiben als die Knaben, liegt ihrer Ansicht nach nicht an einem fehlenden «Mathi-Gen». «Ich hatte schon Schülerinnen mit Topleistungen», betont die Sekundarlehrerin. Vom getrennten Unterricht könnten beide Geschlechter profitieren.

«Sie haben Angst, sich zu blamieren»
Sie beobachte, dass die Buben in der Stunde häufig dominanter auftreten als ihre Kolleginnen. «Die Mädchen trauen sich allgemein weniger zu.» An der Notenbesprechung schätzten sie ihre Leistungen meist tiefer ein als die Buben. «Auch in der Mathe fehlt ihnen oft der Mut, auf spielerische Weise neue Lösungswege auszuprobieren.» Im Gegenzug täten sich die Knaben schwerer, im Deutsch den Zugang zu einem Gedicht zu finden. «Da haben sie Angst, sich zu blamieren.»
Auch Beat Zemp, Präsident des Schweizer Lehrerverbands, würde ab der Oberstufe einen phasenweise getrennten Unterricht begrüssen. «Studien zeigen, dass dies in Algebra und Geometrie Sinn macht», so Zemp. Im algorithmischen Denken seien die Knaben schneller, während die Mädchen in der Geometrie vorpreschten. Laut Zemp liesse sich diese Unterrichtsform stundenplan- und raumtechnisch aber kaum kostenneutral umsetzen.
«Bei Jungs gelten Fehler als kreativ»
Bis in den 60er-Jahren war es in Volksschulen die Regel, dass Mädchen und Jungen in getrennten Klassenzimmern lernten. In diese Zeit wollen Zemp und Lätzsch aber auf keinen Fall zurück: «Im gemeinsamen Unterricht lernen die Schüler viele soziale Kompetenzen», betont Zemp.
Noch bis Anfang der 80-Jahre waren die höheren Töchterschulen in der Schweiz verbreitet – die Mittelschulen für Mädchen. In einer solchen hat SP-Nationalrätin und Ingenieurin Martina Munz die Schulbank gedrückt. «Dass ich mich für ein ETH-Studium entschied, verdanke ich der höheren Töchterschule», sagt sie heute. Sie habe sich in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern ohne männliche Konkurrenz gut entfalten können. Sie hält es für prüfenswert, mathematisch-naturwissenschaftliche Lektionen nach einer Testphase teilweise geschlechtergetrennt zu erteilen. Die Mädchen würden möglicherweise durch die Jungen gehemmt, da sie in den Köpfen der Leute nach wie vor als schwächer gälten. «Macht ein Schüler einen Fehler, wird es als kreativen Lösungsversuch, bei einer Schülerin hingegen als Schwäche angesehen.»
SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli hingegen hält nichts von der Idee. «Der getrennte Unterricht mache noch keine Mathe-Hirschen. Das Problem ist der Lehrplan.» Damit die Schüler in der Mathe besser abschnitten, müsse auf die naturwissenschaftlichen Fächer mehr Wert gelegt werden. Zu seiner Schulzeit hätte der Nationalrat dies wohl nicht gesagt. Er verrät: «In der Mathi war ich nicht wirklich gut.»


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