27. März 2015

Unterricht mit fremdsprachigen Kindern

In der Intergrationsklasse Grenchen lernen fremdsprachige Kinder Deutsch. Auch werden ihnen die hiesigen Bräuche und Lebensgewohnheiten näher gebracht und sie erlernen soziale Umgangsformen.




13 Kinder aus 7 Nationen besuchen die Integrationsklasse, Bild: Oliver Menge

Wie funktioniert Unterricht mit ausschliesslich fremdsprachigen Kindern? Solothurner Zeitung, 26.3. von Oliver Menge


«Der Hase, der Esel, der Hahn. Aber die Katze, die Ziege, die Schlange», Lehrerin Annette Kofmel schiebt Karten mit Zeichnungen der entsprechenden Tiere verdeckt auf dem Tisch umher. Ein paar Kinder sitzen rings herum und sprechen gemeinsam: «Wo ist der Hase? Hier ist kein Hase.» Eines der Kinder tippt auf eine Karte, die Lehrerin dreht sie um – es ist der Hase. Begeistert reisst der kleine Henry die Arme hoch, er hat gewonnen.
Dies ist nur eine der vielen verschiedenen Möglichkeiten, wie die Kinder die deutsche Sprache erlernen. Denn dies steht in dieser Klasse im Vordergrund. Sie wird nämlich ausschliesslich von fremdsprachigen Kindern besucht, die mit ihren Eltern erst vor kurzem in die Schweiz gekommen sind. «Dabei handelt es sich um Flüchtlinge, Asylbewerber, aber auch um Ausländer mit einer Aufenthaltsbewilligung, die hier arbeiten», erklärt Annette Kofmel, welche die sogenannte Integrationsklasse im Schulhaus II schon seit 11 Jahren führt. «Die Kinder sprechen am Anfang kein einziges Wort Deutsch, man verständigt sich oft mit Händen und Füssen, Mimik und Gestik und sehr oft mit Bildern», erklärt sie.
Ein Jahr lang besuchen die Mädchen und Buben die Integrationsklasse jeweils am Morgen für vier Lektionen. Daneben besuchen sie den normalen Unterricht in ihrer Stammklasse. Nicht nur die deutsche Sprache wird in der Integrationsklasse unterrichtet, sondern auch Mathematik, wo die Kinder oft grosse Defizite aufweisen.
Ein wichtiger Teil des Unterrichts besteht auch darin, den Kindern die hiesigen Bräuche und Lebensgewohnheiten, den Umgang untereinander und soziale Umgangsformen näherzubringen. «Die Kinder sind zwar nicht verwöhnt. Sie haben schon früh lernen müssen, aufeinander Rücksicht zu nehmen, denn meist schlafen sie mit ihren Geschwistern zusammen im selben Raum zu zweit oder zu dritt. Man kann ihnen mit wenig grosse Freude bereiten.»
Aber doch ist das für sie hier eine neue Welt, eine andere Kultur. «Ich erzähle ihnen, wie wir hier leben, dass wir zum Beispiel für Ostern Eier färben, weil das für uns ein freudiges Ereignis ist. Und sie erzählen von speziellen Bräuchen ihrer Herkunftsländer.» Der Kulturaustausch sei wichtig, man sei bestrebt, eine Brücke vom Herkunftsland zur Schweiz bauen zu helfen, und lebt die Wertschätzung aller verschiedenen Kulturen. Man könne den Kindern so helfen, einen allfälligen Kulturschock zu überwinden. Religion spiele dabei keine Rolle, sagt Kofmel.
13 Kinder aus sieben Nationen
Momentan besuchen 13 Kinder aus sieben verschiedenen Nationen die Integrationsklasse. Sie sind im Alter zwischen 8 und 14 Jahren und besuchen die Schule seit dem Zeitpunkt ihrer Ankunft in Grenchen – ein normales Schuljahr, das nach den Sommerferien beginnt, gibt es nicht.
Die Zusammensetzung nach Nationalitäten richtet sich auch nach den internationalen Krisen: «Letztes Jahr hatten wir sehr viele Eritreer, vor Weihnachten waren insgesamt 17 Kinder in der Klasse. Ich musste eine Assistenz beantragen, das war alleine nicht mehr zu bewältigen.» Für dieses Jahr rechnet sie mit einer Zunahme von Kindern aus Syrien, die mit ihren Familien vor dem Bürgerkrieg und der Terrormiliz IS geflüchtet sind.
Kinder, die schon einigermassen gut Deutsch verstehen, sprechen und schreiben können, besuchen an einem oder zwei Morgen pro Woche den Unterricht in ihrer Stammklasse. «Die Niveauunterschiede sind oft sehr gross, sodass ich in verschiedenen Gruppen unterrichten muss und den Kindern ein Lehrprogramm ihrem Niveau entsprechend bieten muss. Die Schere ist weit offen.» Zweimal die Woche findet der Unterricht im Informatikraum am Computer statt, einmal für Deutsch, einmal für Matheunterricht.
Eltern müssen Deutsch lernen
Die Eltern spielten eine wichtige Rolle, erklärt Annette Kofmel: «Eltern, die sich hier integrieren wollen, die hierbleiben und sesshaft werden wollen, sind in der Regel selber bemüht, Deutsch zu lernen, und besuchen Deutschkurse. Kinder solcher Eltern machen schneller Fortschritte, weil beide Teile voneinander profitieren können.»
Andere Eltern informiert sie anlässlich der Standortgespräche, die sie regelmässig durchführt, über die verschiedenen Möglichkeiten und Angebote an Deutschkursen. «Es gibt aber auch Fälle, in denen die Eltern eigentlich nur so schnell wie möglich wieder weg möchten oder sonst irgendwelche Schwierigkeiten bestehen. Da ist es manchmal fast aussichtslos, den Kindern etwas beibringen zu wollen.»
Gabriela und Darlin stammen beide aus der Dominikanischen Republik. Sie sind Geschwister, er ist 10 Jahre alt, seine Schwester 13. Und sie haben Streit. Denn bei der Aufgabe, die sie lösen mussten, sich gegenseitig Sätze vorlesen und Artikel ergänzen, fiel ein falsches Wort – auf Deutsch – und schon beginnt ein Streit, der beleidigte Bruder will nicht mehr mit seiner Schwester üben, was diese ziemlich kalt lässt. Annette Kofmel schlichtet den Streit der beiden und besänftigt die Wogen mit einigen mahnenden Worten. Jedes für sich setzt nun einen Text vom Präsens ins Imperfekt. Kontrollieren können die Kinder selber, ob sie die Sache richtig gemacht haben.
«Das Wichtigste überhaupt ist reden und den Kindern den ‹Schnabel wetzen›. Wichtig ist auch, dass die Kinder Spass beim Deutschlernen haben, sonst ist das Ganze verlorene Liebesmüh.» Dabei stelle sie den Unterricht in Zusammenhang mit einem aktuellen Thema wie der Jahreszeit oder einem aktuellen Brauch, wie jetzt gerade Ostern.
Annette Kofmel besucht jährlich Weiterbildungskurse und ist in puncto Deutschunterricht auf dem neusten Stand. Bei den Lehrmitteln allerdings hapert es: «Es gibt zwar geeignete Lehrmittel für Integration, aber ich habe noch keines gefunden, das ich eins zu eins übernehmen könnte. Mein Unterrichtsmaterial habe ich selber zusammengestellt», sagt die Lehrerin, und kontrolliert die Arbeiten eines Jungen, der notorisch sein Heft zu Hause vergisst. «Bravo! Kein Fehler. Aber morgen bringst du das Heft mit, versprochen?»
In der Woche vom 23. bis 27. März finden im ganzen Kanton die traditionellen «Tage der offenen Volksschule» statt. Sie gewähren Interessierten Einblick in den Schulalltag des Kindergartens, der Primarschule und der Sekundarstufe I.


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